LiteratuReise: Zwei Autoren – ein Gedicht

5.9.2018, 11:57 Uhr
Bei Michael Krüger daheim

© Luise Frosch Bei Michael Krüger daheim

Er liest an die 700 Bücher im Jahr, hat selbst schon sehr viel geschrieben und bekam dafür unter anderem den Mörike- und den Eichendorff-Literaturpreis. Aber so etwas hat sogar Michael Krüger noch nicht gemacht: mit einem Autoren-Neuling von der Hochschule Ansbach zusammen ein Gedicht zu schreiben.

"Herr Krüger, ich will mit Ihnen eine Reise machen: vom ersten Gedanken bis zu einem fertigen Gedicht." Keine Stunde nach meinem Telefonat mit dem bekannten Schriftsteller sitze ich im Zug. "Außerplanmäßig erreichen wir den Anschluss doch", überrascht mich die Bahndurchsage.

Steigende Nervosität begleitet wenig später meine Ankunft in München. Mit allem was der öffentliche Nahverkehr hergibt, gondele ich durch die Großstadt und erreiche mein Ziel. Eine meterhohe, dichte Hecke und ein massives Tor ohne Klingelschild verraten weder Hausnummer noch Namen. Eingeschüchtert drücke ich den silbernen Klingelknopf.

"Ist offen!", tönt es freundlich hinter der Festung. Die Tür geht auf, und mit einem zurückhaltendem Lächeln begrüßt mich Michael Krüger. Der preisgekrönte Autor führt mich in einen kahlen Raum.

Bodentiefe Fenster geben den Blick auf einen gepflegten Rasen und einen eindrucksvollen Baum frei. "Der schönste Ahorn in der Gegend", wie mir Krüger später erzählt. Auf einem weißen Tisch liegen ein Block, ein grüner Stift und eine rundliche Brille. Am Ende der langen Tafel thronen zwei Orangen in einer neongelben Designerschale.

"Gedichte entstehen ja im Kopf, nicht auf dem Papier", steigt Krüger direkt in unsere Thematik ein und erzählt von seinen Werken, Erfahrungen und Preisen. Meine vorbereiteten Fragen wandern langsam zurück in die Tasche.

Anstatt eines Interviews unterhalten wir uns im Opa-Enkelin-Modus. Er plaudert befreit, ich sitze neben ihm, hake hier und da nach. Krügers schriftstellerisches Repertoire ist vielfältig. Er ist Autor ungezählter Geschichten, Novellen, Romane und Übersetzungen. Besonders gern beschäftigt er sich mit Gedichten.

Er bezeichnet sich selbst als Gelegenheitsdichter: "Meine Texte entstehen meist aus einem Augenblick heraus." Aus diesen Momenten, die ihn "flashen und inspirieren", fasst der 74-Jährige Wort um Wort zusammen und sucht die eine Idee, den besonderen Rhythmus oder ein ganz neues Bild, das ihm Freude bereitet. Die Idee hab ich schon: Ein Gedicht über meine Reise. Den Rhythmus müssen wir finden, das Bild wird sich ergeben. Obwohl - man könne nicht auf Knopfdruck dichten, bremst er mich. "Das scheitert in 99 Prozent der Fälle, aber vielleicht haben wir Glück."

Zuerst eine Bestandsaufnahme. In einem geschwungenen Mix aus Schreibschrift und einzelnen Buchstaben kritzelt Krüger "Ansbach – München" auf das gelbe Recyclingpapier. Dann soll ich über meine Gefühle, Eindrücke und Erlebnisse von der Fahrt berichten.

Eigentlich braucht Krüger zum Dichten Ruhe. Dann sammeln wir weiter Worte auf unserer gedanklichen Zugreise zum fertigen Gedicht. Langsam zeichnet sich ein Muster ab.

Die Stichpunkte auf dem gelben Zettel zeigen Gegensätze, wie Nervosität und Ruhe. Der erste Satz des Gedichts steht auch schon: "Nichts reimt sich mehr, auf das früher Verlass war." Nur der erste Satzteil wird es später ins Gedicht schaffen. Nichts Ungewöhnliches – manchmal überarbeitet er Gedichte hundert Mal, das kann Wochen, Monate dauern.

"Gab es Unterbrechungen?", fragt Krüger. Ich erzähle von den Zugproblemen in Treuchtlingen und der eigentlichen Verspätung mit Happy End. "Außerplanmäßig", bemerkt er zustimmend. "Das ist doch ein guter Titel. Schön vieldeutig!"

Die Bestandsaufnahme ist abgeschlossen. Ganz versunken in die Geschichte meiner Reise, fängt Krüger an die Begriffe zu versinnbildlichen. Schnell fliegt sein Stift über das Papier. Hier noch eine andere Reihenfolge, da noch ein Einschub – das ist es.

 

Außerplanmäßig

Im Zug von Ansbach nach
München

überholt uns ein Zitronenfalter,

bald gibt es das große Geld.

Treuchtlingen, du meine Güte!

Nichts reimt sich mehr,

sogar die Bäume wollen zurück,

wo es das Glück gibt.

 

Dann verrät mir der erfahrene Poet seinen Trick, um herauszufinden, ob ein Gedicht stimmig ist: "Man merkt es vor allem beim lauten Lesen." Er gehe dann immer durch den Garten und rede zu den Vögeln. "Wenn sie ihren Schnabel halten, dann ist man schon nah daran, ein ordentliches Gedicht geschrieben zu haben."

Wir verzichten darauf, der Garten wird gerade von fleißigen Helfern bevölkert, die Krügers geliebte Agaven aufstellen. Mit einem einstimmigen Nicken befinden wir unseren Text für gut.

Auf einem neuen Blatt, schön mittig und mit Ort und Datum bekomme ich unser Gedicht erneut aufgeschrieben. "Das müssen wir aber unter unser beider Namen veröffentlichen – das dürfen Sie nicht vergessen", mahnt mich der 74-Jährige, und dann steht da Luise Frosch in einer Zeile mit Michael Krüger.

 

 

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