Uni-Team um Prof. Lochmann unterstützt auch Club und SpVgg

27.3.2012, 18:25 Uhr
Uni-Team um Prof. Lochmann unterstützt auch Club und SpVgg

© Sportfoto Zink

NZ: Herr Lochmann, die Nachwuchsleistungszentren der Profivereine haben die nächste Zertifizierungsrunde hinter sich – welche Rolle spielt die Zertifizierung überhaupt?

Matthias Lochmann: Die Zertifizierung, die 2007 das erste Mal durchgeführt wurde, war sicher der wichtigste Hebel für Veränderungen in der Qualität der Arbeit der NLZ. Davor war Rolf Rüssmann quasi im Alleingang für den DFB unterwegs und hat versucht, die Qualität der Arbeit zu beurteilen. Er sagte mir öfter, dass ihm damals sehr schnell deutlich wurde, dass man ein Instrument dafür braucht, wenn man das wirklich fundiert, nachvollziehbar und messbar machen will. Dieses Instrument fand er in Belgien bei der Firma Double Pass. Es wurde an die deutsche Situation angepasst und war bisher der wirksamste Hebel, um in acht Qualitätsbereichen die NLZ-Arbeit zu messen, zu beurteilen und zu bewerten.

NZ: Wie wird die Arbeit bewertet?

Lochmann: Ein Verein kann eine Einstufung in Form von null bis drei Sternen erreichen, pro Stern wird eine bestimmte Summe von DFB und DFL an den Verein ausgeschüttet. Heute kann man mit drei Sternen auf über eine Million Euro in drei Jahren an Unterstützungsgeldern kommen.

NZ: Wie sehen die Qualitätskriterien aus?

Lochmann: Anfangs waren es etwas mehr als 200 Qualitätskriterien. Im Zentrum stand die Qualität der Fußballausbildung, also die Trainingspläne, mit denen die Vereine arbeiteten. Zum Beispiel wurde gefragt: Sind Lernziele definiert für den Bereich der athletischen, sportpsychologischen und der fußballspezifischen Ausbildung? Es wurden die unterstützenden Maßnahmen untersucht, wie die medizinische Abteilung aufgestellt ist, wie viele Physiotherapeuten es gibt, wie die schulische Begleitung organisiert ist. Die Infrastruktur wurde gemessen, wie viele Plätze und Kabinen sind verfügbar. Es wurde die Personalstruktur untersucht, wie viele hauptamtliche Trainer oder Angestellte insgesamt sind im NLZ vorhanden? Die Ergebnisse sorgten auch für ein Stück Ernüchterung.

NZ: Wie reagierte der DFB darauf?

Lochmann: Der DFB griff den Vereinen unter die Arme, indem man ihnen Stärken-Schwächen-Analysen gab, ebenso Hinweise, wie sie ihre Arbeit verändern sollten, um in einem zweiten Zertifizierungsdurchgang ein besseres Ergebnis erreichen zu können. Einige Klubs haben inzwischen sogar drei Zertifizierungen durchlaufen.

NZ: Die Voraussetzungen zwischen den großen und kleinen Vereinen sind sehr unterschiedlich . . .

Lochmann: Ein größerer Verein kann einen Qualitätsmanager anstellen, der kleinere Verein muss das mit dem eigenen und meist zu geringen Personal zusätzlich erledigen. Meines Erachtens sind die meisten Nachwuchsleistungszentren in Bezug auf hauptamtliche Mitarbeiter personell chronisch unterbesetzt, bei denen viele Mitarbeiter in Doppel- oder Dreifachfunktionen tätig sind.

NZ: Haben Sie das nicht moniert?

Lochmann: Bereits seit 2008 plädiere ich für den Aufbau eines wissenschaftlich fundierten Unterstützungssystems, insbesondere für jene Profiklubs, die mit sehr knapp bemessenen Budgets kalkulieren müssen. Nochmals verschärft hat sich diese Problematik dadurch, dass seit 2010 statt über 200 Kriterien nun über 600 Kriterien bei den Vereinen abgeprüft werden. Per se sicher eine geeignete Maßnahme, um den Anpassungsdruck auf die Vereine weiter zu steigern. Ohne ein begleitendes Unterstützungssystem führt dies meiner Auffassung nach aber leider dazu, dass die Schere zwischen finanzstarken Vereinen und solchen mit geringerem Budget weiter auseinandergeht. Doch das ist bis zum heutigen Tage nicht geschehen. Man hat einen richtigen Schritt vorgenommen, indem man 2011 ein Handbuch an die Vereine herausgegeben hat. Es ist sehr gut aufbereitet, gibt eine Idee darüber, wie man so etwas machen kann. Das reicht aber nicht aus. Wir stellen in unseren Kooperation mit unterschiedlichen Vereinen aus dem Bundesligabereich fest, dass Unterstützung erwünscht ist, weil das Thema so komplex und die Arbeitskraft im Verein oft zu gering ist.

NZ: Sie haben den 1. FC Nürnberg und die SpVgg Greuther Fürth bei deren Zertifizierung wissenschaftlich begleitet – offensichtlich erfolgreich, denn beide Vereine haben das Optimum von drei Sternen erreicht . . .

Lochmann: Wir haben unsere wissenschaftliche Expertise unter anderem in der Zertifizierung zur Verfügung gestellt, aber auch jetzt, da die Zertifizierung abgeschlossen ist, arbeiten wir mit den Vereinen intensiv wissenschaftlich weiter. Natürlich gibt es immer Gemeinsamkeiten im Fußball, alle müssen etwas mit dem Ball machen, müssen Dribbling und Schießen lernen. Aber welche Übungen man dafür aussucht, welche Datenbank man verwendet, um alle Prozesse in einem NLZ zu organisieren, darin unterscheiden sich die Vereine erheblich voneinander. Wir unterbreiten wissenschaftlich fundierte Vorschläge, welches vernünftige Tools sind.

NZ: Wie haben Sie die Tools erarbeitet?

Lochmann: Unter anderem dadurch, dass viele unserer Studenten an diesen Projekten mitgearbeitet haben und weiter mitarbeiten. Studenten, Vereine und Universität profitieren da stark voneinander. Einerseits können die Studenten Zulassungsarbeiten schreiben über Teilgebiete unserer Vereinskooperationen, andererseits bieten die Vereine hierfür die Plattform und kommen so selbst in den Genuss der Entwicklungsprodukte. Die Maßnahmen müssen implementiert werden. Hierzu haben wir an der FAU ein internetbasiertes Werkzeug geschaffen, mit dem ein Klub die Implementierung aller 600 Kriterien onlinegestützt überwachen kann – auch darüber sind dann wieder Arbeiten von Studenten angefertigt worden. Es ist aber auch so, dass Absolventen, die bei uns ausgebildet worden sind, den Weg in die Vereine gefunden haben, als Jugendtrainer oder Leistungsdiagnostiker.

NZ: Haben die Beratungserfolge bei Club und Fürth auch das Interesse anderer Vereinen geweckt?

Lochmann: Ja. Wir stehen mit vielen im Kontakt, und es ist durchaus denkbar, dass wir in der nächsten Zeit mehrere Vereine gleichzeitig betreuen, möglicherweise sogar solche aus der Premier League in England. Wir haben uns so organisiert, dass eine Betreuung mittlerweile auch über das Internet möglich ist. Zu unserem Angebot gehört beispielsweise auch eine IT-Schulung des Personals.

NZ: Sie setzen sich seit langem für ein stärkere Allianz zwischen Fußball und Wissenschaft ein. Was treibt Sie an?

Lochmann: Mich hat stets interessiert, wie der Fußball in all seinen Dimensionen, also Amateur-, Profi-, Kinder-, Jugend- und Erwachsenenfußball, weiterentwickelt werden kann. Als Fußballer beim SV Darmstadt 98 und junger Sportstudent wurde mir schnell klar, dass eine gigantische Lücke klaffte zwischen dem, was an den Universitäten als „State of the Art“ im Bereich Sportmedizin, Trainings- und Bewegungswissenschaft, Sportpsychologie und der Fachdidaktik Fußball gelehrt wird, und dem, was im Amateur- und Profibereich im Training und Wettkampf zur Anwendung gebracht wird.

NZ: Haben Sie dafür Beispiele?

Lochmann: Schon seit Jahrzehnten ist klar, dass die Spielfeld- und Torgröße sowie die Spieleranzahl in der Art, wie es die Spielordnung bislang insbesondere bis hin zum C-Jugendbereich vorsah, nicht kindgemäß waren. Es dauerte etwa 30 Jahre, bis diese Erkenntnis in eine geänderte Spielordnung überführt wurde, die es nun ermöglicht, zumindest mit altersangepassten Feldgrößen zu spielen. Des Weiteren werden leistungsdiagnostische Daten oft gar nicht erhoben, und wenn, dann auf der Basis veralteter Standards. Hinzu kommt häufig, dass zwar gemessen wird, aber die erhobenen Daten nicht in ein verändertes Training münden. Die Auflistung von Beispielen ließe sich beliebig fortsetzen.

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