Handball-Bundesliga: Das schwächste Regelwerk der Welt

18.5.2018, 10:22 Uhr
Handball-Bundesliga: Das schwächste Regelwerk der Welt

© Sportfoto Zink / AlSch

Nur mal angenommen, Sie, lieber Leser, würden durch die Stadt joggen. Plötzlich holt ein Passant, an dem Sie eben noch arglos vorbeiliefen, mit der Faust aus und boxt Sie in den Magen. Mit so viel Wucht, dass Ihnen die Luft wegbleibt, Sie stürzen und sich mit Schmerzen am Boden krümmen. Was würde passieren? Nun, die Polizei würde gerufen, eine Anzeige aufgenommen, ein Verfahren eröffnet und der Schläger, sollte er bereits einmal aufgefallen sein, könnte ins Gefängnis wandern.

Der Melsunger Handballspieler Philipp Müller hat, das beweisen Fernsehaufnahmen eindeutig, vergangenes Wochenende beim Bundesliga-Heimspiel gegen den HC Erlangen etwas Ähnliches getan: Er hat den Gästespieler Christopher Bissel, der ohne Ball an ihm vorbeilief, vorsätzlich mit der Faust in die Magengrube geschlagen. Nur bleibt Müller völlig straffrei. Weil die Regeln des Handball-Weltverbandes, nach denen natürlich auch die Handball-Bundesliga spielt, eine nachträgliche Bestrafung einer groben Tätlichkeit — auch wenn sie durch Videobilder eindeutig nachgewiesen werden kann — nicht vorsieht.

"Wir würden gern aktiv werden"

"So eine Aktion wie die von Müller gegen Bissel", sagt auch Frank Bohmann, Geschäftsführer der DKB Handball Bundesliga, "hat auf dem Platz nichts verloren." Jedoch, das sagt Bohmann auch: Der Liga sind die Hände gebunden. "Nach Sachlage muss man klar sagen: Das ist eine blöde Regelung, wir würden gern aktiv werden. Aber das sehen die Statuten nicht vor." Philipp Müller, der häufiger auch durch unsportliche Aktionen auf dem Handballfeld aufgefallen ist, wird ungeschoren davonkommen. Auch, weil der HCE zivilrechtliche Schritte nicht ziehen wird.

Weder die zwei Unparteiischen, noch das Schiedsgericht haben die Tätlichkeit in Melsungen bemerkt. Während des Spiels ist das aber maßgeblich dafür, dass ein Spieler bestraft werden kann. Ansonsten gilt auch eine Nichtbestrafung, ja, ein Nichtbemerken eines Fouls oder einer Unsportlichkeit als Tatsachenentscheidung. Und damit ist sie auch im Nachhinein nicht mehr anfechtbar.

Tatsachenentscheidung zum Selbstschutz?

"Ich denke, man möchte die Souveränität der Schiedsrichter nicht untergraben", sagt Frank Bohmann. Damit gilt im Handball – anders als im Fußball, Basketball oder Eishockey, wo man per Videobeweis auch nach Spielschluss noch Übeltäter für schlimme Vergehen bestraft: Man muss als Spieler nur clever und versteckt genug vorgehen, dann kann man den Gegner ungestraft attackieren. Bohmann sagt: "Vermutlich gäbe es in jedem zweiten oder dritten Spiel Vergehen, die ein Verfahren nach sich ziehen. Auch davor will man sich vermutlich schützen."

Dem widerspricht Christoph Steinert. Der Rückraumspieler des HC Erlangen trägt bei jedem Spiel einen Mundschutz – eine Ausnahme in seiner Sportart. Trotzdem ist er der Meinung: "99 Prozent der Kollegen spielen grundsätzlich mit Respekt vor ihren Gegnern. Klar ist Handball ein harter Sport, aber absichtlich jemanden zu verletzen, das machen nur Einzelne." Die Möglichkeit, nachträglich solch grobe Unsportlichkeiten zu ahnden, fände Steinert wichtig: "Es würde für noch mehr Fairness sorgen und uns Spieler vor solchen Aktionen schützen." Sein Trainer, Adalsteinn Eyjolfsson, geht noch weiter: "Wir müssen vorsätzliche Tätlichkeiten unbedingt unterbinden. Das wollen wir Handballer nicht sehen und das wollen doch auch die Zuschauer nicht sehen. So etwas hat im Sport insgesamt nichts verloren."

Welches Signal sendet ungestraftes Prügeln zudem an Kinder und Jugendliche, die Handball schauen? Christoph Steinert verweist auf andere Sportarten, in denen es durch die Möglichkeit der nachträglichen Bestrafung auch nicht zu einem Füllhorn an Anträgen kommt, das jede Woche über das Sportgericht ausgekippt wird. "Ich denke", so der Bundesligaspieler, "es wäre für den Handball ein wichtiger Fortschritt und eine weitere Annäherung an die Professionalität des Fußballs."

Erhobener Zeigefinger

Frank Bohmann verspricht, "über die Möglichkeiten eines TV-Beweises nachzudenken", sieht aber grundsätzlich schlechte Chancen, weil letztlich der Weltverband einlenken müsste: "Das durchzubringen wäre ein langer Weg." Die Alternative wäre, von den internationalen Regeln abzuweichen, "es im Sinne der Fairness einfach zu riskieren", wie Bohmann sagt. Die möglichen Folgen eines Alleingangs lässt die Handball-Bundesliga nach Informationen der Erlanger Nachrichten von einem Justiziar derzeit prüfen.

Alle Bemühungen wird Philipp Müller in dem speziellen Fall jedoch auch nicht mehr für seinen Faustschlag zur Rechenschaft ziehen. Was bleibt, ist einzig ein Brief, den die MT Melsungen in den kommenden Tagen von der Handball-Bundesliga, die gern damit wirbt, von Kritikern als stärkste der Welt angesehen zu werden, erhalten wird. "Es bleibt uns ja nichts anderes übrig, als dem Verein den erhobenen Zeigefinger zu zeigen", sagt Frank Bohmann.

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