HCE-Star fällt aus: Haaß zwischen Heldentum und Wahnsinn

15.9.2018, 14:12 Uhr
"Der Finger war komplett taub": Michael Haaß vom HC Erlangen.

© Sportfoto Zink / OGo "Der Finger war komplett taub": Michael Haaß vom HC Erlangen.

Das alles wäre bester Stoff für einen dieser patriotischen US-Kinostreifen: Ein bewegender Film voller emotionaler Bilder über Durchhaltewillen, Heldenepos, unerträglichen Schmerz sowie eine aufopferungsvoll-selbstlose Hingabe für den Erfolg der Gemeinschaft.

Diese Geschichte, die so herrlich kitschig nach Hollywood klingt, fand genau so zwischen der Erlanger Schillerstraße und dem Nürnberger Kurt-Leucht-Weg statt. Sie führte nach Solingen und zuletzt auch noch nach Minden. Es ist die Geschichte von Michael Haaß, Spielmacher des Handball-Bundesligisten HC Erlangen, der eine dringend notwendige Operation am Mittelfinger aufschob, sich mit abgerissener Strecksehne im Mittelfinger der Wurfhand in den Dienst seiner Mannschaft stellte, bis die Ärzte sagten, dass jetzt damit Schluss sein muss. Sonst würde Haaß, Sohn eines Kirchenmusikers und leidenschaftlicher Klavier- und Gitarrenspieler, seinen Finger an der rechten Hand wohl nie mehr richtig bewegen können.

"So lange weiterspielen, wie es irgendwie möglich ist"

"Man muss jetzt daraus keine große Sache machen", sagt Michael Haaß zwar, der aber natürlich weiß, dass es genau das ist: eine große Sache. Eine umstrittene Sache, eine gefährliche auch, über die viele vernünftige Menschen nur den Kopf schütteln werden. Auch das weiß Michael Haaß.

"Meine Frau", erzählt der 34-Jährige, "hat gesagt: Das muss jeder selber wissen", als er ihr eröffnete, was er nun vor hat, als er vom Abschlusstraining vor dem ersten Saisonspiel verletzt nach Hause kam. Im Zweikampf hatte er einen Schlag auf den Finger abbekommen. "Ich wollte trotz dieser Verletzung so lange weiterspielen, wie es irgendwie möglich ist."

Stillschweigen vereinbart

Weil mit Andreas Schröder und seinem Kreuzbandanriss ja ohnehin schon ein Deckungsspieler ausfiel. Und weil sich der HCE gerade gegen Gummersbach und beim Bergischen HC wichtige Punkte ausrechnete. "Das", sagt er jetzt, "macht es so schade: Dass nur ein Sieg gegen Gummersbach raussprang."

Wie seine Frau geguckt hat, welche Sorgen sie sich machte und welche Angst er vielleicht selbst vor jedem Einsatz hatte, das hat Haaß nicht erzählt. Weil er weiß, dass das, was er vier Wochen lang tat, Wahnsinn ist. "Ewig einen krummen Finger zu haben, das wäre doof", sagt er nur.

Um Haaß zu schützen, gab es ein Agreement zwischen Verein und Journalisten, die Schwere der Verletzung, so lange es geht, nicht zu thematisieren. So lange also, wie Haaß noch auf dem Handballfeld steht. "Wenn die Gegenspieler das erfahren", sagte Adalsteinn Eyjolfsson, der Trainer, "werden sie versuchen, ihn genau dort zu treffen." Was wieder nach Wahnsinn klingt und auch wahnsinnig ist, gehört im Profisport dazu – ob man es mag oder nicht. Für den Erfolg sind manche Spieler bereit, alle Mittel auszuschöpfen. Weil ganz am Ende auch ihre Karriere, ihr Vertrag, ihr Lebensunterhalt auf dem Spiel steht.

Komplett taub

Vor jedem Spiel wurde Haaß’ Finger von Ärzten anästhesiert, "der war komplett taub", sagt er. "Ein komisches Gefühl." Ein dickes Tape sollte ein wenig schützen. An intensives Training war nicht zu denken und sobald die Wirkung der Spritze nachließ, krochen die massiven Schmerzen in den Finger wie gemeine Käfer. "Ich habe versucht, mich zu Hause von den Wickelaufgaben zu befreien", sagt er und grinst, Sohn Keno ist noch klein. "Aber meine Frau meinte: Wer Handball spielen kann, der kann auch Babys wickeln."

Am Montag nun wird Michael Haaß operiert. Sechs bis acht Wochen wird der HC Erlangen nicht auf den Weltmeister von 2007 zurückgreifen können. Voraussichtlich. Wenn man ihn vorher braucht, wird er vermutlich nicht lange überlegen müssen.

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