„Tiere wollen auch faulenzen – wie wir“

15.10.2016, 06:03 Uhr
„Tiere wollen auch faulenzen – wie wir“

© Archivfoto: dpa

Vor fast zehn Jahren ist Sezgin aufs Land gezogen und hat dort gesehen, wie Milchkühe und Biohühner leben. Seitdem lebt sie vegan, was bedeutet, dass sie nichts isst oder anzieht, was von Tieren stammt. In der Lüneburger Heide hat sie einen kleinen Lebenshof. Wir haben ihr ein paar Fragen zu ihrem neuen Buch und ihrem Alltag auf dem Hof gestellt.

Hilal, spinnen Veganer?

Hilal Sezgin: Nein, überhaupt nicht! Vegan zu leben, ist eine der vernünftigsten Entscheidungen, die man für sich treffen kann. Denn die Produktion von Fleisch, Fisch und Milch kostet die Menschheit viele Ressourcen, verbraucht Land, Wasser und Getreide aus ärmeren Ländern und verursacht große Mengen an Klimagasen. Die meisten von uns Veganern stellen allerdings die tierethischen Gründe in den Mittelpunkt: Es ist schlicht grausam, was wir den Tieren antun, sie einsperren, sie töten . . .

 

Deine Tiere werden aber nicht gegessen oder sonstwie genutzt – wer lebt denn so auf deinem Lebenshof?

Hilal Sezgin: Hier leben zwei Gänse, fünf Kaninchen, 35 Schafe und zwei Ziegen. Geplant war das nicht, die sind irgendwie bei mir gelandet. Die Ziegen und Kaninchen zum Beispiel sollten geschlachtet werden. Oft fragen Leute, was ich jetzt mit ihnen tue, und dann sage ich: Gar nichts! Na ja, streicheln und füttern natürlich. Aber im Grunde wollen diese Tiere einfach nur rumlaufen, faulenzen, mit ihren Verwandten zusammen sein, leben halt. So wie wir! Und genau das versuche ich, meiner kleinen Truppe hier zu ermöglichen.

 

Menschen tun gerne so, als hätten sie mit Tieren nichts gemeinsam. Wie und warum machen sie das?

Hilal Sezgin: Zu allererst schon mal, indem wir so tun, als wären Menschen und Tiere etwas ganz Unterschiedliches. Dabei sind wir Menschen, biologisch gesehen, ja auch Tiere. Aber wir verwenden überall andere Begriffe. Wir sagen zum Beispiel, eine Frau gebärt ihr Kind – aber ein Tier wirft ein Junges. Als ob nicht in beiden Fällen ein ähnlicher Schmerz, aber auch ähnliche Liebe und Fürsorge im Spiel wären. Und dann nennen wir manche Tiere „Nutztiere“ und behaupten, dass wir sie darum einsperren und essen dürften. Aber kein Tier kommt als Nutztier auf die Welt; wir teilen sie nur so ein, damit wir sie ruhigen Gewissens (aus)nutzen und essen können.

 

Können Tiere trauern oder lustig sein?

Hilal Sezgin: Ja, natürlich können Tiere trauern, wenn Verwandte und insbesondere ihre Kinder sterben. Spaß haben können sie auch; sie spielen Fangen oder kitzeln einander. Viele Tiere rutschen gerne eine Rutsche herunter oder toben durch frisch gefallenen Schnee. Leider hat die Biologie lange Zeit die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren betont und sich kaum getraut, über die Gefühle der Tiere zu sprechen. Das hat sich Ende des 20. Jahrhunderts geändert, eine neue Art der Verhaltensforschung ist entstanden, man beobachtet die Tiere vorurteilsfreier und sieht: In vielem sind wir uns ähnlich, verwandt. Was eigentlich nicht überraschend ist, denn genau das besagt auch die Evolutionstheorie.

 

Denkst du, Tiere sind fairer?

Hilal Sezgin: Ob Tiere deswegen gleich fairer sind als wir, weiß ich nicht. Auch Tiere können gemein sein, gierig, egoistisch. Sie haben nur zumeist weniger technische Möglichkeiten. So viel wie wir Menschen kaputt machen, sogar den Weltraum verschmutzen, das schafft natürlich kaum ein Tier.

Was würdest du jungen Leuten empfehlen, die vegan leben wollen?

Hilal Sezgin: Sucht euch Verbündete, sucht euch Freunde, die die Dinge ähnlich sehen, mit denen ihr euch informieren und diskutieren könnt. Das Wichtigste ist in meinen Augen nicht, dass man von jetzt auf gleich 100 Prozent vegan wird – das geht vor allem dann nicht, wenn der Rest der Familie dagegen ist. Ich kenne einige Jugendliche, die lassen einfach das Fleisch weg und essen nur die Kartoffeln, aber das ist ungesund und keine vollwertige vegane Ernährung.

Ihr sollt euch nicht kaputt machen! Sondern wir wollen gemeinsam und dauerhaft eine Gesellschaft aufbauen, in der Tiere nicht mehr ausgebeutet und getötet werden. Dazu kann man auf verschiedene Weise beitragen, zum Beispiel indem man eine Tierschutz-AG gründet, auf Demos geht oder Tierrechtsthemen in die Schule trägt.

Verwandte Themen


Keine Kommentare