Von der Tierärztin zur Vollblutforscherin

9.1.2017, 17:39 Uhr
Von der Tierärztin zur Vollblutforscherin

© Foto: Julia Beeck

Eine Brasilianerin im winterlichen Deutschland, da kommt sofort die Klischee-Frage: Ist ihr nicht viel zu kalt? Thaissa Dantas Pessoa lacht erstmal herzhaft, dann sagt sie: „Ganz ehrlich, daheim friere ich mehr! In São Paulo kann es im Winter schon mal fünf Grad kalt werden. Klingt erstmal nicht schlimm, aber die Häuser sind oft nicht gedämmt und verfügen kaum über Heizungen.“ Drinnen im Haus sei es dann fast so kalt wie draußen. Und deshalb gefalle es ihr in Deutschland so gut. „In den Häusern ist es immer kuschelig warm. Das macht den Winter erträglich.“

Die Humboldt-Stipendiatin arbeitet am Erlanger Lehrstuhl für Zelluläre und Molekulare Physiologie an einem zweijährigen Forschungsprojekt. „Ich untersuche ein ganz bestimmtes Protein, den sogenannten TRPV4-Ionenkanal“, erklärt sie. „Das ist ein Transport-Protein und für den Austausch von Ionen zwischen dem Zellinneren und dem Zelläußeren zuständig.“

Die Wissenschaftlerin versucht, die Funktionsweise des Proteins zu verstehen, und analysiert die Mechanismen seiner Regulation. „Das TRPV4-Protein kommt besonders häufig in der menschlichen Niere vor. Die Bedeutung für die Nierenfunktion ist zwar weitgehend unklar. Aber wenn eine Mutation dieses Proteins vorliegt, leiden die Betroffenen beispielsweise an schlimmen Gelenkschmerzen.“

Thaissa Dantas Pessoa betont, dass es bei ihrem Projekt um Grundlagenforschung geht. Dennoch kann sie sich vorstellen, dass aufgrund der Ergebnisse irgendwann einmal ein Medikament entwickelt werden könnte. Für ihr Forschungsprojekt untersucht sie das Protein mit Hilfe von elektrischen Strömen in Zellen. Ihre Experimente macht sie in einem Faraday’schen Käfig, damit die elektromagnetische Abschirmung möglichst groß ist.

Ihre Liebe zur Forschung hat die Brasilianerin erst über Umwege entdeckt. Zunächst studierte sie Tiermedizin in Sãao Paulo und arbeitete dort einige Jahre als Tierärztin: „Leider wurde der Beruf für mich sehr schnell zur Routine. Außerdem habe ich festgestellt, dass die Liebe der Tierbesitzer oft beim Geldbeutel stoppt. Einige Tiere hätten operiert werden müssen, das war den Besitzern dann aber zu teuer. Diese Einstellung hat mich wütend gemacht.“

Thaissa Dantas Pessoa entschloss sich daher, zusätzlich Biologie und Chemie auf Lehramt zu studieren; dabei kam sie immer wieder mit Forschungsthemen in Kontakt. „Die systematische Suche nach neuen Erkenntnissen“, sagt sie, „hat mich elektrisiert und bis heute nicht mehr losgelassen.“

Von 2009 bis 2013 promovierte sie am Institut für Biomedizinische Wissenschaft an der Unit São Paulo zum Thema Nieren- und Transportphysiologie. 2012 lernte sie bei einem Vortrag in Brasilien ihren jetzigen Chef Prof. Christoph Korbmacher kennen, der sie nach Erlangen einlud. Zunächst begann sie dort ein Praktikum, wenig später bekam sie ein Humboldt-Stipendium.

Ihr Mann, ein Historiker, kam mit nach Erlangen. Momentan arbeitet er an einem Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin. „Obwohl wir zu zweit sind“, sagt Thaissa Dantas Pessoa, „versuchen wir, viel Deutsch zu lernen und zu sprechen. Es wäre falsch, sich einzuigeln. Denn die Sprache ist der Schlüssel zur Kultur eines Landes.“

Auf dieses Weise hätten beide schon viele nette Leute in Deutschland kennengelernt. „Was mir außerdem hier sehr gut gefällt, ist der geregelte Verkehr. Die Luft ist gut und vor allem: In zehn Minuten bin ich mit dem Fahrrad bei der Arbeit! In Brasilien habe ich für den Weg zur Arbeit zwei Stunden gebraucht.“

Als Jugendliche überfallen

Im Vergleich zu São Paulo sei hier die Kriminalität sehr gering. „Als ich 14 Jahre alt war, bin ich daheim auf der Straße ausgeraubt worden. Man hat mir meine Schuhe geklaut! Gott sei Dank wurde ich nicht verletzt!“

Was die Forscherin in Deutschland nicht versteht, sind die oft mürrischen Gesichter. „Eigentlich geht es den Leuten doch gut. Sie müssten mit einem Dauergrinsen durch die Straße gehen. Leider ist oft das Gegenteil der Fall!“

Das findet sie schade. Vielleicht gehe es den Deutschen zu gut, oder es liege am Klima, überlegt sie. Denn auch die dunkle Jahreszeit schlägt ihr, das gibt sie zu, selbst manchmal aufs Gemüt. Besonders macht aber der deutsche Winter ihrer kleinen Hundedame Tchuca zu schaffen. „Ich habe sie aus Brasilien mitgebracht. Der Winter hier macht sie regelrecht depressiv. Da mache ich viele Spaziergänge mit ihr. Und das tut uns beiden gut.“

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