Köpke: Brasilien war der Höhepunkt meiner Karriere

2.1.2015, 14:43 Uhr
Der WM-Sieg in Brasilien war für Andy Köpke (r), der eng mit Bundestrainer Joachim Löw (l) zusammenarbeitet, ein Highlight seiner Karriere.

© dpa Der WM-Sieg in Brasilien war für Andy Köpke (r), der eng mit Bundestrainer Joachim Löw (l) zusammenarbeitet, ein Highlight seiner Karriere.

NZ: Herr Köpke, unglaubliche zehn Jahre ist das schon wieder her, dass Sie Torwarttrainer der Nationalmannschaft geworden sind. Haben Sie schon den Rekord Ihres Vorgängers Sepp Maier im Visier, der den Job 16 Jahre lang gemacht hat?

Andreas Köpke: Ich denke nicht in diesen Kategorien. Die Zeit ist wirklich unglaublich schnell vergangen. Mir war von Anfang an klar, dass  mir die Aufgabe große Freude und viel Spaß bringen würde, und das hat sich auch voll und ganz bewahrheitet.  Dass ich so lange am Erfolg der Nationalmannschaft mitwirken werde, hatte ich nicht durchgeplant. Wir denken immer von Turnier zu Turnier. Jetzt haben wir die EM in Frankreich vor Augen. Ich gebe zu, dass ich dieses Turnier immer auch als Fernziel im Kopf hatte, schließlich verbindet mich eine besondere Beziehung zu unserem Nachbarland. Das wird eine Super EM. Auf dem Weg dorthin müssen wir zwar noch ein paar Punkte holen, aber ich habe vollstes Vertrauen in die Mannschaft.

NZ: Was macht Ihren Job so interessant?

Köpke: Natürlich ist es in erster Linie die Arbeit mit unseren Torhütern, deren individuelle Weiterentwicklung, die Entwicklung der Mannschaft. Zudem bin ich für Sichtung und Fortbildung der Torwarttrainer im U-Bereich zuständig. Wir stehen im ständigen Dialog, um sicherzustellen, dass auch dort unsere Spielphilosophie und das Torwartspiel der Nationalmannschaft umgesetzt werden. Zusätzlich tausche ich mich ständig mit Kollegen aus und überlege mir, wie man das Torwartspiel weiter verbessern kann. Ich bin also viel unterwegs, nicht nur während der Länderspiele und großen Turniere.

NZ: Immer auf Achse: Wie viele Tage haben Sie denn im WM-Jahr 2014 in Nürnberg verbracht?

Köpke: Im Rahmen eines großen Turniers wie der WM in Brasilien bin ich zwei, drei Monate überhaupt nicht hier. Wir haben dann unsere Meetings,  müssen die einzelnen Projekte vorantreiben, Spieler beobachten, den Kader zusammenstellen, Trainingspläne erarbeiten. Aber ich will mich wirklich nicht beschweren, es ist ja gut, dass wir immer so lange im Turnier sind (lacht).

NZ: Haben Sie überhaupt noch Lust, auch privat zu verreisen?

Köpke: Die Reiselust lässt schon ein wenig nach. Da wir noch unser Haus in Frankreich haben, müssen wir zumindest nicht ins Hotel gehen. Das habe ich nach der WM strikt vermieden. Das Campo Bahia war eine wunderbare Unterkunft, in jeder Hinsicht. Am Trainingsplatz haben wir hart gearbeitet, im Campo konnten wir dann perfekt regenerieren, physisch wie mental. Aber man ist auch froh, wenn man wieder in den eigenen vier Wänden ist.

NZ: Ist diese hohe Taktung im Leben nicht auf Dauer zermürbend?

Köpke: Ich bin es gewohnt, schon von meiner aktiven Laufbahn her. Meine Familie ist es auch gewohnt, meine Frau kennt das nicht anders. Bei dem Job muss man ein Umfeld haben, das einem den Rücken frei hält. Aber ich sehe den Job nicht als Belastung, denn er bringt mir große Freude, Spaß und Zufriedenheit. Ich weiß es sehr zu schätzen, im Fußball und beim DFB arbeiten zu dürfen.

NZ: 1990 sind Sie als dritter Torwart in Italien Weltmeister geworden, 1996 als Stammkeeper  Europameister. Wie ordnen Sie diese Titel in Ihrer persönlichen Vita ein im Vergleich zum Finalsieg von Rio?

Köpke: Brasilien war auch für mich das absolute Highlight. Dieser fantastische Teamgeist, die ganze Atmosphäre dort, einmalig!  Es macht mich sehr stolz, dass wir als erste Europäer in Südamerika Weltmeister geworden sind.

NZ: Was ging Ihnen beim 7:1 im Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien durch den Kopf?

Köpke: Mir ging es wohl wie allen anderen auch: Das konnte man in dem Moment alles gar nicht realisieren.  Die Situation hat mich ein wenig an die EM 1996 erinnert. Da war unser Halbfinale gegen Gastgeber England auch das vorweggenommene Endspiel. Und im Finale gegen die Tschechen haben wir uns zunächst auch etwas schwerer getan. Nach diesem 7:1 in Belo Horizonte hat natürlich jeder verlangt: Jetzt müssen sie Weltmeister werden. Wir haben es ja gottseidank geschafft, auch wenn das gegen Argentinien alles andere als einfach und selbstverständlich war.

NZ:  Hätte sich das Trainerteam um Joachim Löw bei einer Niederlage überhaupt noch zum Weitermachen motivieren können nach den vorangegangenen Halbfinal- und Finalniederlagen von 2006, 2008, 2010 und 2012?  Oder hätten die Selbstzweifel überwogen?

Köpke: Die Frage kann ich nicht beantworten, weil wir uns nie mit einem Scheitern befasst haben. Bei den Turnieren davor übrigens auch nicht. Ich weiß nicht, was gekommen wäre. Ich weiß nur, dass wir auch dann die absolute Rückendeckung von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gehabt hätten. Wir haben nur nach vorne geschaut, waren überzeugt vom Team. Dieses tolle Wir-Gefühl hat jeder gespürt, wir haben miterlebt, wie da mit jedem Tag, mit jedem Training etwas zusammenwächst. Und das nötige Quäntchen Glück hatten wir auch. Wir waren einfach reif für den Titel.

NZ: Ist Manuel Neuer auch fällig - für den Titel Weltfußballer des Jahres?

Köpke: Allein schon unter die letzten Drei zu kommen, ist für einen Torwart ein Wahnsinn. Ich glaube, der einzige Keeper, der dann  gewählt wurde, war Lew Jaschin in den 60er Jahren. Manuel hat eine unglaubliche Saison gespielt mit dem WM-Titel als Krönung. Dass es für ihn als Torhüter schwer wird, ist klar. Man hat in den letzten Wochen ja gesehen, wie Ronaldo und Messi ständig die Tore erzielen. Manuel Neuer hätte es dennoch absolut verdient. Im Moment gibt es auf der Welt keinen kompletteren Torhüter. Ich bin stolz auf ihn und würde ihm diesen Titel von Herzen gönnen.

NZ: Irgendwo wurden Sie sinngemäß zitiert, dass Deutschland auch ohne Neuer den Titel geholt hätte…

Köpke: Das habe ich auch mit einem Augenzwinkern gesagt, und die Aussage wurde auch etwas verkürzt wiedergegeben. Fakt ist, dass Manuel mit den größten Anteil am Titelgewinn hatte. Grundsätzlich wollte ich damit ausdrücken, dass wir in Brasilien insgesamt super aufgestellt waren, jeder einzelne hat seinen Anteil am Titel.

NZ: Wie hoch war Ihr Adrenalinspiegel, als Neuer gegen Algerien das Libero-Spiel hat aufleben lassen?

Köpke: Ich musste nie vor Sorge wegschauen, ich weiß ja, was er kann. Ich kenne ihn lange genug, weiß, wie er tickt. Er ist vom Naturell her so veranlagt, dass er unsere Spielweise ideal umsetzt und interpretiert, er verkörpert geradezu unsere Idee. Er antizipiert,  kann das Spiel lesen. Wir sind uns schon bewusst, dass das auch mal Risiken mit sich bringen kann. Aber die tragen wir dann mit.

NZ: Was kann ein Andy Köpke einem Manuel Neuer überhaupt noch mitgeben?

Köpke: Die Hauptarbeit findet in den Vereinen statt. Unsere Aufgabe geht Hand in Hand mit den Torwarttrainern der Klubs. Wir  tauschen uns aus, diskutieren anhand von Videoaufzeichnungen, wie und wo wir noch ein  paar Prozentpunkte herausholen  könnten.  Es geht hier nicht um großartige Verbesserung, sondern um Optimierung.

NZ: Wäre aus Andreas Köpke auch ein guter Cheftrainer geworden?

Köpke: Ich habe damals den Trainerschein gemacht, um zu sehen, wo der Weg hinführt. Auch, um mich  weiterzubilden. Dann kam diese Entwicklung, womit sich die Frage nicht mehr gestellt hat. Sehr positiv finde ich, dass der Torwarttrainer-Bereich in den vergangenen Jahren stark aufgewertet wurde. Heute gibt es für den Torwarttrainer eine spezielle Lizenz.

NZ: In Ihrem ersten Leben haben Sie Automechaniker gelernt. Könnten Sie mit dem Zeug unter der Motorhaube heute noch etwas anfangen?

Köpke: Bei meinem Oldtimer schon! Aber wenn ich mit einem anderen Wagen in die Werkstatt fahre, merke ich, dass das die Fachleute oft selbst nicht können. Die schließen den Computer an und schauen, was repariert werden muss.

NZ: Welchen Oldtimer fahren Sie?

Köpke: Einen Mercedes 190, Baujahr 1962, so wie ich. Den habe ich von meiner Frau zur Feier des Tages nach meinem Abschiedsspiel bekommen.

NZ: In dem edlen Teil genießen Sie also die Freizeit.

Köpke: Ab und zu, klar. Eine Runde Golf ist auch schön, aber nur bei Sonnenschein. Ich bin eher ein Schönwettergolfer (lacht). Sport steht sowieso hoch im Kurs, ich gehe fast täglich joggen. Freizeit heißt auch: Mal in Ruhe essen gehen und das Handy ausmachen. Meine Frau sagt, ich mache das viel zu selten. Wenn es reinpasst, besuchen wir die Kinder in München.

NZ: Ihr Sohn Pascal spielt in Unterhaching - als Stürmer. Was ist da schief gelaufen in der Erziehung?

Köpke: (lacht) Das weiß ich auch nicht. So richtig freiwillig geht ja keiner ins Tor. Es hat ihm von Anfang an im Feld besser gefallen. Und er ist talentiert, macht das sehr gut. Eigentlich bin ich froh, dass Pascal nicht Torwart geworden ist. Sonst hieße es jetzt ständig: Wie war Andy Köpke früher, wie macht das sein Sohn jetzt?  Ohne diese Vergleiche kann er sich ruhiger entwickeln.

NZ: Wie würden Sie heute im Vergleich mit der aktuellen Torhütergeneration abschneiden?

Köpke: Zu meiner Zeit war das ein anderes Spiel. Was heute gefordert wird, wurde von mir gar nicht verlangt. Ich weiß nicht, ob ich das so hinbekommen hätte. Die Jungs werden heute in den Nachwuchsleistungszentren schon ganz anders ausgebildet.

Köpke: Brasilien war der Höhepunkt meiner Karriere

© Foto: Stefan Hippel

NZ: Fortschritt auf allen Ebenen: was sagen sie zur Einführung der Torlinientechnik in der Bundesliga ab der kommenden Saison?

Köpke: Ich sehe das absolut positiv. Es gibt immer wieder strittige Situationen. Und wenn man über eine zuverlässig funktionierende Technik verfügt, sollte man sie auch einsetzen. Das darf nicht an ein paar Euro scheitern in einer Branche, in der so viel Geld umgesetzt wird. Von der Frage Tor oder nicht Tor hängt so viel ab – ob Abstieg oder  Meisterschaft, da sollten wir überhaupt nichts dem Zufall überlassen.

NZ: Sie können ja aus eigener Erfahrung ein Lied davon singen. Thomas Helmers Phantomtor ist mit Ihrem Namen eng verknüpft . . .

Köpke: Das Phantomtor von damals ist das beste Beispiel dafür, dass man die Technik befürworten sollte. Letztendlich sind wir 1994 deswegen abgestiegen. Hätte der Schiedsrichter das Tor nicht gegeben, wäre das Spiel wohl 1:1 ausgegangen. So legte der 1. FC Nürnberg Protest ein, das Spiel wurde wiederholt, und wir haben 0:5 verloren. Klar, gerade in den letzten Wochen wurde ich immer wieder damit konfrontiert.

NZ: Sie wurden in Kiel geboren, gefühlt sind Sie aber längst ein Nürnberger. Wie kommt man als Nordlicht mit der fränkischen Mentalität zurecht?

Köpke: Am Anfang war das nicht ganz so einfach; es dauert, bis man die Sprache versteht (lacht). In Franken braucht es  eine Weile, bis man Anschluss findet. Aber dann hat man Freunde fürs Leben. Von der Lebensqualität her ist diese Region sehr hoch angesiedelt.  Ich sage immer, dass Nürnberg mit seiner Burg, mit der historischen Altstadt, den schönen Cafés und Restaurants, mit seinem tollen Umland eine der meistunterschätzten Städte Deutschlands ist.

NZ: Werden Sie denn oft erkannt und von den Leuten angesprochen, wenn Sie einfach mal so durch Nürnberg schlendern?

Köpke: Ja, schon. Aber es ist nicht so, dass jeder ankommt und ein Autogramm will. Die Leute gucken, grüßen, wollen ab und zu ein Foto machen. Aber das machen sie eher zurückhaltend, nicht aufdringlich, sympathisch. Auch das ist typisch Nürnberg.

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