Bully mit Böhm: Die Ice Tigers machen einen Fehler zu viel

27.3.2017, 18:10 Uhr
Nürnbergs Marco Pfleger (rechts) und David Steckel (links) kämpfen gegen den Wolfsburger Mark Voakes um den Puck.

© A3794/_Peter Steffen Nürnbergs Marco Pfleger (rechts) und David Steckel (links) kämpfen gegen den Wolfsburger Mark Voakes um den Puck.

+++ 3:5-Niederlage in Wolfsburg: Der Live-Ticker zum Nachlesen  +++

Plötzlich war da nur noch der EHC. Es ist eine der letzten Traditionen, dass die Fans der Thomas Sabo Ice Tigers den Stammverein der Profi-GmbH hochleben lassen. Und als die Anhänger des orangefarbenen EHC, auf ihren orangefarbenen Schalensitzen, in ihren orangefarbenen Fantrikots der ewigen Playoff-Spiele gegen Nürnberg offenbar überdrüssig eine Pause einlegten, übernahm die Besatzung der sechs Busse aus Franken die Stimmungshoheit in der Eis-Arena am Allersee. "Nur der EHC", begannen die Fans aus Nürnberg mit dem Bully zum zweiten Drittel zu singen, eingeleitet mit einem schmissigen Olé, Olé´, Olé, unterbrochen vom zweimaligen Torjubel. Hätten die Ice Tigers das zweite Halbfinalspiel nach einem 0:3 noch gewonnen, es wäre auch der Sieg der Nürnberger Fans gewesen. So müssen sie am Freitag wiederkommen. Müssen wir ja alle.

Warm-up: Sieben Power-Play in zwei Halbfinalspielen nach zwei Power-Play-Treffern in sieben Viertelfinalspielen – wobei sich nun natürlich nicht mehr fragen, wie gut die Ice Tiger wohl wären, wenn endlich auch das Power-Play funktionierte?

Ich hatte mir per Twitter den schlechten Gag erlaubt, wonach die Ice Tigers in den Playoffs mehr erzielt hätten als in der Punkterunde – auf Patrick Reimer trifft das beinahe zu. Der Spieler des Jahres/DEL-Topscorer hatte in 52 Spielen dreimal in Überzahl getroffen, in neun Playoff-Spielen ebenfalls.

Dafür scheint nun das even-strength-Spiel durchzuhängen. Nürnberg dominierte auch das in Wolfsburg, aber nur Yasin Ehliz (im Schlussdrittel) und Jesse Blacker hatten bei Fünf-gegen-Fünf gute Chancen.

Baumarkt, Müllmänner, Werksklub, alles klar. Mir war das immer ein bisschen zuwider, vor allem, wenn es aus der Eishockey-Hochburg Nürnberg kam. Bei den Playoffniederlagen 2013, 2014 und 2016 empfand ich die Stimmung immer als ordentlich. Heute aber war Musikauswahl des Hallen-DJs unerträglich und der Support nahezu nicht wahrzunehmen. Umso erstaunlicher, wie erfolgreich Pavel Gross in diesem Umfeld arbeitet.

Tyler Haskins hatte zwei gute Momente, die beide in Tore umgewandelt wurden. Gerrit Fauser (Notiz an mich selbst: Petition „Holt den Jungen heim!“ ins Leben rufen) erzielte zwei Tore. Herz und Seele des Grizzlys aber waren heute: Brent Aubin. Zwei blitzsaubere Treffer, vor allem mit seinem Jubel brachte er jeweils Leben in den Baumarkt.

Ansonten wirken die Grizzlies nicht mehr so souverän. Jeremy Dehner ist um Ruhe und Organisation bemüht, vor allem in Spiel eins aber hatte er sich dabei viele Fehler geleistet. Nick Johnson man ins leere Tor getroffen haben, viel mehr hatte er nicht zu bieten. Von Mulock, Hisey war nur wenig zu sehen. Nürnbergs Ausfälle sind weitaus prominenter. Ohne Höhenleitner, Weiß, bis heute Riefers und ab heute Pfohl aber fehlt es dem EHC Wolfsburg an Tiefe.

Warum genau Sasa Martinovic ab dem zweiten Drittel hat von der Bank aus zusehen müssen, war mir nicht ersichtlich. Ist aber ja nicht das erste Mal, dass der Verteidiger im Hundehaus des Cheftrainers sitzt.

Das Spiel: Rob Wilson war, nein, er war nicht sauer. Rob Wilson war angepisst. Eine Szene hatte ihm die Stimmung und den Ice Tigers den Sieg verdorben. Tatsächlich war es nur diese eine Szene. Man muss damit zurechtkommen, dass dieser EHC Wolfsburg die von der Schiedsrichtern gewährte Steilvorlage zu einem Energieschub nutzt (kein Vorworf, aber genau diese Strafen hätte man nicht geben müssen). Nur zwischen dem 1:0 und dem 3:0 erinnerten die Grizzlies an ihre Vorgängermannschaften – und natürlich vor dem 4:3. Drei Nürnberger rumpeln die Bande entlang, der letzte verbliebene verhält sich. Wieder Aubin, wieder ein Treffer.

Abgesehen von diesen Minuten geriet den Ice Tigers wieder ein Auftritt, der mit "clinical" gut umschrieben ist. Vor nicht allzu langer Zeit schien es so aus, als wollten die Ice Tigers gar nicht mit einem Mann mehr spielen. Seit zwei Spielen scheinen sie einen Weg gefunden zu haben, die Lücken im Unerzahlspiel zu erkennen und zu nutzen. Zudem hat Wilson seinen Spielern immer viel Freiheiten gewährt, das scheint sich auszuzahlen. Aber dennoch sind es die Grizzlies, die aus der best-od-seven- eine best-of-five-Serie zu machen. Wolfsburg scheint nicht mehr so stark zu sein wie noch im Vorjahr.

Das Interview

Rob Wilson pflegt immer zu sagen, dass es ein lange Serie werden wird. Heute hatten die Ice Tigers die Chance, diese Serie etwas abzukürzen. Wie enttäuscht sind Sie, dass Ihnen das nicht gelungen ist?

Brett Festerling: Wir haben im zweiten und im dritten Drittel besser gespielt. Wir haben ihnen nur eine Möglichkeit gewährt, die wir ihnen besser nicht hätten gewähren sollen. Das lief unglücklich, aber niemand hat erwartet, dass das hier einfach werden würde. Unsere Gedanken gelten nur noch Spiel drei am Mittwoch.

Aber ist es nicht schwierig, nach solch einem Spiel nach vorne zu schauen?

Festerling: Ja, wir hatten das Momentum nach dem 3:3 auf unserer Seite. Und noch einmal: Wir hätten ihnen diese Chance nicht geben dürfen. Natürlich ist das scheiße (Original: it sucks). Und natürlich ist das nicht so leicht zu vergessen. Aber jetzt geht es weiter. Wenn wir zurück in Nürnberg sind, geht es nur noch um Spiel drei.

Mit Spiel sechs in der Viertelfinalserie haben die Ice Tigers zu ihrem souveränen Spiel zurückgefunden, das sie so lange ausgezeichnet hat, richtig?

Festerling: Dass wir gut spielen, sieht man an den kleinen Dingen. Immer wenn wir uns an das System halten, können wir eine gute Mannschaft sein. Nur müssen wir das auch 60 Minuten lang machen – und nicht nur 45 Minuten lang. So geht das nicht.

Der Moment

Vielleicht habe ich die Szene auch nicht richtig gesehen, aber dieser Oliver Mebus muss in den entscheidenden Momenten besser aufpassen. Es kann einfach nicht sein, dass er die Aufholjagd unterbricht, nur weil er mit dem Helm an einem Deckenscheinwerfer hängenbleibt. Oder, wie der Kollege Meyer von den Eishockey News die lange Unterbrechung im zweiten Drittel interpretiert hat:

(Seht es mir nach, mir ist einfach kein anderer, noch nicht ausgiebig diskutierter Moment auf- und eingefallen, vielleicht könnt Ihr das in der Kommentarspalte seriös nachholen.)

Die drei Stars

Am Ende schlitterte Danny Syvret bäuchlings in sein Unglück. Im Gegensatz zu Rob Wilson fand ich nicht, dass er der Hauptschuldige an Aubins 4:3 war. Und deshalb wird er hier trotzdem erwähnt. Syvret hatte zuvor schließlich viele starke Defensivaktionen – ebenso wie der von Wilson (auf Nachfrage) gelobte Nichlas Torp, der wiederum bei Fausers 3:0 und vor Aubins 4:3 unglücklich agierte. Syvret ist zudem das Sinnbild für das wiedergewonnene Selbstvertrauen der Ice Tigers.

Ich dachte eigentlich, dass Rob Schremp mit drei Assists in der Scorerliste ganz weit nach vorne gerutscht wäre. Er bekam dann aber nur eine Vorlage gutgeschrieben (muss ich mir noch einmal anschauen). Dass er das Power-Play plötzlich so viel besser macht, ist kein Zufall. Schremp beschäftigt sich im Training ausgiebig mit dem Überzahlspiel, redet viel mit Wilson, redet viel mit Patrick Reimer. Wer will, kann das auch sehen.

Und abschließend wieder einmal: Philippe Dupuis. Zwischendurch höre ich gerne die diversen Podcasts, die um die Aufmerksamkeit von uns Hockey-Nerds buhlen. Wenn dann allerdings immer noch die Rede davon ist, dass die Nürnberg eine Ein-Reihen-Mannschaft ist, dann bin ich geneigt, sofort abzuschalten. Dupuis sorgt in diesen Playoffs bislang für Spielwitz und Härte. Heute hat er zum zweiten Mal getroffen. Seine Reihe liefert angemessen ab. Und auch Steckel wird offensiv von Spiel zu Spiel wieder besser – auch ohne Shooting Star Leo Pföderl an seiner Seite.

Und sonst? Sollte man sich noch diesen Artikel durchlesen. Kris Drapers Geschichte kann Eishockey-Fans anwidern oder faszinieren, dass sie einen kaltlässt, ist hingegen ausgeschlossen. Und hier ist das Video zum 20. Jahrestag:

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