Psychiater warnt vor "Digitaler Demenz"

24.4.2016, 17:30 Uhr
Psychiater warnt vor

© F.: Markus Kölle

Herr Spitzer, was meint Ihr Begriff der „Digitalen Demenz“?
Manfred Spitzer: Der Grundgedanke ist ganz einfach: Demenz heißt zunächst nichts weiter als geistiger Abstieg. Wer nun durch übermäßige Nutzung digitaler Medien in Kindheit und Jugend seiner Gehirnentwicklung schadet, bei dem werden im Alter die Symptome geistigen Abbaus früher sichtbar. Man spricht hier auch von der kognitiven Reserve, die darüber entscheidet, wann ein Gehirnabbau sich durch geistigen Abbau bemerkbar macht: Ist die kognitive Reserve groß, kann viel kaputt gehen, ohne dass die geistige Leistung merklich abnimmt. Arbeitet das Gehirn aber — weil es in Kindheit und Jugend weniger trainiert wurde — schon an seiner Leistungsgrenze und erlebt dann kleine Schäden, nimmt die geistige Leistungsfähigkeit rasch ab.

Wie baut das Gehirn diese Reserve auf, also wie lernen wir?
Spitzer: Das menschliche Gehirn besteht aus etwa hundert Milliarden Nervenzellen, die dadurch lernen, dass sich die Verknüpfungen zwischen ihnen gebrauchsabhängig verändern. Wenn wir etwas lernen, werden die Verknüpfungen größer oder es kommen neue hinzu. Umgekehrt gilt: Was nicht gebraucht wird, schrumpft oder wird ganz weggeräumt.

Und wie wirken dann digitale Medien in diesem Zusammenhang?
Spitzer: Kleine Kinder müssen die Dinge ergreifen, um sie zu begreifen! Es ist nachgewiesen, dass die sensomotorische Entwicklung entscheidend für die Entwicklung höherer geistiger Leistungen ist. Aber: Die Handgriffe zum Benutzen der verschiedensten Dinge in der Welt lernt ein Kind nicht, wenn es mit immer gleicher Handbewegung über eine Glasoberfläche wischt. Das ist vielmehr eine maximale Einschränkung des Erlernens sensorischer und motorischer Fähigkeiten.

So betrachtet ergibt sich ein sehr negatives Bild von digitalen Medien, vor allem wenn Kinder sie verwenden. Wie kann man der „Digitalen Demenz“ entgegenwirken?
Spitzer: Die Dosis macht das Gift! Junge Menschen müssen vor dem Einfluss digitaler Medien ganz eindeutig geschützt werden. Gestatten Sie mir einen Vergleich: Genau wie Alkohol machen digitale Medien süchtig und beeinträchtigen die Gehirnentwicklung. Entsprechend ist es unverantwortlich, in Kindergärten oder Grundschulen digitale Medien einzuführen, um die Kinder an sie zu gewöhnen. Niemand wird ein besserer Informatiker, wenn er in Kindergarten oder Grundschule schon am Tablet spielt.

Hat sich seit der Veröffentlichung Ihres Buches „Digitale Demenz“ im Umgang mit Smartphone & Co. etwas verändert?
Spitzer: Ja, und diese Entwicklungen stimmen optimistisch! 2015 wurde beispielsweise in der Tagesschau über eine deutsche Studie an 500 Kindern im Alter von 8 bis 14 Jahren berichtet. Knapp die Hälfte fühlt sich durch das Smartphone bei den Hausaufgaben abgelenkt,

knapp ein Viertel gestresst und ein Fünftel in den Schulleistungen beeinträchtigt – sagen die Schüler selber!

Autonomie – also das Gegenteil von Druck und Stress – gewinnt man nur, wenn man die Voraussetzungen dafür zuvor tausendfach im Kleinen eingeübt hat, und zwar durch vielerlei eigene Aktivitäten wie Sport, Musik, Arbeit mit den Händen und Ähnliches.

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