Max Merkel: Die große Show von Nürnbergs Meistermacher

7.12.2018, 11:44 Uhr
Da ging's los! Max Merkel ging voran und peitschte Nürnbergs Lieblingsclub zu seiner bislang letzten Meisterschaft.

© Horst Müller Da ging's los! Max Merkel ging voran und peitschte Nürnbergs Lieblingsclub zu seiner bislang letzten Meisterschaft.

Wer dem alt gewordenen Max Merkel noch begegnete, traf auf einen stillen, eher zurückhaltenden Mann. Er wirkte verschlossen - wie ein Gegenentwurf zu jenem Max Merkel, den man zu kennen glaubte. Es gibt ja so viele Fotos. Merkel im Gladiatorenkostüm, Merkel in der Zirkusmanege, Merkel, wie er auf die große Trommel haut. Und es gibt all diese Sprüche, Merkel-Bonmots, witzig, böse, auch: gemein.

Schmähbruder, Zuchtmeister, Original 

Wer dieser Max Merkel, Schmähbruder, Zuchtmeister und polterndes Original, wirklich war, vermögen auch Menschen, die länger mit ihm zusammenarbeiteten, nicht zu sagen. Respekt, Bewunderung, Abneigung, Wut – das alles verband Menschen mit Merkel, manchmal fast gleichzeitig. Er wird als selbstherrlich beschrieben, aber auch als melancholisch. Wenn er zum Wein alte Wiener Lieder hörte, sollen ihm die Tränen in die Augen geschossen sein.

"Keiner mag mich, alle wollen mich", den Satz hat Max Merkel selbst hinterlassen – in Nürnberg, wo er im Januar 1967 einen Bundesliga-Abstiegskandidaten übernahm, im "Bratwurst Friedel" Hof hielt und zum Amtsantritt an einem nasskalten Wintertag 3000 Menschen ans Trainingsgelände lockte. Sie alle wollten Max Merkel sehen, den ersten Star-Trainer der jungen Bundesliga, einen Mann, der eineinhalb Jahre zuvor den TSV 1860 München zu dessen einzigem Meistertitel geführt hatte – aber gehen musste, als die Fußballer rebellierten.

Zwischen dem Trainer-Diktator aus Wien und Peter Grosser, dem Löwen-Kapitän, soll es zu Handgreiflichkeiten gekommen sein; einen "großen Trainer und rücksichtslosen Mann" nannte ihn der legendäre Löwen-Torwart Petar Radenkovic. Am Ende stand der erste Spieleraufstand im deutschen Fußball – und zog Merkel weiter nach Nürnberg, "eindringlich vor ihm gewarnt", das erzählte später der Nürnberger Mannschaftskapitän Heinz Strehl, hätten ihn die Fußballfreunde aus München.

Triumph und Trauma 

Max Merkel erfüllte: alles. Hoffnungen und Befürchtungen, sein gut zweijähriges Wirken in Nürnberg beschäftigt die Exegeten noch heute, im Grunde vollbrachte er drei Wunder: ein kleines, ein großes – und ein blaues, Merkel steht für Triumph und Trauma, und ob er den Club in die Moderne oder in den Ruin geführt hat, darüber wird seither gestritten. Vielleicht war es beides. Fast gleichzeitig.

Die Abstiegskämpfer von 1967 führte der damals 49 Jahre alte Sohn eines preußischen Offiziers und einer Wienerin zum Klassenverbleib, ein Jahr später zum Deutschen Meistertitel und schließlich in den jähen Absturz, in den tiefsten Fall der Bundesliga-Geschichte. Wer heute mit den Fußballern darüber spricht, stößt noch nach einem halben Jahrhundert vor allem auf Fassungslosigkeit.

Die "Bauernkapelle"

"Ich verstehe bis heute nicht, was Merkel geritten hat", sagt der Verteidiger Horst Leupold. An den Verdiensten des Trainers lässt auch Leupold keinen Zweifel, den Fachmann Merkel schätzt Nürnbergs damaliger Torjäger Franz Brungs bis heute. "Unter dem Strich mein bester Trainer", das schreibt Mittelläufer Nandl Wenauer in seiner Autobiografie, sei Merkel sogar gewesen, "von ihm ging eine sagenhafte Begeisterung aus". Aber im Erfolg, das sagt nicht nur Leupold, habe Merkel "völlig Maß und Ziel verloren". "Eineinhalb Jahre lang gut" sei es miteinander gewesen, sagte Strehl, danach verstand er, wovor die Münchner ihn gewarnt hatten.

Als "Bauernkapelle" diffamierte Merkel seine Nürnberger Meistermannschaft; in seiner 1968 veröffentlichten Autobiografie ("Mit Zuckerbrot und Peitsche") steht dieser Satz: "Sollte ich jemanden beleidigt haben, so geschah das mit voller Absicht." "Spieler vertragen kein Lob, sie müssen ständig die Peitsche im Nacken spüren", das war sein Credo. "Ihm fehlt die Erziehung zu Sportlichkeit und Rücksichtnahme", äußerte Chefankläger Hans Kindermann, als das DFB-Sportgericht Merkel im Februar 1968 wegen wiederholter verbaler Entgleisungen zu einer Geldstrafe von 10.500 D-Mark verurteilte. 

Befehl und Gehorsam 

Die Autorität Merkel: Das war seine Rolle, das Prinzip hieß Befehl und Gehorsam – menschliche Nähe, das sagen alle, die ihn erlebten, sah es nicht vor. Seine Brillen trug er – wie ein äußeres Zeichen der Distanz – stets getönt, wie es Machtmenschen gerne tun. Drill, Kraft, Ausdauer, das alles trichterte Merkel dem Nürnberger Team ein. "Merkel hat uns hochgetrimmt", erklärte Nandl Wenauer später, vor dem Meisterglück standen für die Fußballer die intensivsten Trainingswochen ihres Lebens. "Gehasst", sagt Abwehrspieler Fritz Popp, habe er Merkel für die Schinderei, "aber ich bin Meister geworden, weil ich ihn als Trainer hatte".

Auf dieser athletischen Grundlage ließ Merkel einen attraktiven, offensiven Fußball spielen, er trieb sein Team an und erdete es, er kitzelte es mit Provokationen. "Kühe haben Glocken um den Hals, damit sie nicht im Stehen einschlafen", sagte er seinen Fußballern: "Für euch habe ich welche bestellt." Vielleicht war das seine Art, Zuneigung zu zeigen.

Merkel war selbst Fußballer. Er verteidigte bei Rapid Wien neben dem großen Ernst Happel – beide mochten einander allerdings nie – und bestritt zwei Länderspiele, eines 1939 für Großdeutschland, eines 1952 für Österreich. Und er erkannte früh, was in diesem Geschäft möglich war, keiner verdiente so gut wie Merkel, der es verstand, sich als der stramme Max zu inszenieren. Er sah Fußball schon als Show-Betrieb, als andere noch dem Amateur-Ideal huldigten, einmal ließ er einen Zirkus-Tiger über den Nürnberger Trainingsplatz führen – weil seinen Fußballern "der Biss" fehle, wie er sagte. Die Kunst der Selbstvermarktung soll Merkel im Nürnberger Meisterjahr Einkünfte von damals sagenhaften 273 000 Mark eingebracht haben.

Das Aus im März 1969

Die Härte und Rücksichtslosigkeit, mit der er die Nürnberger Mannschaft nach dem Triumph umbaute, isolierte Merkel, er hatte unterschätzt, was der Mannschaftsgeist für die Meister bedeutet hatte. Er sah nur die Fußballer, nicht die Menschen in den Trikots. Spieler als austauschbare Mittel zum Zweck – auch das wies damals schon in die Fußball-Moderne. Torjäger Franz Brungs musste ebenso gehen wie Charly Ferschl und Gustl Starek, das Team verlor das Vertrauen erst in den Trainer, dann in sich selbst. Im März 1969 verließ der große Zampano einen schlingernden Tabellenletzten, der Club war nicht mehr zu retten.

Merkel zog weiter nach Spanien, mit Atletico Madrid gewann er 1973 die Meisterschaft, am Tag danach wurde er als intern untragbar entlassen. "Spanien wäre ein schönes Land, wenn dort nicht so viele Spanier leben würden", äzte er zum Abschied. Es war der letzte Titel, gefolgt von ein paar kurzen Nachspielen einer Karriere, die Merkel 1955 als Nationaltrainer der Niederlande begonnen hatte. Für die Bild-Zeitung nahm der grantelnde Kolumnisten-Rentner fortan die Bundesliga auseinander, oft mit einer Bosheit und Häme, wie man sie Jahrzehnte später in manchen Internet-Foren wiederfinden sollte – als Marke Merkel. Der Mensch Max, verheiratet und Vater einer Tochter, blieb hinter der Fassade zurück.

Lassen wir es gut sein 

Über die Nürnberger Drei-Wunder-Episode hat Max Merkel nie wieder gesprochen. Lassen wir es gut sein, junger Mann, sagte er wenige Jahre vor seinem Tod zum Reporter. Max Merkel lebte zurückgezogen in Putzbrunn bei München, dort starb er, 87 Jahre alt, am 28. November 2006. Dem Geschäft, sagte damals Paul Breitner, sein Nachfolger bei Bild, werde er fehlen. 

 

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