Schwarz und schrill gegen den Mainstream

15.12.2012, 10:00 Uhr
Schwarz und schrill gegen den Mainstream

© Horst Linke

„Gothic-Kultur“ zu definieren, sei schwierig, meint Stephanie Rifkin. „Eigentlich ist es eine Lebenseinstellung – und die ist so unterschiedlich.“ Die Fürtherin, die demnächst ein Studium in Biotechnologie beginnen möchte, würde sich selbst auch nicht Gothic nennen, lieber „Mitglied der schwarzen Szene“. „Diese Kultur ist so vielseitig, dass sich Subkulturen in der Subkultur gebildet haben. Nur ,Gothic’ ist zu einseitig.“

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© Yvonne Sieber/privat

Die Lebenseinstellung, von der die 20-jährige Schülerin spricht, ist für sie vom Hinterfragen der Gesellschaft, insbesondere des Konsumverhaltens, geprägt: „Viele Mitglieder reflektieren ihren Konsum mehr als andere Leute. Daher gibt es zum Beispiel auch viele Vegetarier in der Szene. Ich achte sehr darauf, was ich esse, insbesondere bei Zusatzstoffen, bei denen sich viele gar nicht über die Toxizität im Klaren sind. Ich versuche, meinen Freundeskreis über die Lügen der Lebensmittelindustrie aufzuklären. Und ich meide Großkonzerne, mit deren Prinzipien ich mich nicht identifizieren möchte.“

Leben und Tod

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Natürlich beschäftigen sich die Mitglieder der Szene auch mit dem Tod. Aber das ist nicht essentieller Bestandteil ihrer Kultur. Dem Leben und seinen Fragen sind sie ebenso zugewandt, und sie beschäftigen sich vielmehr damit, was sie vor dem Tod erreichen möchten, um den eigenen Frieden zu finden, erklärt Stephanie.

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© Yvonne Sieber

Dass alle Gothics in Särgen schlafen und gerne über Friedhöfe spazieren, ist genauso ein Klischee wie die pauschale Einstufung der Szene-Anhänger als Satanisten. Todessehnsüchte oder Ähnliches sucht man bei der dunkelhaarigen Fürtherin vergeblich. Sie ist, wie viele andere aus der Szene, Agnostikerin – sie ist also weder überzeugt von der Existenz Gottes, noch lehnt sie Religion strikt ab.

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© privat

Ungefähr seit sie 13 ist, gehört Stephanie zur Szene. „Das Dunkle fand ich schon immer interessant. Als Kind wollte ich immer die böse Fee spielen“, sagt die Schülerin und muss lachen. Durch ihren Musikgeschmack Black Metal kam sie schließlich in Clubs wie das Koma in Nürnberg, tauchte in die Szene ein – und begann ihre Karriere als DJane.

Schrill eckt an

Also Plattenauflegen und Nachdenken über die Welt als Lebensinhalt? „Ich bezweifle, dass es so etwas gibt wie die typische Gothic-Freizeitgestaltung. Früher hätte ich sagen können, dass Saufen generell nicht dazugehört, aber das hat sich mit der Party Crew Nürnberg und Konsorten leider geändert. Ich treffe gerne Freunde, lese viel, besuche Festivals und veranstalte selbst welche. Außerdem bin ich sportlich aktiv, singe, koche und backe leidenschaftlich gerne. Da ist nichts Exotisches dabei.“

Dass schwarze Kleidung zum Markenzeichen der Szene geworden ist, erklärt Stephanie durch den Einfluss verschiedener Bands und den Hang zum Mysthischen. Mit ihrem auffälligen Äußeren eckt die 20-Jährige immer wieder an. Vorurteile kommen dabei jedoch nicht unbedingt von der älteren Generation. „Ältere Menschen fragen mich manchmal, was ich eigentlich bin, aber das ist ja reine Neugierde.“ Probleme bereiten Stephanie jüngere Menschen: „Ich traue mich nachts nicht mehr U-Bahn zu fahren, weil ich Angst habe, verprügelt zu werden. Ich wurde schon beschimpft und angespuckt.“

Dass sich gerade ein Wandel in der Szene vollzieht, ist auch Stephanie aufgefallen: „Eigentlich nicht ungewöhnlich, wenn eine neue Generation mit anderen Ansichten nachkommt. Aber ich habe das Gefühl, dass es nur noch ums Aussehen und Partymachen geht. Oft steht nur die Provokation im Vordergrund – und nicht die Lebenseinstellung.“

Und, Stephanie: Einmal schwarze Szene - immer schwarze Szene? „Ob ich für immer schwarze Kleidung trage, weiß ich nicht. Aber die Lebenseinstellung werde ich nicht so schnell ändern. Bei der schwarzen Szene handelt es sich keineswegs nur um eine Jugendkultur: Die Einstellung hat man fürs Leben.“

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