Miri, das Grusel-Rohr und ich

12.9.2012, 10:00 Uhr
Miri, das Grusel-Rohr und ich

© Ralph Meidl

Erinnert ihr euch an euren ersten Tag im Kindergarten? Nein? Ich auch nicht. Aber ich erinnere mich noch an die Zeit danach – und immer war sie dabei, meine Sandkastenfreundin.

Ich kannte Miri durch das Mutter-Kind-Turnen, im Kindergarten waren wir zusammen in einer Gruppe. Gemeinsam haben wir Marienkäfer in Brotdosen gesammelt und waren so mutig, durch das große Rohr unter der Rutsche zu krabbeln. Wir haben das Laternenlied einstudiert und standen bei Sing- und Theatervorstellungen Seite an Seite auf der Bühne.

Als wir in die Schule kamen, ging es fast nahtlos so weiter: Noch immer luden wir uns gegenseitig zum Geburtstag ein oder trafen uns nachmittags zum Spielen, Straße-mit-Malkreide-Verschönern oder Schinkennudeln-Essen. Wir übernachteten mit Sack und Pack im Kinderzimmer der anderen oder fuhren ins Schwimmbad.

Kurz gesagt: Bei vielen meiner Kindheitserinnerungen spielt sie, neben meinen Schwestern, eine Rolle. Würde ich alle meine Fotoalben durchblättern, wäre sie bestimmt auf jedem vierten Foto zu sehen. Mindestens.

Manche solcher Freundschaften zerfallen nach der Grundschule: Man geht auf unterschiedliche Schulen, hat neue Freunde, verliert sich erst aus den Augen und dann den Kontakt. Miri und ich hielten diesen zum Glück immer – was sicher auch daran lag, dass wir in dasselbe Gymnasium und dieselbe Klasse gingen. Das heißt: dieselben Lehrer, derselbe Stundenplan, dieselben Mitschüler und somit immer ein Gesprächsthema.

Als Miri dann einen anderen Schulzweig wählte als ich, trennten sich unsere Wege ein bisschen – die beiden kleinen Mädchen, die den Kindergarten auf den Kopf gestellt haben, wurden erwachsen. Wir verbrachten nicht mehr so viele Nachmittage zusammen, und gemeinsames Schinkennudeln-Essen fand nur noch in der Schulmensa statt. Jede entwickelte sich in ihre Richtung und baute sich ihren Umkreis auf.

Und trotzdem: Miri und ich sind heute immer noch gute Freundinnen. Denn Sandkastenfreundschaften sind solche, bei denen man nicht mehr weiß, wann die Freundschaft angefangen hat. Vielleicht war es ein schüchternes Lächeln von einem Kindergesicht zum anderen oder die Initiative der Eltern?! Vielleicht bleibt es ein Rätsel.

Es spielt aber auch keine Rolle. Denn man kennt den anderen im wahrsten Sinne des Wortes sein Leben lang. Klar, man lebt sich möglicherweise auseinander, hat unterschiedliche Ziele und Wünsche.

Aber dennoch weiß man genau, dass man dem anderen alles beichten und immer auf ihn zählen kann. Und dass man diese Gewissheit schon seit Kindertagen hat – und sie auch in Zukunft bestimmt nicht verloren gehen wird – macht eine Sandkastenfreundschaft noch ein bisschen spezieller. Danke dafür, Miri.



Verwandte Themen


Keine Kommentare