Wenn die Mama drogensüchtig ist

10.4.2017, 21:17 Uhr
Wenn die Mama drogensüchtig ist

NZ: Frau Kaubisch, Frau Leuders, wie viele Ihrer Klientinnen sind Mütter?

Silvia Kaubisch: Etwa die Hälfte unserer Klientinnen haben Kinder. In allen unseren Arbeitsbereichen haben wir jährlich mit 700 Frauen und bis zu 120 Kindern zu tun.

 

NZ: Sie haben auch schwangere Frauen als Klientinnen. Was sind die größten Schwierigkeiten für sie?

Anne Leuders: Jeder Fall ist anders. Es gibt große Unterschiede bei Frauen im Suchtkonsum und auch in ihrer Lebenssituation. Schwierig ist es vor allem dann, wenn die Frau sehr spät die Schwangerschaft feststellt oder jemandem davon erzählt. Denn dann gibt es nur ein kleines Zeitfenster, um vieles zu regeln.

 

NZ: Warum merken manche Klientinnen von Ihnen so spät, dass sie ein Kind erwarten?

Leuders: Es kann viele Gründe haben. Durch den Drogenkonsum bleibt die Regel bei Frauen oft aus und viele gehen davon aus, dass sie nicht schwanger werden können. Die erkennen die Anzeichen nicht. Schwer traumatisierte Frauen sind außerdem in der Körperwahrnehmung eingeschränkt. Manche verdrängen es aber auch. Manche bemerken schon ihre Schwangerschaft, aber für sie ist es schwer, sich an entsprechende Stellen zu wenden.

 

NZ: Warum?

Leuders: Zum einen fühlen sie sich nirgends gesehen, es gibt kaum spezielle Angebote für sie und ihre Kinder. Außerdem ist die Angst da, dass das Jugendamt eingeschaltet wird und das Kind nach der Geburt weg kommt. Und die Frauen spüren eine enorm große Scham und haben Schuldgefühle, dass man das Kind vielleicht schon geschädigt hat. Je eher aber die Frauen eine Ansprechpartnerin haben, desto eher können sie in die Richtung denken, nicht weiter Drogen zu konsumieren.

Kaubisch: Ein ganz wichtiger Türöffner ist es, Frauen mit Wertschätzung zu begegnen. Erfahren sie Abwertung, wenn sie das Thema Sucht und Schwangerschaft ansprechen, dann erreicht das Hilfesystem die Frauen nicht mehr.

 

Wenn die Mama drogensüchtig ist

© F.: Lilith/Jurga Graf

NZ: Gibt es auch drogenabhängige Frauen, die bewusst Mütter werden wollen?

Kaubisch: Viele Frauen haben ganz tragische Biografien und wenig Harmonie und Zugehörigkeit in ihrer Ursprungsfamilie erlebt und wünschen sich deswegen, selbst eine Familie zu gründen und es besser zu machen. Sie haben es aber schwer. Es gibt viele Bilder in der Gesellschaft, wie man Mutter wird und wie man als solche zu sein hat. Die illegale Drogenabhängigkeit gehört nicht dazu. Dabei möchten diese Frauen gute Mütter sein. Die Abhängigkeitserkrankung ist ein Teil ihrer Persönlichkeit, aber eben nur ein Teil. Die Frauen bringen auch so viel an Fertigkeiten und Erfahrung mit. Das wird oft vergessen.

 

NZ: Wie gehen Sie vor, sobald Sie von der Schwangerschaft der Frau erfahren?

Kaubisch: Vorab müssen wir genau schauen, was und wie viele Drogen die Frau konsumiert. Wir zeigen sehr transparent, wie wir arbeiten, damit sich die Klientin bei uns sicher fühlt und uns viele Infos gibt. Denn nur so können wir am besten entscheiden, welche Schritte notwendig sind.

Leuders: Wir besprechen auch, welche Unterstützung die Frau von uns haben möchte. Denn das ist sehr unterschiedlich. Manche wollen gleich einen Entzug machen. Andere finden selbstständig einen Therapieplatz, brauchen aber eine Wohnung. Aber immer geht es den Frauen darum, dass das Kind bei ihnen aufwächst. Dann besprechen wir mit ihnen, welche Schritte notwendig sind, damit es auch so kommt. Wenn es um kleine Babys geht, dann ist die Voraussetzung dafür die Konsummittelfreiheit.

NZ: Ist dann eine Schwangerschaft auch als Chance zu verstehen?

Kaubisch: Auf jeden Fall. Es ist ein komplettes Innehalten: Was ist jetzt und wo möchte ich hin? Die Aufgabe des Hilfesystems ist hier, der Frau sofort Unterstützung anzubieten. Ob die Schwangerschaft als Chance wahrgenommen wird, hängt auch stark davon ab, wie das Hilfesystem den Frauen begegnet.

 

NZ: Mit welchen Stellen arbeiten Sie zusammen?

Leuders: Wir haben gute Kooperationen mit zahlreichen Institutionen, etwa Geburtskliniken, wo vieles schon im Vorfeld der Geburt besprochen werden kann. Da erleben wir viel Wertschätzung auf Seiten der Mediziner und der psychologischen Dienste der Krankenhäuser. Wir arbeiten auch eng und erfolgreich mit dem Jugendamt zusammen.

 

NZ: Welche zusätzliche Angebote würden Sie sich für Ihre Klientinnen wünschen?

Leuders: Der Großteil unserer Klientinnen ist von Gewalt betroffen.
Frauen, die aktuell Drogen konsumieren, werden in den Frauenhäusern kaum aufgenommen oder nur unter sehr strengen Vorgaben. Wir haben kaum Mutter-Kind-Einrichtungen in Deutschland mit speziellen Konzepten für Frauen mit Suchtproblematik. Auch mehr auf die Zielgruppe
abgestimmte Unterstützungen, wenn das Baby schon da ist, wären notwendig.

Kaubisch: In der gesamten Suchthilfe waren Themen wie Schwangerschaft und Mutterschaft kaum gesehen. Erst in den letzten Jahren und sehr zögerlich fing man damit an. Wir haben bundesweit auch kaum Einrichtungen, die sich speziell an die Kinder aus suchtbelasteten Familien oder Schwangere wenden. Diese Zielgruppe ist unterversorgt.

 

NZ: Wie hat sich die Suchtarbeit insgesamt in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?

Kaubisch: Vor mehr als 30 Jahren gab es noch keine Ansätze in Deutschland für die Arbeit mit suchtkranken Frauen. Zu Beginn hat man nicht unterschieden, ob es sich beim Klienten um eine Frau oder einen Mann handelt. Da die suchtkranken Männer in der Mehrzahl waren, wurde auch der Blick auf sie gerichtet.

Erst vor 30 Jahren entstanden die ersten Einrichtungen für suchtkranke Frauen. Anfangs war das Konzept bei "Lilith" auch klein: Wir haben den Frauen die Möglichkeit gegeben, Kinder mitzunehmen, damit sie die Hilfs- und Beratungsangebote wahrnehmen können. Und dann war es sofort klar, dass Kinder eine eigene Zielgruppe sind. Wir mussten für sie einen eigenen Arbeitsbereich schaffen, so auch für deren Mütter.

Martina Tödte, Christiane Bernard (Hg.): "Frauenarbeit in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme", transcript Verlag, 415 Seiten.

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