LiteratuReise zu Frank Wedekind

7.8.2018, 18:09 Uhr
Wedekinds Grab

© Selina Deger Wedekinds Grab

Die Sonnenstrahlen dringen durch die Baumkronen am Straßenrand und zeichnen eindrucksvolle Muster auf den Asphalt. Die Luft riecht nach einem Gemisch aus aufgewärmten Teer und frischem Laub. Zu dieser Jahreszeit ist nichts mehr vom Erwachen des Frühlings zu spüren. Der Sommer hat längst begonnen. Ich bin auf dem Weg zur ersten Wohnung des Schriftstellers Frank Wedekind, denn ich möchte mehr über den Mann erfahren, der als Provokateur seiner Zeit gilt.

Vorbei an Reihen von restaurierten, alten Häusern schlängle ich mich durch die kleinen Seitenstraßen des Münchener Stadtteils Schwabing. Um 1900 war Schwabing ein Treffpunkt für Künstler aus den verschiedensten Ländern und eine der wichtigsten Kunstmetropolen Europas. Junge Studenten kamen aus aller Welt, um hier zu studieren. So auch der junge Frank Wedekind.

Das "Wüstenei" des Frank Wedekind

An der Hausnummer 42 in der Franz-Joseph-Straße bleibe ich stehen. In dem Haus wo heute Familie Schönau und Familie Raab wohnt, hat vor 118 Jahren Frank Wedekind gelebt. 2018 erinnert hier nichts mehr an den Künstler. Kein goldenes Schild mit dem Schriftzug "erste Wohnung Frank Wedekinds" und kein Relief, das darauf schließen lässt, dass hier einer der berühmtesten Dramatiker seiner Epoche gewohnt hat.

Als ich an der mintgrünen Hausfassade im Jugendstil hinaufschaue, überlege ich in welchem Stock er wohl gewohnt haben mochte. Das zweite Klingelschild ist leer. Wedekind verbrachte wegen Majestätsbeleidigung sechs Monate in Gewahrsam. Nach seiner Haftentlassung kam er im Februar 1900 hier her. Geld, um seine Wohnung einzurichten hatte er nicht. Er selbst sah sein Heim als "Wüstenei, […] in der es […] an jeder Art menschlichen Komforts mangelt".

Das Café, das ihm die Einsamkeit nahm

Doch nicht nur in der Franz-Joseph-Straße war er zu Hause. Das Café Luitpold beschrieb er selbst als sein "zweites Heim". Ich mache mich auf in die Brienner-Straße, wo das Café auch heute noch vorzufinden ist. Unter der Glaskuppel, suche ich mir einen Platz. Heute ist von der prunkvollen Halle mit den hohen Decken und den Wandmalereien nicht mehr viel übrig, dennoch wirkt es nobel.

Besonders gefiel Wedekind "die Beleuchtung, bei Tag ein Mildes Oberlicht, das jeden Winkel erreicht ohne zu blenden". Ich freue mich darüber, dass dem Café diese Eigenschaft geblieben ist und ich zumindest ein bisschen erleben darf, was Wedekind hier erfahren hat . Durch die gläserne Kuppel scheint das Licht und durchflutet den Raum mit sanfter Wärme.

Hier vergaß Wedekind seine Einsamkeit, beobachtete das Regiment an Kellnerinnen, denen er unansehnliche Namen wie "Gespenst, Elefant, Atarte [und] Frosch" gab. Der Kellner mit italienischem Akzent serviert mir meinen Cappuccino. Er ist ganz und gar nicht mit einem Elefanten zu vergleichen. Um mich herum sitzen Leute in gepflegten Gewändern. Hier muss heute niemand mehr Angst haben, dass ihm "die Knöpfe von den Hosen gestohlen" werden.

Vor 130 Jahren traf der Kabarettist im Café Luitpold auch Schriftsteller wie Heinrich Mann und Erich Mühsam. Er stellte ihnen voller Stolz den Entwurf des Buchumschlages für sein Werk "Frühlings Erwachen" vor. Ich kann nachvollziehen, warum Frank Wedekind sich hier wohlgefühlt hat. Bis heute ist dem Café der Charme und die eindrucksvolle Atmosphäre geblieben.

Zwischen glitzernden Fensterscheiben und Anzügen

Eines seiner bekanntesten Werke ist "Frühlings Erwachen". Dieses Stück kam später auch am neuen Münchener Schauspielhaus, den heutigen Kammerspielen zur Aufführung. Ich laufe die Maximilianstraße entlang. Heute reihen sich hier noble Boutiquen an edlen Hotels. Louis Vuitton, Gucci und Escada zeigen ihre glitzernden Schaufenster. Die Scheiben wirken durchsichtig, so fein poliert muss man sie haben.

An mir laufen Männer in perfekt sitzenden Anzügen und glatt gebügeltem Schlips vorbei. Zwischen den teuren Läden liegen unscheinbar die Münchener Kammerspiele. Im Juli 1898 durfte Wedekind hier als Darsteller auftreten. Der Direktor erkannte sein Potential und ernannte ihn zum Dramaturgen des Schauspielhauses. Im Oktober fand die Premiere von "Erdgeist" statt.

Doch die Aufführung stand unter keinem guten Stern. Weil der Text zu schwer ist, waren die Schauspieler überfordert und die Hauptakteurin der Lulu hatte einen Sprachfehler. Lange Zeit führten die Spielhäuser seine provokanten Stücke nicht auf, da die Gesellschaft sie als sittenwidrig ansah. Ich schaue aufs Programm, möchte herausfinden, ob Frank Wedekind hier heute noch gespielt wird. Für die nächsten Monate ist kein Stück eingeplant.

Die letzte Etappe führt zu seinem Grab

Der letzte Ort meiner Reise führt mich dorthin, wo auch Wedekinds Reise endete. Mit dem Bus fahre ich an den Rand von München. An der Haltestelle Waldfriedhof steige ich aus. Abgegrenzt vom Straßenlärm liegt ein kleiner Wald. Als ich durch das Eisentor gehe, stehe ich zwischen Bäumen und mit Moos bewachsenen Gräbern. Ich folge einem schmalen Weg, unter meinen Schuhen knirschen kleine Kieselsteine.

Ich sehe mir die Gräber an und suche nach der Aufschrift "Frank Wedekind". Der Dichter, Dramatiker, Liedsänger und Kabarettist starb am 9. März 1918. An einer weißen Marmorsäule, die eindeutig zu modern für diesen Friedhof aussieht, bleibe ich stehen. Auf der Vorderseite ist ein aus Zinn gegossenes Portrait Frank Wedekinds zu sehen.

Am Kopf der Säule balanciert eine Kugel und ein Pegasos. Diese Grabstätte hebt sich deutlich von den anderen ab. Sie ist viel größer und befreit von Moos und Schmutz. Mir gefällt die Atmosphäre an diesem Ort. Alles ist ruhig, ich höre nur die Amseln, die in den Blättern sitzen. So ruhig war Wedekinds Beisetzung 1918 wohl nicht. Diese wurde zum Skandal, da neben vielen Künstlern wie Berthold Brecht auch zahlreiche Frauen aus dem Rotlichtmilieu teilnahmen.

Wie bei seinen Aufführungen, hat Wedekind es geschafft, den Leuten auch bei seiner Beerdigung reichlich Spektakel zu bieten. Mit diesem Gedanken verlasse ich den Friedhof und mache mich mit einem Grinsen auf den Lippen auf den Heimweg. Immer noch scheint die Sonne durch das Blätterdach der Baumkronen und die Sonnenstrahlen tanzen auf dem Kies. 

 

Frank Wedekind wird am 24. Juli 1864 in Hannover geboren. Schon in seiner frühen Kindheit schreibt er Gedichte. Sein Vater möchte allerdings, dass er Jura studiert. So geht er für das Jurastudium nach München, das er allerdings wieder abbricht. Er arbeitet schließlich auch bei der Satirezeitschrift Simplicissimus. Nachdem er dort ein satirisches Gedicht über Kaiser Wilhelm II. veröffentlicht, wird er wegen Majestätsbeleidigung festgenommen. 1906 heiratet er Tilly Newes, mit der er zwei Kinder bekommt. Frank Wedekind hat immer wieder mit Zensuren zu kämpfen, da seine Werke regelmäßig als unsittlich und grotesk eingestuft werden. Seine Stücke werden oft erst lange Zeit später aufgeführt. Am 9. März 1918 stirbt Frank Wedekind an den Folgen einer Operation.

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