Pyeongchang: Martin Härtl coacht blinde Biathletin

22.1.2018, 11:00 Uhr
Pyeongchang: Martin Härtl coacht blinde Biathletin

© Foto: Ralf Kuckuck/Nordic Paraski Team Deutschland

Von klein auf ist Clara Klug blind. Im Jahr 2012 erhielt die damals 17-Jährige einen Anruf, der ihr Leben veränderte. Am anderen Ende der Leitung war Martin Härtl, Landestrainer beim Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern (BSV). Die beiden kannten sich nicht, doch Härtl hatte Großes vor. Der 42-Jährige, der im normalen Leben Zollbeamter ist, sah Klug zum ersten Mal, als sie auf Einladung des BSV mit nach Norwegen reiste, wo sie "eher aus Spaß und nicht professionell auf Skiern" stand. "Ich habe sie dort gesehen und gleich gemerkt, dass sie Potential hat", erinnert sich Härtl vor allem an die "sauberen Bewegungsabläufe".

Ein langfristiger Plan sei das damals gewesen – mit dem Ziel Paralympics 2018. Aus Clara Klug sollte also eine Parabiathletin werden. "Sie sagte mir nach dem Telefonat zu, aber wohl ohne genau zu wissen, was auf sie zukommt. Der Leistungssport war das Ziel, 20 Stunden Training pro Woche und viele Entbehrungen", zählt er auf.

Härtl selbst weiß, was es heißt, sich gegen Widrigkeiten durchzusetzen. Mit 17 Jahren stürzte er aus neun Metern Höhe von einer Kletterwand, seitdem ist der Bewegungsapparat seiner Beine eingeschränkt. Das weckte in ihm das Interesse für den Behindertensport. Er kämpfte sich zurück und holte mehrfach den deutschen Meistertitel im Behindertensport über die 5000 und die 10 000 Meter Laufen.

Ständiger Zugriff

"Das hilft mir enorm bei der Arbeit mit Clara: Ich weiß, was es heißt, trotz Handicap das Beste aus seinem Körper herauszuholen", erklärt er. Außerdem habe ihn anfänglich sein Ehrgeiz als Trainer gepackt. Es sei die höchste Auszeichnung, einen jungen Sportler von Beginn an bis in die Weltspitze zu führen. Gerade im Behindertensport verliere man nie den Zugriff auf seinen Athleten. Mit Clara Klug ist Martin Härtl genau auf diesem Weg: in die Weltspitze.

"Wenn sie etwas will, schafft sie das auch", sagt er über seine Schülerin und hebt dabei drei ihrer Eigenschaften hervor: "zielstrebig, lernfähig und ungeduldig." Ihr sei früher alles sehr leicht gefallen, daher rühre ihre Ungeduld. "Ausdauersport – wie der Name schon sagt – dauert eben. Das kannte sie so nicht. Claras Ungeduld wird dann aber auch wieder zur Zielstrebigkeit."

Zudem lobt er ihre kognitive Stärke. "Ihre Fähigkeit, meine verbalen Informationen – beispielsweise was die Lauftechnik angeht – motorisch umzusetzen, ist beeindruckend." Ohne diese Leistung sei der Biathlonsport nicht möglich. Die Kombination Biathlon und Sehbehinderung scheint absurd. Das Duo Härtl und Klug zeigt, dass es das eben nicht ist. Er fährt voraus, sie hinterher. Beim Schießstand verlässt sie sich auf ihr Gehör. Über Kopfhörer ertönt ein Signal, bei durchgängigem und höher werdendem Ton nähert sich die Schützin der Mitte der Scheibe an.

Wichtige Anweisungen

Ihre Orientierung in der Loipe hängt von den Anweisungen Härtls ab. "Hopp" dient als Grundton zur Orientierung, "Rechts 3" beispielsweise steht für eine 90-Grad-Kurve nach rechts, die Ziffern beschreiben, wie stark die Kurve ist. "Ich muss mich dabei in sie reinversetzen. Welche Technik fährt sie gerade, nicht ich? Kommt eine Kuppe oder geht’s bergab? Verändert sich zum Beispiel der Untergrund?"

Und mit einem Augenzwinkern fügt er an: "Sie muss dann eigentlich nur noch das machen, was ich sage." Jedoch ohne ein enormes Vertrauen könne man es "freilich gleich sein lassen". Das Zusammenspiel muss stimmen, denn bei einer Abfahrt erreichen die beiden Geschwindigkeiten von über 50 km/h.

Leerer Kopf

Neben dem Vertrauen und der Leistung seiner Athletin ist aber auch seine eigene Fitness ausschlaggebend. Einen Leistungsvorsprung von rund 20 Prozent müsse der Begleitläufer einer Parabiathletin haben. Er selbst bewegt sich also ebenfalls deutlich im Bereich des Leistungssports. "Nach einem Rennen sind wir aber vor allem vom Kopf her leer." Die Konzentration des Duos muss hoch sein, die Anweisungen müssen sitzen, die Umsetzung ebenso.

Die vergangenen Jahre haben aber eines gezeigt: Klug und Härtl funktionieren. Der Coach hat das Gefühl, sie seien mehr als Trainer und Schülerin. In Pyeongchang vom 9. bis 18. März steht der ganz große Wurf an. Zu den zwei deutschen Meistertiteln in der Sprint- und der Mitteldistanz und den mehrfachen Podestplätzen bei Weltmeisterschaften soll sich dann eine Olympiamedaille dazu gesellen.

Doch auch nach Pyeongchang ist der vor sechs Jahren eingeschlagene Weg noch nicht vorbei. Mindestens die Paralympics im Jahr 2022 sollen noch drin sein. "Clara ist noch jung, ihr Leistungsmaximum kommt erst noch", sieht Härtl optimistisch in die Zukunft. Aber auch 2018 sei ein Podestplatz drinnen, "wenn alles zusammenkommt, sogar noch mehr", frohlockt der Trainer.

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