Silvia Neids Nominierungsdilemma

1.7.2011, 16:28 Uhr
Silvia Neids Nominierungsdilemma

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Da waren knapp 50000 Fußballbegeisterte, die aus der gesamten Republik in die Main-Metropole angereist waren – die Autokennzeichen bewiesen’s –, um die deutsche Frauenmannschaft gegen Nigeria anzutreiben. Und sie verbreiteten schon Stunden vor der Partie rund um die ausverkaufte Arena ausgelassene Feierstimmung, der die Aggressivität völlig abging, die man bei Männerspielen in der Regel in den Stadien erlebt.

Das Kontrastprogramm zu dieser fröhlich-beschwingten Atmosphäre erlebte man dann eineinhalb Stunden lang auf dem Rasen: Selten war bislang im Frauenfußball ein derartig „dreckiges“ Spiel zu erleben, das stellenweise fernab des Balls fast schon hinterfotzig ausartete, wie man im Fränkischen etwas derber formuliert. Da traten, grabschten und stießen die Afrikanerinnen, was die Körper hergaben. Sie nutzten clever die Freiheiten, welche die erschreckend schwache, heillos überforderte südkoreanische Schiedsrichterin Cha Sung Mi zuließ.

Bei allem Patriotismus und nationaler Voreingenommenheit: Die Reaktionen des Publikums auf zahlreiche Entscheidungen der Unparteiischen mit gellenden Pfiffen bewiesen Gespür für die jeweilige Situation. Was im Übrigen auch für das unüberhörbare Pfeifkonzert galt, welches das deutsche Team angesichts der unerwartet schwachen, ja ganz einfach grottenschlechten Rumpel-Leistung zur Pause in die Kabine begleiteten.

„Ich habe noch keine meiner Spielerinnen gesehen, die keinen Verband trägt“, klagte DFB-Trainerin Silvia Neid nach dem teuer erkauften 1:0 gegen die robust einsteigenden Nigerianerinnen. Doch die erreichten damit zumindest ein Ziel: Sie kauften den Deutschen schnell den Schneid ab. Außer Mittelfeldabräumerin Simone Laudehr – und den eingewechselten Alexandra Popp und Inka Grings – hielt kaum eine der DFB-Frauen dagegen.

Nicht clever, sondern unsportlich war es in zwei anderen Situationen: Nachdem die Deutschen den Ball ins Aus gespielt hatten, um die Behandlung einer verletzten Mitspielerin zu ermöglichen, nutzten dies die Afrikanerinnen, um das Spiel selbst fortzusetzen. Und als eine Deutsche angeschlagen am Boden lag, missachteten sie selbst die Aufforderung der Schiedsrichterin, den Ball ins Aus zu spielen, sondern setzten ihren Angriff einfach fort.

Wie gut die Stimmung innerhalb des deutschen Teams wirklich ist, darüber kann nur spekuliert werden. Vor der Partie erweckte es den Eindruck großer Homogenität: Ein Betreuer klatschte alle Akteurinnen ab, ehe die sich nach dem Aufwärmen in Richtung Kabine begaben. Und beim Mannschaftskreis reihten sich auch die Einwechselspielerinnen in den großen Kreis ein und warteten auf Birgit Prinz, bis die Spielführerin die Platzwahl absolviert hatte.

Doch eben die verwischte den Eindruck der Geschlossenheit, als sie vorzeitig vom Platz musste. Ob sie angesichts der Auswechslung so angefressen war oder wegen ihrer unterirdischen Leistung auf dem Platz mit sich selbst unzufrieden, wurde nicht ganz klar. Die Bundestrainerin gab sich nach dem Spiel zurückhaltend: „Keine Spielerin wird gern ausgewechselt, von daher kann man darauf auch unzufrieden reagieren.“

Neid, die oft kopfschüttelnd in ihrer Coachingzone stand, steckt jedenfalls in der Zwickmühle: Stellt sie das Team im Spiel um den Gruppensieg gegen Frankreich am Dienstag (20:45) in Mönchengladbach nach sportlichen Kriterien auf, hätte die Rekordnationalspielerin in ihrer derzeitigen Verfassung dort nichts zu suchen. Ein minimaler Aktionsradius, mangelnde Schnelligkeit und mangelnde Passgenauigkeit, nur damit fiel die 33-Jährige in ihrer Heimatstadt auf. „Endlich geht sie“ – das Aufatmen selbst auf der Medientribüne war unüberhörbar, als Neid ihre dienstälteste Akteurin vom Platz holte. Und vielleicht war es ein Wink des Schicksals, dass der Siegtreffer drei Minuten nach dem Abgang einer der Bremsen im Offensivspiel des Titelverteidigers fiel.

Silvia Neids Nominierungsdilemma

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Was Helmut Kohl darüber dachte, wird man wohl nie erfahren. Der gesundheitlich schwer angeschlagene 81-jährige Altkanzler sorgte jedenfalls für eine Überraschung, als ihn Gattin Maike Kohl-Richter im Rollstuhl in den Ehrengastbereich fuhr und den deutschen Kickerinnen so enorme Wertschätzung widmete. Das Spiel verfolgte Kohl aufmerksam, direkt hinter Günther Netzer und wenige Reihen hinter der Grünen-Politikerin Claudia Roth sitzend, die vor dem Anpfiff auf der Tribüne zur Musik aus den Lautsprechern tanzte.

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