Wer zahlt den Preis?

16.6.2015, 18:17 Uhr
Wer zahlt den Preis?

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Wir kaufen sie gerne, freuen uns über jedes Schnäppchen und werfen sie oft ungeachtet nach kurzer Zeit in den Müll: günstige Kleidung. Doch wie hoch ist der eigentliche Preis?

Eine junge Frau steht weinend vor der Kamera. Sie versucht vergeblich, ihre Tränen zurückzuhalten und wendet ihr Gesicht ab. Warum rollen ihr Tränen übers Gesicht? Weil ein ebenso junges anderes Mädel ihr gerade erzählte, dass ihre Mutter starb, als sie noch ein Baby war. Sie war nicht krank, sie wurde nicht ermordet. Sie starb, weil sie nicht genug zu essen hatte. Nicht genug, um zu überleben. Was die beiden Mädchen unterscheidet? Der Zufall, dass ein Mädchen in Norwegen geboren wurde, das andere in Kambodscha.

Die Szene stammt aus der Online-Doku „Sweat Shop“, die vor einigen Monaten weltweit Aufsehen erregte. Eine norwegische Zeitung schickte drei junge Mode-Blogger nach Kambodscha. Dahin, wo die Kleidung produziert wird, die die Norweger jeden Tag kaufen, tragen und entsorgen. Oftmals hatten sie, wie wir alle, schon von den schlimmen Produktionsbedingungen gehört, von den viel zu niedrigen Löhnen und der Armut, in der die Arbeiter leben.

Spätes Mitleid

Aber das alles verblasst ganz leicht, eine Masse gesichtsloser Menschen, die leiden. Sie leiden, damit wir billige Kleidung tragen können. Erhalten sie jedoch ein Gesicht, wie ein 19-jähriges Mädchen, dessen Mutter an Unterernährung starb, fühlen wir plötzlich mit. Genauso wie im April 2013, als wir Bilder im Fernsehen sahen, die zeigten, wie Helfer leblose Körper aus einem Trümmerhaufen trugen – leblose Körper in farbenfrohen Kleidern.

Letztlich waren es mindestens 1134 Leichen, die aus dem Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch geborgen wurden. Sie alle waren Näherinnen. Auf der Kleidung, die sie bis zu ihrem Lebensende nähten, wird man später die Etiketten von Modelabels finden wie Benetton, Primark, C&A, Zara, Mango . . .

Fast alle bekannten Modeunternehmen lassen in Bangladesch produzieren. Nirgendwo sind die Lohnkosten so gering und die Auflagen hinsichtlich Sozial- und Umweltstandards so leicht zu umgehen. Das Durchschnittseinkommen beträgt 627 Euro im Jahr, 31 Prozent der Bevölkerung lebt unter der offiziellen Armutsschwelle von 93 Cent am Tag. Die Vorstellung, dass nur Billigmarken so produzieren lassen, ist längst überholt.

Kaum Lohn

In den vergangenen Jahren hat das Modeunternehmen Hugo Boss zum Beispiel seinen Gewinn verdreifacht. Ein Anzug kostet mindestens 500 Euro. Dennoch ergaben Recherchen der Initiative für Saubere Kleidung, dass den Mitarbeitern des Zulieferbetriebs in der Türkei nicht mal so viel Monatslohn gezahlt wird, um über der Armutsgrenze zu leben. Nicht mal so viel, wie ein Anzug im Geschäft kostet. Daher stellt sich die Frage, was mehr wert ist: ein Anzug oder ein Menschenleben?

Wir wissen alle, dass jemand anderes den Preis dafür bezahlt, wenn wir ein Shirt für zehn Euro kaufen. Aber was tun? Natürlich ist es Aufgabe der Politik, Gesetze zu schaffen, die die Ausbeutung von Menschen verhindern und die Marktmechanismen bremsen. Aber auch der Einzelne kann viel bewegen.

Meist reicht eine Frage: Brauche ich das neue Teil wirklich? Und wenn ja, warum nicht bewusster konsumieren und in Second-Hand-Läden stöbern oder Tauschbörsen beitreten? Unsere Kleiderschränke sind voll, und wir fühlen uns trotzdem, als hätten wir nichts zum Anziehen. Wie muss es sich wohl anfühlen, wenn nicht nur der Kleiderschrank, sondern auch der Magen leer und die Hoffnung auf ein erfülltes Leben ausgeschöpft ist?

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