Spielend zur Kulturhauptstadt

22.3.2019, 08:00 Uhr
Spielend zur Kulturhauptstadt

© Sabine Göb

Diese Küche würde jedes Klischee vom Kreativ-Ort erfüllen, an dem über Spielbrettern gebrütet wird und wo Ideen für liebevoll gezeichnete Kinderspiele entstehen. Im Hintergrund bullert der Kachelofen, ein großer Tisch dominiert den Raum, und das alles in einer sorgfältig renovierten uralten Mühle im mittelfränkischen Uehlfeld. "Drei Hasen in der Abendsonne", der Verlag von Kathi Kappler und Johannes Rüttinger, ist ein Familienbetrieb.

Inzwischen sind die Kinder mit im Boot, und so hat Johannes Rüttinger (71) ein wenig mehr Zeit, um über das Spielen zu sinnieren. "Im besten Fall bringt es Menschen zusammen. Wahrscheinlich ist Spielen eine universelle Weltsprache. Vielleicht die einzige Weltsprache, die jeder versteht."

Daher ist für ihn die Idee, Nürnbergs Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2025 mit dem Thema Spielen zu verbinden, folgerichtig. Schließlich sollen durch diesen Titel, für den von der EU 1,5 Millionen Euro Preisgeld zur Verfügung gestellt wird, der europäischen Öffentlichkeit besondere kulturelle Aspekte der Stadt, der Region oder des betreffenden Landes zugänglich gemacht werden. "Allein die Spielwarenmesse hier, die ist der Hammer. Schauen Sie sich im Vergleich dazu die Spielzeugmesse New York an, die kann da nicht mithalten", sagt Rüttinger. Sein eigener Weg zum Spiel führte den gelernten Grafiker schon in der Kindheit in der Nürnberger Kettelersiedlung zur ersten Erfindung.

"Mittags in der Bauernfeindschule haben wir von den Amerikanern gesponsert eine Schulspeisung gekriegt, die uns aber suspekt war, weil sie so komisch ausgesehen hat, künstlich rosa", erinnert er sich. "Auf dem Heimweg haben wir dann einen Wettbewerb daraus gemacht, wer mit seinem rosa Brei den längsten ununterbrochenen Strich auf den sandigen Schulweg gießen konnte. Also nicht zu wenig gießen und damit verlieren, aber auch nicht zu großzügig, das war wichtig."

Die Köchinnen dürften sich gewundert haben, warum eine Gruppe Jungs immer die Henkeltöpfe exakt gleich aufgefüllt haben wollte mit dem Zeug. Fairness und gleiche Ausgangsbedingungen sind bis heute durchaus wichtig, wenn Spielen Spaß machen soll.

Einmal hat dem jungen "Brunzkartler" Rüttinger ein Mitspieler voller Wut über ein verlorenes Schafkopfspiel ein Fünf-Pfennig-Stück so gegen den Kopf geworfen, dass es blutete. "Da würde ich mir gut überlegen, so einen zu heiraten, wenn der seinen Jähzorn nicht im Griff hat und nicht verlieren kann", sagt er im Rückblick.

Derzeit schaut er sich immer wieder nach Klassikern um, sucht nach Geschichten und alten Stichen zum Thema. "In den Schlössern früher muss unheimlich viel gespielt worden sein. Geld, Pferde, Frauen waren der Einsatz." Dann die Geschichte eines Spiels wie "Mensch ärgere Dich nicht", das schon vor Jahrhunderten in Persien gespielt wurde. Spiele als kulturübergreifende, verbindende Elemente, die in fast jedem Kontext funktionieren. Zur Geschichte gehören für ihn auch die einst jüdischen Spieleverlage der Region wie Bing oder Spear, inzwischen fast vergessen.

Seine Frau Kathi Kappler und er sind seit Jahrzehnten ein eingespieltes Paar, haben gemeinsam den Verlag aufgebaut, zwischendurch verkauft und wieder eigenständig angefangen. Mehrfach nominiert für den Kritikerpreis "Spiel des Jahres", überhäuft mit Preisen und Anfragen aus aller Welt, befreundet mit anderen Spieleerfindern und kreativen Geistern.

So wie dem Freund, der auf dem Mailänder Domplatz Menschen dazu bringt, eckige Spielsteine zusammenzubauen und dreidimensionale Kunstwerke und optische Täuschungen daraus entstehen zu lassen. Eine Idee für die Kulturhauptstadtbewerbung? "Das kostet alles Geld, aber kann total schön sein, die Menschen waren magisch angezogen!"

Die Metropolregion hat seit Februar ein erstes großes Spielprojekt angestoßen. In den Städten Bamberg, Bayreuth, Erlangen, Fürth, Nürnberg, Schwabach und im Landkreis Roth entwickeln Jugendliche und junge Erwachsene noch bis September dieses Jahres unter professioneller Anleitung und in Workshop-Atmosphäre digitale Spiele.

"GameON2025" ist ein Pilotprojekt der Bewerbung Nürnbergs um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025. Bei den Spielen handelt es sich um sogenannte Location-based Games, also ortsbasierte Spiele, bei denen junge Menschen sich mit den jeweiligen Orten beschäftigen und sich anschließend Spielideen dazu ausdenken. Bei "GameON2025" soll es für die junge Generation um bedeutungsvolle Orte und Räume gehen, mit denen sie sich während der Entwicklung intensiv und reflektiert auseinandersetzen.

Digitale Spiele und analoge sind für Johannes Rüttinger zwei völlig unterschiedliche Ansätze. Seine kleinen Kunstwerke werden längst am Computer gezeichnet, doch alles ist zum Anfassen, Haptik ist ihm wichtig. Für ihn heißt Spielen zusammensitzen und etwas analog erleben.

Ihr erstes erfolgreich vermarktetes Spiel, "Venice Connection", war ein kleines, kniffliges Legespiel, eigentlich eine mathematische Denksportaufgabe. "Das Spiel haben wir auf venezianisches Algenpapier drucken lassen, es hat den Preis ,Schönstes Spiel des Jahres‘ gewonnen."

Nicht umsonst sind die Spiele aus Mittelfranken in mehr als 25 Ländern präsent, begeistern die Menschen bis nach Südkorea. Könnte doch ein gutes Omen sein für die Bewerbung als Kulturhauptstadt, die ein Jahr lang dazu beitragen soll, den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander zu ermöglichen. Spielend.

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