"Habe Mannschaft im Stich gelassen": Karius am Boden

27.5.2018, 10:45 Uhr

© Darko Vojinovic/AP/dpa

Die Tränen von Loris Karius waren nach der schlimmsten Nacht seines Fußballer-Lebens getrocknet, die Diskussionen um seine Zukunft beim FC Liverpool haben aber erst begonnen. "Er wird einen schweren Sommer haben", prophezeite Reds-Legende Steven Gerrard dem deutschen Keeper nach dem persönlichen Desaster beim 1:3 (0:0) im Champions League-Finale gegen Real Madrid am Samstag. Der frühere Welttorhüter Oliver Kahn fügte als ZDF-Experte hinzu: "Das kann die Karriere eines Torhüters zerstören."

Ein Torhüter, der im Olympiastadion von Kiew "in Einzelteile zerfiel" wie das Lokalblatt Liverpool Echo schrieb und den Königlichen um Weltmeister Toni Kroos und dem offenbar wechselwilligen Cristiano Ronaldo den historischen Sieg-Hattrick ermöglichte. Karius war nach seinen zwei krassen Blackouts nicht zu trösten. "Es tut mir leid für alle, für das Team, für den ganzen Klub. Ich habe sie im Stich gelassen. Diese Tore haben uns den Titel gekostet", räumte der Ex-Mainzer ein.

Unfassbarer Aussetzer

Mit einem schlampigen Abwurf hatte Karius dem Franzosen Karim Benzema den Führungstreffer geradezu geschenkt, beim dritten Treffer ließ der 24-Jährige einen 35-Meter-Schuss von Gareth Bale durch die  Finger flutschen. "Eine Schande, dass es in so einem Spiel passiert", sagte Jürgen Klopp und fügte beim TV-Sender Sky hinzu: "Das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht."

Es war ein einziger "Albtraum in Kiew" (Daily Mail) – für Karius, für Klopp, für den FC Liverpool. Schon vor den Patzern des Keepers war die Verletzung von Superstar Mohamed Salah ein Schock, von dem sich die Reds kaum erholten. "Wir fühlen uns richtig schlecht. Es war nicht der beste Tag in unserem Leben, aber es ist ein Teil des Spiels. Ich mag diesen Teil nicht", sagte ein restlos bedienter Klopp, für den der Final Fluch kein Ende nimmt. Auch sein sechstes Finale in Serie ging für den früheren Dortmunder Meistercoach verloren – und damit auch der Liverpooler Traum nach 13 Jahren auf Europas Thron zurückzukehren.

"Flutschfinger"-Image

Am Ende bleibe der zweite Platz, so Klopp. "In zehn Jahren wird keiner mehr darüber sprechen, wie wir verloren haben." In den nächsten Tagen und Wochen schon, insbesondere über Karius. Die Torhüter-Diskussion war in Anfield nie verstummt und dürfte nun das große Sommer-Thema werden. Denn Karius hat seit seinem Wechsel 2016 nach einem holprigen Start einen schweren Stand. Nach Fehlern in der Anfangszeit hatte er schnell den Spitznamen "Flutschfinger" weg, zwischenzeitlich verlor er seinen Stammplatz an den Belgier Simon Mignolet, der aber auch nicht besser spielte. Erst seit Jahresbeginn war er wieder die Nummer eins, danach stand in 32 Spielen insgesamt 16 Mal die Null. Das zählt nach Kiew nicht mehr.

So werden in Liverpool große Namen gehandelt. Brasiliens Nationaltorhüter Alisson Becker (AS Rom), der Slowene Jan Oblak (Atlético Madrid) oder Italiens Torwart-Talent Gianluigi Donnarumma (AC Mailand) sollen auf der Kandidatenliste stehen. "Es ist das Leben eines Torhüters. Man muss wieder aufstehen", sagte Karius. Auf dem Rasen des Olympiastadions war er der einsamste Mensch. Seine Mitspieler waren zu sehr mit ihrem Frust beschäftigt, als ihn zu trösten.

War's das für Karius?

Es waren die Spieler von Madrid, die als erstes bei ihm waren und noch vor ihrer merkwürdig routiniert wirkenden Siegerparty dem Pechvogel Beistand leisteten. "Man kann sich vorstellen, wie er sich fühlt, wenn man auf so einer Bühne zwei solche Fehler macht. Mitleid braucht er nicht, das will auch keiner", meinte Weltmeister Toni Kroos und ergänzte: "Ich kenne ihn persönlich nicht. Ich gehe davon aus, dass er aus so einer Situation gut hervorgeht." Ob Karius trotz Vertrag bis 2021 noch eine Chance erhält, ist fraglich.

Schlimme Befürchtung bei Salah

Fraglich ist auch die WM-Teilnahme von Salah. Der ägyptische Shootingstar, der 44 Tore in dieser Saison erzielte, verletzte sich beim "Wrestling" (Klopp) mit Real-Verteidiger Sergio Ramos im Schulterbereich und musste ins Krankenhaus. Nicht einmal ein Schulterbruch ist ausgeschlossen, wie Klopp mutmaßte und zugleich Ramos anklagte: "Er zieht ihn auf die Schulter. Das ist schon brutal."

Es war jedenfalls der Knackpunkt im Spiel des 18-maligen englischen Meisters. Hatte Liverpool die Königlichen mit großem Pressing bis dahin arg in die Bredouille gebracht, kippte von dem Zeitpunkt an das Spiel. "Der Schock bei den Jungs war offensichtlich", sagte Klopp. "Wir hätten gewinnen können."

So muss Klopp weiter warten – und Liverpool mit seinen vielen Fans auch. Seit sechs Jahren hat der Traditionsverein keinen Titel mehr geholt, allein mit Klopp gingen seit 2016 drei Endspiele verloren.

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