Meisterschaft '68: "Der Club war einfach immer da"

5.4.2018, 05:55 Uhr
Meisterschaft '68:

© Kammler

Herr Professor Sörgel, eine etwas gemeine, nicht bierernst gemeinte Frage zuerst: Womit könnten die Nürnberger Meisterfußballer von 1968 denn gedopt haben?

Sörgel: (lacht) Gustl Starek, der großartige Mittelfeldspieler, hat es mir gerade erst verraten: Sie haben sich damals einfach in einen Rausch gespielt. So muss es gewesen sein.

Klingt natürlich logisch. Aber geht das überhaupt: Pharmakologe zu sein – und Fan?

Sörgel: Klar, ich bin bei jedem Heimspiel, ich habe meine Club-Kappe auf und den Schal um, da mache ich mir überhaupt keine anderen Gedanken. Ich fiebere mit wie alle.

Naja, Sie haben’s da leichter – mit bestimmt den passenden Beruhigungsmitteln in der Manteltasche.

Sörgel: Die brauche ich auch nicht. Beim Fußball reicht mir ein Bier. Und die Bratwurst.

Wann und wie kam denn der 1.FC Nürnberg in Ihr Leben? Haben Sie eine erste konkrete Erinnerung?

Sörgel: Oh, schwer zu sagen. Ab wann hat man eine Erinnerung? Der Club war einfach immer da. Ich weiß aber noch, wie riesig ich mich gefreut habe, als einmal völlig überraschend eine Postkarte der Mannschaft für mich kam - von einem Auswärtsspiel in Frankfurt, unterschrieben von allen Fußballern.

Haben Sie die noch?

Sörgel: Natürlich!

Und wie kam der kleine Fritz zu so einer Ehre?

Sörgel: Ich habe bis heute keine Ahnung. Zu uns ins Rote Ross, in die Wirtschaft meiner Eltern in Heroldsberg, kamen sonntags immer die Ausflügler aus Nürnberg – und haben gesehen, wie bitterlich ich als Kind geweint habe, wenn der Club verloren hatte. Irgendein Gast, vermute ich, hatte einen Draht zur Mannschaft.

Die hat auch Sie nie wieder losgelassen. Die 1968-er Meister nennen Sie eine große Liebe.

Sörgel: Ja, aber liebe die die gesamten sechziger Jahre, meine Kindheit und Jugend mit dem Club. Zwei Meisterschaften, ein Pokalsieg: In einem Medaillenspiegel dieses Jahrzehnts wäre der 1.FC Nürnberg die Nummer eins im Land gewesen. Wir Buben waren alle vollkommen begeistert – manchmal war es sogar peinlich.

Warum das denn?

Sörgel: Im Meisterjahr 1968, ich war im Internat in Scheinfeld, war ich ausnahmsweise der Klassenbeste, obwohl ich überhaupt kein Streber war. Damals war es Tradition, dass man sich zur Belohnung ein Buch wünschen durfte, aus dem der Direktor dann vorliest. Und ich wünschte mir "Mit Zuckerbrot und Peitsche", die Autobiographie des Nürnberger Meistertrainers Max Merkel.

Oha.

Sörgel: Ja. Und der Direktor war Altphilologe ... Er hat es dann angewidert getan. Heute tut mir das sehr leid, das war ein bisschen unreif.

Und das Merkel-Buch?

Sörgel: Ich hab’s nie gelesen. Aber die Fußball-Leidenschaft hat mir für mein ganzes Leben sehr geholfen.

Tatsächlich? Inwiefern denn?

Sörgel: Wenn ich sehe, wie neurotisch, narzisstisch und rechthaberisch manche Kollegen in der Wissenschaft sind, bin ich sicher, dass sie nie Fußball gespielt und für Fußball geschwärmt haben. Dabei lernt man Fairness, Zusammenhalt. Und so eine Begeisterung zu kennen, sie gemeinsam erleben zu dürfen: Wer das Glück hat, kann auch viel härter arbeiten. Das verbindet mich mit viele großartigen Kollegen in der Forschung, wir reden gar nicht selten über Fußball.

So haben Sie nebenher ein besonderes Projekt gestemmt: Die 50-Jahr-Feier des Jahrhundertspiels, des 7:3 über den FC Bayern München am 2. Dezember 1967. Sie haben einen viel beachteten Ehrenabend für alle noch lebenden Spieler organisiert.

Sörgel: Ja, mit Bernd Siegler, dem Club-Historiker. Ich dachte einfach, das muss man feiern. Und dann suchte ich die Kontakte zu den Fußballern.

Einfach so? Das klingt auch nach recht naiver Begeisterung.

Sörgel: Aber ich glaube, sie haben alle gemerkt, was für ein Herzensanliegen mir das war. Horst Leupold hatte ich zuvor schon kennengelernt, die anderen kannte ich nur als Helden meiner Jugend. Gustl Starek habe ich zum Beispiel über Rapid Wien kontaktiert, er hat mich dann von den Seychellen aus zurückgerufen – ein sehr reflektierter, toller Mensch, wir waren sofort per Du, ganz unkompliziert. Und dann waren sie alle dabei im Casablanca-Kino in Nürnberg, es war großartig.

Schöner als ein hochkarätiger Forschungs-Kongress?

Sörgel: Aber ja. Es war ein Erlebnis, sich mit den Meisterspielern zu unterhalten, es sind so herzliche, unkomplizierte Menschen, es war eine richtige Gemeinschaft – und jetzt habe ich sogar die Ehre, so eine Art Medienbeauftragter für die Meister-Jubiläumsfeier der Stadt Nürnberg im Juni zu sein. Ich suche über die Sender das noch vorhandene Filmmaterial zusammen und andere Dokumente.

Schön. Eine Zeitreise.

Sörgel: Ich habe ja selbst alles noch. Die Postkarte, die Autogramme – das erste war von Max Morlock, in dessen Sportgeschäft ich mir als Bub die Fußballschuhe kaufen durfte – von Puma, das Modell Benfica. Und das Foto, das in allen Zeitungen war: Linksaußen Schorsch Volkert zeigt die Meisterschale – und im Hintergrund steht der kleine Fritz. Wenn ich es zeige, wollen mir es die Leute immer gar nicht glauben. Dieses Kribbeln kommt beim Fußball immer wieder – wie damals, bei den ersten Spielen im Stadion, man kann sich zurückversetzen in so großartige Zeiten.

Ist es das: Jeder Mensch, auch ein renommierter, seriöser und fleißiger Forscher, darf beim Fußball immer wieder Kind sein?

Sörgel: Genau das ist es. Sich ganz naiv freuen dürfen, so tun, als ob etwas Großes, ganz Wichtiges entsteht – und das ist es ja auch, deswegen wünsche ich mir so sehnlich, dass die Mannschaft jetzt, im Jubiläumsjahr der Meisterschaft von 1968, aufsteigt. Diese Liebe ist einfach drin in einem, und ich bedaure all die erwachsenen Menschen, die das nicht mehr spüren, nicht mehr erleben können.

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