Sebaldus wandelt durch die Altstadt

1.8.2014, 08:37 Uhr
Sebaldus wandelt durch die Altstadt

© Harald Sippel

Er fühlt sich wohl in seiner Pluderhose, doch geht es vor allem um den optischen Effekt: „Das Auge ist ein hungriger Wolf. Damit die Menschen bei den Rundgängen auch etwas zu sehen bekommen, trage ich diese Sachen.“

Kirchner führt Gruppen durch die Altstadt, seine Kleidung ist dabei ein wichtiger Bestandteil, denn es sind keine klassischen Sightseeing-Touren, die der 44-Jährige anbietet. Kirchner ist Geschichtenerzähler. „Damit kann man im Deutschen nicht mehr allzu viel anfangen. In Irland weiß man sofort, was damit gemeint ist“, sagt er und ergänzt: „Das ist einer der ältesten Künstlerberufe der Menschheit.“

Lange Tradition

Menschen hätten sich schon immer Geschichten erzählt, schon vor Tausenden von Jahren am Lagerfeuer. Kirchners Leidenschaft hat indes einen familiären Ursprung: „Meine Urgroßmutter war eine wunderbare Erzählerin.“ Mit zwölf Jahren begann er, ihre Texte niederzuschreiben. Mittlerweile hat er rund 40 000 Sagen und Legenden zusammen. „Zu Nürnberg allein sind es 350 Geschichten.“

Einige bekommt sein Publikum zu hören, wenn es sich mit Kirchner in den Abendstunden in der Altstadt auf den Weg macht. Rund 50 Personen sind es diesmal, die sich für die „Nürnberger Geisterwege“ interessieren. Wie viele Leute kommen, weiß Kirchner nie, eine Anmeldung erbittet er nur von großen Gruppen. Bis zu 200 Leute kann er erreichen. „Nürnberger sind immer mit dabei, dann Menschen aus dem Umland, Touristen, gerade zu den Zeiten des Christkindlesmarkt, alle Altersklassen, Herren im Anzug, Punks.“

Auch heute ist das Publikum gemischt, Grundschulkinder stehen neben rüstigen Rentnern und lauschen Kirchner, wie er an der Sebalduskirche die Legende des Namensgebers erzählt: Ein dänischer Königssohn sei der Sebaldus gewesen, ein Einsiedler und Wunderheiler. Und nach seinem Tod sei er nachts als Geist rastlos dorthin zurückgekehrt, wo jetzt die Sebalduskirche steht.

Kirchner erzählt ruhig, aber nicht monoton, legt immer wieder Kunstpausen ein, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer sicherzustellen, seine Gestik ist wohldosiert. „Ein Geschichtenerzähler bildet mit den Zuhörern eine Erzählergemeinschaft“, sagt er. „Der Erzähler muss mit dem Publikum spielen können. Wenn ich merke, bei einer Gruppe funktioniert eine bestimmte Geschichte nicht, stelle ich die Tour um, und es wird ein Erfolg.“

Historie im Gepäck

Seit 13 Jahren ist Kirchner in der Noris unterwegs. Dass sein Beruf hier so gut funktioniert, hat seine Gründe: „Nürnberg ist eine Stadt, die im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit eine der bedeutendsten Städte Mitteleuropas war. Nicht umsonst gibt es Sprüche wie ‚Nürnberger Tand geht durch alle Land‘. Als Handelsstadt kreuzten sich hier viele Wege. Das macht die Stadt so spannend, denn jeder hat seine Geschichten mitgebracht und jeder hatte etwas zu erzählen.“

Kirchners Geschichten drehen sich neben Sebaldus um Figuren wie Sigena oder Kaspar Hauser, aber auch um Kaiser und Könige, die in Nürnberg zu Besuch waren. Aber nicht nur durch die reiche Historie bietet sich die Frankenmetropole als Wirkungsort an. „Nürnberg hat als Großstadt einen Charme bewahrt, etwas Kleinteiliges.“

Bedenken, dass ihm seine Arbeit langweilig werden könnte, hat Kirchner nicht. „Es gibt Geschichten, die ich schon tausend Mal erzählt habe, aber ich werde nicht müde, das zu tun. Es ist jedes Mal etwas Neues, weil das Publikum neu ist.“

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