Therapieeinrichtung in Birnthon: Vom Kampf gegen die Sucht

24.10.2014, 14:05 Uhr
Die Einrichtungsleiter Michael Wehner und Metin Sert (von links) vor dem Haus in Birnthon, in dem derzeit 17 Süchtige leben.

© Luisa Degenhardt Die Einrichtungsleiter Michael Wehner und Metin Sert (von links) vor dem Haus in Birnthon, in dem derzeit 17 Süchtige leben.

Onur (alle Namen der Süchtigen geändert) trägt ein rosafarbenes Langarmshirt von Marc O’Polo, die schulterlangen, silbrig glänzenden Haare hat er mit Gel gezähmt und zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden, seinen Oberlippenbart hat er akkurat gestutzt. Onur ist seit 1. September in Birnthon, weil er zu viel gekifft hat. Er sagt, er konsumiere seit 1989 Marihuana. „Es gab Zeiten, in denen ich aufgehört habe, aber ich war immer so dumm und habe wieder angefangen.“ Wegen Dealerei kam der 42-Jährige ins Gefängnis, weil er sich für eine Langzeittherapie entschieden hat, kam er früher wieder raus.

Die Tür zum Gruppenraum geht auf, herein kommt Ali, eine imposante Erscheinung mit bernsteinfarbenen Augen und schwarzem Kapuzenpulli. Er ist hier wegen Crystal Meth und Speed. Ali ist 21, mit 18 zog er seine erste Line, „aus Neugier“. Alle seine Freunde haben Drogen genommen oder verkauft. Er ist auf Chemie hängengeblieben, weil er „druff“ nicht mehr nachgedacht hat. Weder über seine Arbeit, noch über seine Wohnung. Beides hat er verloren. „Ich hab keinen Sinn mehr darin gesehen, nüchtern auf der Straße rumzulaufen“, sagt er.

Ali hat ADHS, normalerweise wirkt Crystal aufputschend, ihn macht es ruhiger. „Wenn ich auf Drogen bin, bin ich der Mensch, den sich meine Freunde wünschen“, sagt er. Ihre Tage nüchtern zu verbringen, daran müssen dich die „Klienten“ – so werden die Abhängigen in Birnthon genannt – erst wieder gewöhnen. 22 Plätze hat die „Mudra – Alternative Jugend- und Drogenhilfe“ hier eingerichtet. Die Kerntherapie dauert sechs Monate, danach können die Süchtigen in die Adaptionsphase, die Endphase, gehen. Sie lernen Eigenverantwortung, machen Praktika, werden bei der Wohnungssuche unterstützt. Etwa zwei Drittel der Patienten schließen die Adaptionsphase an.

Verschiedenste Formen von Sucht werden in Birnthon behandelt, weil man keine klare Grenze ziehen kann. „Spielsucht geht oft mit Drogensucht einher“, sagt Einrichtungsleiter Metin Sert. Eigentlich war „dönüs“, was „Wende“ heißt, nur für Süchtige aus dem türkisch-orientalischen Kulturkreis gedacht, das hat sich vor zwei Jahren geändert. Michael Wehner leitet gemeinsam mit Metin Sert die Einrichtung und erklärt: „Wir wollten raus aus dem Käseglockendasein.“ Die Klienten kommen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Therapie als Auflage

Der 44-jährige Mecit ist Nürnberger, seine lockigen, grauen Haare lassen sich vom Haargummi nicht bändigen, immer wieder streicht sich Mecit über den Kopf. Er stößt als Dritter dazu, will auch von seiner Drogenvergangenheit erzählen. Bei ihm war es wie bei Ali Crystal. Er hat die gefährliche Droge, die zu einem zunehmenden Problem – insbesondere in Bayern – wird, zur Leistungssteigerung genommen. „Ich war kurz vor der Nadel, vollgempumpt bis obenhin“, sagt er. Auch er macht die Therapie, weil sie eine Auflage der JVA war. Er kam ins Gefängnis wegen der Einfuhr von Crystal aus Tschechien.

„Das ist alles psychisch. Wenn du im Kopf damit abgeschlossen hast, ist es vorbei“, sagt Mecit bestimmt, sodass man es ihm sofort glaubt. Nie wieder will er Crystal schnupfen. Die anderen beiden sind da weniger strikt. Wenn man Onur fragt, ob er je wieder kiffen wird, zuckt er mit den Schultern, grinst und sagt: „Das kann man nie wissen.“ Ali hatte bereits einen Rückfall seit er am 4. September nach Birnthon gekommen ist.

„Wenn wir von Crystal reden, kriegst du Augen wie Eier“, sagt Mecit zu ihm. Ali lacht: „Damit will ich auch aufhören. Aber Gras ist meine Leidenschaft.“ Manchmal geht es ihm richtig schlecht. „Dann will ich mich am liebsten totrotzen.“ Ab und an macht ihm sein Verhalten Angst, wenn er über die Zeiten nachdenkt, als er „konsumiert hat wie ein gieriger Hund“.

70 Prozent werden rückfällig

20 Prozent der Klienten sind nach einer Therapie dauerhaft clean. Zehn Prozent haben ab und an einen Rückfall, gelten jedoch als clean, 70 Prozent werden dauerhaft rückfällig. Die Therapie der mudra gliedert sich in Gruppen-, Einzel- und Arbeitstherapie sowie Sport und Freizeitaktivitäten. Gegessen wird gemeinsam, bei der Essenszubereitung hat jeder eine Aufgabe.

So lernen die Klienten, Verantwortung zu übernehmen. In Birnthon wohnen ausschließlich Männer. In der deutschen Drogenszene kommt auf drei drogenabhängige Männer eine Frau, bei Migranten auf zehn Männer eine Frau. „Eine, maximal zwei Frauen hier zu haben, wäre für diese nicht zumutbar“, sagt Wehner. Der Tagesablauf ist strukturiert von 7 bis 17 Uhr, neun Mitarbeiter kümmern sich um die Bewohner.

Ihr Schicksal bringt die Männer zusammen. Ali bezeichnet Onur und Mecit als seine Brüder, vor ihnen hat er keine Geheimnisse. Die beiden Älteren reden immer wieder auf den Jüngeren ein, seine Drogenkarriere zu beenden.

Denn Ali sagt, wenn er aus der Therapie raus ist, will er erst mal nach Amsterdam fahren, um zu kiffen. Die anderen beiden sind sich sicher, dass Ali nicht nur bei THC bleibt und über kurz oder lang wieder zu harten Drogen greift. „Bis wir tot sind, ist die Sucht da“, sagt Onur.

Am Sonntag, 26. Oktober, findet um 14 Uhr ein zweistündiger Lauf statt, bei dem insgesamt 50 Bewohner und externe Läufer an den Start gehen. Danach gibt es ein Buffet. Zuschauer und Interessierte sind herzlich eingeladen.

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