Vize-Landrat erinnert sich an Deutsche Einheit in Lauf

3.10.2015, 18:59 Uhr
Helmut Reich kann sich noch gut an die Anfänge der Partnerschaft mit dem sächsischen Annaberg erinnern.

© PZ-Archiv/Fischer, Krieger Helmut Reich kann sich noch gut an die Anfänge der Partnerschaft mit dem sächsischen Annaberg erinnern.

Helmut Reich, damals stellvertretender Landrat des Nürnberger Lands, erlebte die Wende als Kommunalpolitiker hautnah mit. Für die Pegnitz-Zeitung blickt er 25 Jahre zurück. „120 Menschen, übernächtigt und erschöpft, brauchten mit einem Schlag eine Bleibe. Ich kann mich erinnern: Das THW Lauf reagierte sofort, organisierte Feldbetten und Essen und als ich als Vertretung für den im Urlaub weilenden Landrat Klaus Hartmann in die Notunterkunft im Haberloh in Lauf kam, um die Menschen zu begrüßen, war bereits alles gerichtet. Zwei oder drei Monate sind die Flüchtlinge damals geblieben, ehe es die meisten von ihnen zu Verwandten und Familien in anderen Regionen des Landes zog. Die Hilfsbereitschaft war groß. Die Leute haben Kleidung und Lebensmittel vorbeigebracht, es haben sich alle Mühe gegeben, die Menschen gut zu versorgen.Einige von ihnen sind auch geblieben und haben hier neu angefangen. Wie viele es waren, kann ich nicht sagen, aber ich weiß, dass Firmen wie Glimpel, Dressely und andere den Menschen damals Arbeit angeboten haben und einige der Prager Flüchtlinge haben auch angenommen.

Wenn ich zurückblicke, dann geht es mir wie fast allen Menschen: Ich erinnere mich an die Montagsdemonstrationen, an die Szenen in Prag und Ungarn und natürlich auch an die Trabi-Schlangen, die 1989 durch unseren Landkreis fuhren. Ich habe den Mauerfall wie die meisten Menschen am Fernseher miterlebt und ich war gerührt, vielleicht auch deshalb, weil ich selbst als Vertriebener 1946 meine Heimat im Egerland verlassen musste und weiß, wie schwer für Familien der Neuanfang ist. Insofern kann ich auch die Situation der heutigen Flüchtlinge nachfühlen, auch wenn ich angesichts der Mengen, die aktuell in unser Land kommen, wie die meisten Menschen mittlerweile eine ambivalente Haltung dazu habe. Ich hoffe, dass uns die Integration der Flüchtlinge gelingt. Ich bin der Meinung, dass wir bei diesem Thema unsere Anstrengungen, auch in Sachen Bürokratieabbau, verstärken müssen. Nicht nur nach dem Krieg, auch 1990 war es für die Menschen, die zu uns kamen, deutlich einfacher, in Lohn und Brot zu kommen und sich eine Existenz aufzubauen. Vielleicht müssen wir hier unsere Haltung überdenken.

13. November 1989: Im Foyer des Laufer Rathauses stehen DDR-Bürger Schlange, die sich nach dem Fall der Mauer ihr Begrüßungsgeld in Höhe von 100 Mark abholen wollen.

13. November 1989: Im Foyer des Laufer Rathauses stehen DDR-Bürger Schlange, die sich nach dem Fall der Mauer ihr Begrüßungsgeld in Höhe von 100 Mark abholen wollen. © PZ-Archiv/Fischer, Krieger

Negative Stimmen gab es auch

Die Wiedervereinigung war für mich ein emotionales Erlebnis und ein Glücksfall für Deutschland. Auch wenn es an den Stammtischen auch negative Stimmen gab, nach dem Motto ,Wie sollen wir die Ossis alle durchfüttern?‘, herrschte doch in der Bevölkerung und in der Politik ein breiter Konsens. Das Positive überwog. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten – ich erinnere mich noch daran, wie in den Rathäusern das Begrüßungsgeld ausgezahlt wurde und sich selbst am Wochenende lange Schlangen bildeten, sodass wir eigene Mitarbeiter abstellen mussten, haben wir diese große Aufgabe doch gut gemeistert.

Im Kreistag war schnell klar, dass wir uns engagieren werden, wenn wir können, und als durch Zufall über eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Kontakt zum Landkreis Annaberg-Buchholz zustande kam, haben wir nicht gezögert und sind bereits im Januar 1990 nach Annaberg gefahren. Zu fünft im Mercedes. Mit dabei neben Landrat Hartmann und mir auch die Fraktionsführer der großen Parteien, Gerhard Voack von der CSU und Albrecht Frister von der SPD. Wir wurden dort herzlich willkommen geheißen. Für uns war das auch eine Reise in die DDR-Vergangenheit, denn wir übernachteten im ehemaligen Jagdhaus von Erich Honecker bei Neudorf. Landrat Hartmann bekam das Zimmer des früheren DDR-Staatschef, es war alles sehr luxuriös, mit tiefen Ledersesseln und gar nicht so, wie man es von einem kommunistischen Parteiführer erwartet hätte.

Besuch des Kreistages Annaberg

Im Frühjahr besuchte uns dann der Kreistag von Annaberg in Lauf und am 19. Oktober 1990 wurde der Partnerschaftsvertrag im Wollnersaal unterzeichnet. Der Tag war somit für den Landkreis so etwas wie der Tag der Wiedervereinigung. Ich hatte im Übrigen schnell eine geistige Nähe zu den Menschen dort, auch weil der Dialekt sehr ähnlich ist zu dem in meiner alten Heimat, dem Sudetenland.Die Partnerschaft mit Annaberg würde ich wie alle anderen Partnerschaften, die in dieser Zeit entstanden sind, als echte Bewegung ,von unten‘ bezeichnen. Für mich haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass im Osten des Landes sehr schnell demokratische Strukturen eingezogen sind. Auch wenn es vielleicht spröde klingt: Es waren in hohem Maße die Verwaltungsstrukturen, die das ermöglicht haben. Die haben Landkreise wie Annaberg von uns übernommen.

Ich kann mich an zahllose Besuche erinnern, in denen sich der dortige Sozialreferent und der Kämmerer über unsere Einrichtungen informiert haben. Ganze Satzungen etwa zur Gewerbesteuer, zu Beitragserhebungen, zur Straßenreinigung bis zur Hundesteuer haben wir damals weitergereicht. Auch ich als Bürgermeister von Happurg, das eine Partnerschaft mit Neudorf pflegte. Aber auch Vereine und die Feuerwehren öffneten ihre Türen, spendeten Gerät und gaben Know-how weiter. Es war ein bereitwilliges Geben und wir haben dafür vielfach Dank zurückbekommen. Auch als wir nach dem großen Hochwasser 2002 über 66.000 Euro für Annaberg gesammelt haben. Heute, würde ich sagen, sind Kreise wie Annaberg, das im Zuge der Gebietsreform zum Kreis Erzgebirge zugeschlagen wurde, zum Teil sogar besser aufgestellt als unsere Verwaltungen. Zumindest sind sie mutiger. Sie haben sich von überall die besten Ideen geholt und von Anfang an auf weniger Bürokratie und weniger Steuerung durch den Staat gesetzt. So sind dort Krankenhäuser von Anfang an in GmbHs umgewandelt worden, genau wie Verkehrsbetriebe. Damit ersparte man sich so manche Debatte und belastet den Haushalt weniger.

Umgekehrt haben wir uns im Jahr 2000 angehört, wie der Kreis Annaberg seinen Tourismus in Gang gesetzt hat. Aus einem denkwürdigen Besuch des damaligen Landrates in Lauf ging unter anderem auch die Idee eines Kreisentwicklungsplans für das Nürnberger Land hervor. Nicht überall blüht es Die Partnerschaft mit Annaberg ist, wie alle Partnerschaften, ein Gegengewicht zur großen Politik und ich hoffe, dass sie es noch viele Jahre bleiben wird.

Generell denke ich, haben wir die 25 Jahre Deutsche Einheit gut gestaltet, auch wenn die Prophezeiung blühender Landschaften nicht überall eingetreten ist. Wenn ich im Osten bin, sehe ich beides: schöne Städte mit Wirtschaftskraft und arme Gegenden. Der Solidaritätszuschlag hat hier sicher mit geholfen. Ob er heute, angesichts der dringenden anderen Aufgaben, vor denen wir stehen, noch nötig ist, darüber kann man diskutieren. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass etwas von dem Gefühl des Herbstes 1989 in uns neu entflammt, denn es gilt auch heute, Herausforderungen gemeinsam zu meistern.“

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