Mehr Raffinesse mit Dach überm Kopf

10.1.2007, 00:00 Uhr

Seit über 70 Jahren (und wohl für alle Zeiten) hat dieser Rekord Gültigkeit: 100 000 Menschen sahen 1936 das Olympia-Finale im Handball zwischen Deutschland und Österreich in Berlin - es war und blieb eine Premiere, denn nur auf Druck der Nazis war dieses deutsche Spiel ins Programm genommen worden: Handball auf dem Großfeld, elf gegen elf auf Fußballtore. Aber auch knapp 20 Jahre später war das Dortmunder Stadion Rote Erde voll, als die (gesamt)-deutsche Mannschaft das WMFinale 1955 gegen die Schweiz gewann. Vor über 50 000 Besuchern.

Der Feldhandball war zunächst eine beinahe mit dem Fußball vergleichbare Erfolgsgeschichte - und dieses Spiel war, anders als der englische Fußball, eine deutsche Erfindung. Nämlich eine Idee des Berliner Oberturnwartes Max Heiser, der 1917 die Regeln für ein Spiel entwarf, das - als Pendant zum rauen Fußball - ein Teamsport für Frauen werden sollte. Natürlich spielten (nachdem Zweikämpfe ausdrücklich erlaubt wurden) die Männer bald mit, und 1925 fand in Halle an der Saale das erste Länderspiel statt: Deutschland unterlag Österreich 3:6.

Ein Ausrutscher zur Premiere; danach gewann Deutschland fast alles, was es zu gewinnen gab: das Olympiaturnier und von 1938 - im Finale mit 23:0 (!) gegen die Schweiz - bis 1966 sechs von sieben Weltmeisterschaften. 1948, als Schweden gewann, durfte Deutschland nicht mitspielen. Ein erstes Indiz für eine Wende war Schwedens Titelgewinn aber doch, und die Skandinavier hatten bereits 1938 - als, relativ unbeachtet, in der Berliner Deutschlandhalle auch eine Hallen-WM stattfand - gezeigt, dass das Spiel auf kleinem Feld vielleicht attraktiver werden könnte. Deutschland gewann auch diese Hallen-Premiere; schöner, raffinierter aber spielten die Schweden.

Flucht vor Wind und Wetter

Seit 1954 fanden dann zwar regelmäßig Weltmeisterschaften in der Halle statt, zweimal sogar in Deutschland: 1958 in der DDR und 1961 in der Bundesrepublik traten dabei gesamtdeutsche Teams an. Populärer blieb zunächst der Feldhandball; für Traditionalisten war eine seit 1948 (West) beziehungsweise 1949 (Ost) ausgetragende deutsche Hallenmeisterschaft eine Verirrung.

Feld- oder Halle, so lautete nach dem Krieg die Frage - die indes weniger eine spielphilosophische denn eine ganz praktische war. Im zerstörten Deutschland gab es zu wenig Hallen; einen Fußballplatz, auf dem Handball gespielt werden konnte, hatte aber fast jedes Dorf. In Skandinavien hingegen machten unwirtliche klimatische Bedingungen den Gang in die Halle zur Notwendigkeit: Das Spiel konnte sich, unabhängig von Wind und Wetter, weiterentwickeln - zu einem schnellen, technisch und taktisch anspruchsvollen Sport. Die Feld-Variante wirkte dagegen träge; die Regel, wonach nur sechs Spieler jedes Teams die Angriffsdrittel betreten durften, sorgte für tatenlose Versammlungen im brach liegenden Mittelfeld. Und sportlicher Nachwuchs blieb kaum: Für Kinder waren auch die Tore viel zu groß.

In den siebziger Jahren, als es überall Hallen gab, starb der Feldhandball ganz aus - dass die Hallenvariante 1972 olympisch wurde (Gold gewann Jugoslawien), bedeutete das Ende dieser (deutsch-)deutschen Tradition. Das Jahr 1966 markiert mit dem Finale der Bundesrepublik gegen die DDR den Abschluss der WM-Historie; 1969 fanden sich keine sechs Teams mehr für eine in der Bundesrepublik geplante Feld-WM. 1970 folgte das letzte Länderspiel, 1975 die letzte Deutsche Meisterschaft.

Die Skandinavier, die Ost- und Mitteleuropäer sowie Spanien und Frankreich zogen in der Halle mit den deutschen Teams gleich und an ihnen vorbei; nur im angelsächsischen Raum und in den USA blieb Handball exotisch. Deutschstämmige Spieler machten Rumänien in den Sechzigern und Siebzigern zur ersten Hallen-Weltmacht mit vier WM-Titeln (Deutschlands größter Spieler, der Banatschwabe Hansi Schmidt, war Flüchtling aus Ceaucescus Rumänien und dort zum Tode verurteilt - mit Gummersbach gewann er vier Europapokale der Meister).

Die UdSSR, nachmals Russland ist mit vier Olympiasiegen die erfolgreichste Nation der Neuzeit; der überraschende WM-Sieg der Bundesrepublik 1978 und Olympiagold für die DDR 1980 waren die größten Erfolge deutscher Nationalmannschaften - und die nach dem Fußball wichtigsten Siege deutscher Teams.