Schnaittach soll einen Helden verlieren

8.11.2011, 19:00 Uhr
Schnaittach soll einen Helden verlieren

In der Pogromnacht 1938 habe er sich jüdisches Eigentum unter den Nagel gerissen. Außerdem ist neu ein antisemitischer Vortrag aus seiner Feder aufgetaucht. Eingeladen hatte das Jüdische Museum, das sich seit 1996 das Schnaittacher Ensemble aus ehemaligem Rabbinerhaus und der früheren Synagoge mit dem Heimatmuseum teilt.

Vor nicht ganz 50 Zuhörern im Sparkassensaal war Museumschefin Daniela Eisenstein als Moderatorin der Diskussion zu dem schwierigen Thema darum bemüht, die „Legende endlich aus dem Gedächtnis der Bevölkerung zu löschen“, Stammler habe die Synagoge samt Inventar im November 1938 gerettet. So ihre Darstellung.

Keiner der geladenen Experten und auch nicht Norbert Weber vom Museums- und Geschichtsverein oder Bürgermeister Georg Brandmüller, beide als Schnaittacher Vertreter, waren im Grundsatz anderer Meinung. Felicitas Heimann-Jelinek (ehemals Leiterin Jüdisches Museum Wien) wurde am deutlichsten: „Man kann nicht wirklich sagen, was seine Motivation war. Aber sicher waren es keine humanistischen Beweggründe. Denn man muss immer sehen, dass diese ,Rettung‘ nur notwendig war, weil man vorher oder zeitgleich die Besitzer verschleppte oder in den Tod trieb.“

Also kein Retter, sondern ein Räuber? „Die Geschichte liefert nicht nur reine Helden oder immer eindeutig Schwarz und Weiß“, sagte Edith Raim (Institut für Zeitgeschichte München). Deshalb lag am Ende der über zweieinhalbstündigen Veranstaltung eher die Wortwahl„Unterschlagung“ oder „Diebstahl“ nahe, wie ein Zuhörer vorschlug.

Aber was war Stammlers tatsächliche Haltung? War er nur der leidenschaftliche bis fanatische Sammler, wie Norbert Weber nach Sichtung aller ihm bekannten Unterlagen feststellte? Dieses Material, schränkte der Museumsvereinsvorsitzende ein, habe zu 80 Prozent Stammler selbst geschrieben oder stammte von nicht ganz zweifelsfreien Zeugen während der Entnazifizierungsprozesse.

Miserable Quellenlage

Grund für die miserable Quellenlage ist das sehr lückenhafte Gemeindearchiv, gerade auch, was die Hitlerzeit angeht. „Lange Zeit hatte jeder darauf Zugriff. Es ist viel herausgenommen worden“, berichtet Weber. Von wem? Schulterzucken. Ein gutes Beispiel ist ein Vortrag Stammlers von 1937 über „Die Juden in Schnaittach“. Überliefert war bisher nur, dass er ihn gehalten hat, und zwar fünf Tage nach seinem wohl unstrittig erzwungenen NSDAP-Beitritt.

Hätte er sich der Hitlerpartei verweigert, hätte er sein Heimatmuseum, sein Lebenswerk, aufgeben müssen. Der besagte Vortrag aber sei objektiv und unparteiisch gewesen, lautete Stammlers Aussage während der Entnazifizierung. Zu finden war das Manuskript bisher aber nirgends. Klar antisemitisch? Monika Berthold-Hilpert (Kuratorin des Jüdischen Museums Franken), seit 20 Jahren bestens mit den Schnaittacher Verhältnissen vertraut, liegt dieses Schriftstück seit kurzem vor.

Sie zitierte daraus – sinngemäß schrieb Stammler: Da sich „der Jude“ auf Kosten „der arischen Volksgenossen“ rücksichtslos breit mache und das Brot weg nehme, sei es kein Wunder, wenn der Gesetzgeber nach Mitteln greift, „die sich zum Teil sehr drastisch auswirken“. In Schnaittach habe sich während des 600-jährigen Nebeneinanders mit den Juden keine „Rassenschande“ ereignet – „so stehen wir vor unserem Führer arisch, rein und deutsch. Heil Hitler.“ „Das ist klar als antisemitisch zu werten“, sagte Heimann-Jelinek dazu.

Und Berthold-Hilpert hält es zumindest noch für möglich, dass sich Stammler auf diese Weise anpasste, „um seine Tätigkeit als Museumsleiter ohne Behinderungen und Einmischung durch Parteistellen auszuführen“. Ausgerechnet im selben Jahr dachte Stammler über einen neuen Museumssitz nach: am Marktplatz, in der Fröschau und „Das Dritte wäre die Judensynagoge“.

Synagoge vor Abbrennen bewahrt

Zwei Probleme sieht er – die Kosten und als Frage formuliert: „Wann bringen wir die Juden los?“ So steht es in der Museumschronik. In diesem Licht erscheine die Geschichte von seiner Rettungstat, nach der er in der Nacht des 9. November 1938 die Feuerwehr rief und so die Synagoge vor dem Abbrennen bewahrte, nur noch als wenig glorreich. Dies sei keine „politisch motivierte Widerstandstat“ gewesen, so Berthold-Hilpert, sondern ein „Widerstand aus Eigeninteresse“.

Kurz darauf musste die jüdische Gemeinde den Gebäudekomplex an die Gemeinde abtreten, die dort Stammlers Sammlung unterbrachte, unter anderem 500 Judaica, die damals auf dem Kunstmarkt schon einen gewissen Wert hatten. Manches blieb, manches verschwand über verschlungene Wege und tauchte später in Privatbesitz wieder auf.

Ein Unrecht, wie Eisenstein betonte, die Gemeinde müsse prüfen, wie sie mit der Eigentumsfrage umgehen will. Zusammenfassend forderte die Moderatorin die Gemeinde und auch den Museumsverein dazu auf, die Zeit der Nazi-Diktatur – nach dem ersten „Quantensprung“ in Schieber-Schönwalds Schnaittach-Chronik – weiter aufzuarbeiten. Zeitzeugeninterviews wären ein Weg, die Nachfolge-Generation habe ein Recht darauf, um zu verstehen und zu lernen, nicht um zu (ver-)urteilen.

Auch müssten die Archive professionell durchgearbeitet werden. Stammlers Rolle aber kann wohl nicht eindeutig geklärt werden, so das Fazit, sie müsse immer zweideutig gesehen werden. Ohne Legende.

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