LiteratuReise: Ein Abend mit Charles Bukowski

31.7.2018, 16:08 Uhr
Prost!

© Angelika Warmuth/dpa Prost!

Wenn alles den Bach runtergeht, ist es ratsam eine dieser unscheinbaren Bars aufzusuchen. Hier ist man unter Seinesgleichen. Gescheiterte, verzweifelte und traurige Existenzen am Rande der Gesellschaft.
Diese Art Bars, die dann ins Blickfeld rücken, wenn das Geld für die angesagten Schuppen längst nicht mehr reicht. Auch ich bin dort gelandet. Wieder einmal. Prüfung vergeiget, von der Ex hintergangen und wenn alles schiefläuft, sind Freunde Mangelware.

Vor mir der einzige Schimmer goldgelb im schummerigen Licht der Kneipe, und die Schaumkrone das einzig majestätische in dem runtergewirtschafteten Etablissement. Kühles Bier für geschundene Seelen. Die anwesenden Gäste, oder vielmehr Insassen, liefern sich scheinbar einen Wettbewerb mit der Inneneinrichtung und deren Verfall. Ein Panoptikum an Falten, Augenringen und Narben.

„Hank, Schriftsteller“, dringt eine raue, verbrauchte Stimme an mein Ohr. Ich mustere das Gesicht zu den Worten. Bärtig, um die 70, die Haare glänzen fettig, die Nase ist eindeutig die eines gestandenen Trinkers, das restliche Gesicht vernarbt.

„Mh. Fabi. Student.“, grummele ich vage in seine Richtung. „Tut mir leid für dich“, sagt Hank. „Ich war auch auf den Universitäten des Lebens: Krankenhäuser, Gefängnisse und Nutten: An denen habe ich mehrere akademische Grade erworben. Fast jeder kommt als Genie auf die Welt und wird als Idiot begraben.“

So sieht er auch aus, denke ich: Einer dieser Männer, die niemals jung waren, weil ihnen das Leben mitgespielt hat. „Bin gerade durch die Prüfung gerasselt und die Frau ist auch weg. Ein anderer.“
„Ach. Kommt vor. Wir werden alle sterben, jeder von uns, was für ein Zirkus! Das alleine sollte uns dazu bringen, uns zu lieben, aber das tut es nicht. Wir werden terrorisiert von Kleinigkeiten, zerfressen von gar nichts.“

„Sind wir wirklich nur zum Sterben auf der Welt und müssen bis dahin rumhängen?“, frage ich und bestelle noch zwei Bier. „Naja. Letzten Endes schon. Dazwischen können wir die Zeit mit Bier und Frauen füllen. Hin und wieder ein Boxkampf. Das alles ist nur eine Illusion hervorgerufen durch Alkoholmangel.“

Ich muss lachen. Dieser abgeranzte Ort mit seinen vergilbten Tapeten, die darum bemüht sind den Ort zu verlassen, es aber nicht können und langsam abblättern wie die Gäste am Tresen. Bleich, vergilbte Bärte, unfähig an der eigenen Situation etwas zu ändern. Menschliche Tapeten. Und mittendrin Hank und ich. Tresen-Philosophen. Sprechende Tapeten. Mehr nicht.

Hank zündet sich eine Kippe an. „Hier drin nicht rauchen“, ruft der genervte Barkeeper und kommt auf uns zu. Typ über 40. Jeansweste. Er muss keinem was über sein Leben vormachen. Auch sein Gesicht spricht Bände.„O.k. Kein Stress. Wir gehen raus“, beschwichtige ich und bedeute mit einem Kopfnicken, dass Hank und ich vor der Tür qualmen.

Draußen ist es dunkel. Aber warm. Einer dieser Sommer, der vorgaukelt, es könne ein Happy-End geben. „Manchmal kommt es mir vor, als wären wir in einem Film gefangen. Wir kennen unseren Text, wissen wo wir gehen und stehen sollen. Aber wir können nicht mehr raus. Es ist ein verdammt schlechter Film“, eröffnet Hank den Austausch unter Sternen. Der Himmel ist klar.

„Ja. Interessanter Gedanke“, erwidere ich und nehme einen tiefen Schluck aus der Flasche. In manchen Kneipen sollte man immer und ausschließlich aus Flaschen trinken. „Das ist das Problem am Trinken: Wenn was Schlechtes passiert, trinkt man um zu vergessen; wenn etwas Gutes passiert, um zu feiern; und wenn gar nichts passiert, trinkt man, damit etwas passiert.“

„Man muss dem Leben immer um mindestens einen Whiskey voraus sein“, entgegnet mein Trinkkumpel. Mist. Ich kenne das Zitat. Es fällt mir nicht ein, ich nicke und ziehe bedächtig an der Kippe. Das muss mir doch einfallen. Ein Film wars. Genau. Welcher?

Ich wechsle das Thema: „Bist Du auch wegen einer Frau hier gelandet?“ Er lacht und hustet dann. „Nein. Nicht wegen einer. Ich suche schon lange keine Traumfrau mehr. Nur eine Frau, die kein Albtraum ist.“

Als wir wieder auf den Barhockern Platz genommen haben bestellen wir zwei Whiskey. Jeder von uns. Wir müssen uns einen Vorsprung antrinken. Schließlich ist die Anzahl unserer Abende begrenzt. Mit jedem verschwendeten Abend versündigt man sich grausam am natürlichen Lauf des einzigen Lebens, das man hat.

Die Gedanken verschwinden genauso schnell wie die Drinks vor uns. Hank kommt aus L.A. mit deutschen Wurzeln. Daran erinnere ich mich noch. Dann liegt vieles unter einem nebeligen Dunst.
„Mit 70 eine 17-Jährige im Bett zu haben ist, als würde man dem Tod ein Schnippchen schlagen“, das hat er noch gesagt bevor die Fäuste flogen.

Dann betrat das Vergessen die nächtliche Zusammenkunft. Das Vergessen hatte eine Kippe im Mund, eine Träne unter das Auge tätowiert und roch muffig. Und eine dieser Blondinen im Schlepptau, die so schön wie dumm sind. Vaterkomplex. Eine klassische Elektra.

Am nächsten Morgen erwache ich am Fußboden. Der Vorsprung vor dem Leben, den ich mir gestern angetrunken hatte will wieder raus. Ich kotze mir die Seele aus dem Leib, hänge über der Schüssel, spüre eine Beule und mein Kiefer schmerzt. Ich begutachte mich im Spiegel und muss mich erneut übergeben. Die Lippen sind spröde und von getrocknetem Blut überzogen.

Hank. Was für ein Typ. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Humphrey Bogart. Der hat’s gesagt, man müsse dem Leben immer mindestens einen Whiskey voraus sein. Genau. Dann wird mir schwarz vor Augen.

Als ich wieder zu mir komme, erkenne ich, dass ich von beiden Kloschüsseln die falsche erwischt habe. Ich knie im eigenen Schmodder meines Mageninhalts und sehe, dass jemand an die hintere Toilettenwand mit Edding geschmiert hat: „Letztlich rutschen wir alle über die vollgekotzten Badezimmerfliesen unseres Lebens!“


Hank. Man kann dem Leben voraus sein, aber am Ende zahlt jeder drauf. Ich wanke zum Kühlschrank und öffne mir ein Bier. Was hätte ich auch anderes tun sollen.

 

Charles Bukowski wurde 1920 in Andernach geboren und lebte seit seinem 2. Lebensjahr in Los Angeles. Er hielt sich als Leichenwäscher, Tankwart und Hafenarbeiter über Wasser, bis er vom Schreiben leben konnte. Im Alter von 73 Jahren starb er in L.A..

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