„Wenn sie schon da sind, dann machen wir was draus“

28.12.2015, 19:26 Uhr
„Wenn sie schon da sind, dann machen wir was draus“

Herr Weise, Sie leiten zwei Behörden, von denen eine lichterloh brennt. Geht das überhaupt?

Frank-Jürgen Weise: Ich mache ja nicht in beiden Ämtern die volle Arbeit. Ich habe in der BA mit Detlef Scheele und Raimund Becker Kollegen im Vorstand, die in ihren Ressorts die Verantwortung tragen, und insgesamt hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben uns auf die Themen, die 2016 wichtig werden, gut vorbereitet. Im Bamf unterstützen mich in der Leitung Michael Griesbeck, der die Amtsgeschäfte im Alltag führt, und Georg Thiel, der die operativen Bereiche leitet. Ich selbst kümmere mich um die wichtigen prozessualen und organisatorischen Weichenstellungen für die Zukunft und vertrete intensiv die Themen des Bamf in der Politik, damit wir die Voraussetzungen kriegen, erfolgreich zu sein. In der Summe überwiegen die Vorteile einer Zusammenarbeit von BA und Bamf — vor allem, weil wir uns so in der BA gut darauf vorbereiten können, was jetzt 2016 auf uns zukommt.

Sie sind in einem Alter, in dem viele an den Ruhestand denken. Was reizt Sie an dieser Herausforderung?

Weise: Eigentlich etwas ganz Sachliches. Ich habe Mitte letzten Jahres angefragt: Was kommt unter dem Thema Flüchtlinge auf die BA zu? Wie viele Menschen kommen in welche Region zu uns, was haben diese Menschen für Profile? Und ich habe keine ausreichenden Informationen bekommen. Das hatte eine Zusammenarbeit zwischen Bamf und BA zur Folge, die sich auszahlt: Wir haben eine Summe von Erkenntnissen gewonnen, die für unsere Arbeit wichtig sind, so dass ich nachträglich eher sage: Das hätte man früher machen müssen. Dann gab es den Rücktritt von Herrn Schmidt (ehemaliger Bamf-Präsident, d. Red.) und die Frage, wie machen wir weiter.

 

Wie lange wollen Sie beide Behörden leiten?

Weise: Bis die Aufgabe gelöst ist. Das heißt, bis das Bundesamt erfolgsfähig im Sinne seines Auftrages ist und Transparenz beim Thema Flüchtlinge geschaffen ist: Wer ist eigentlich bei uns, wer ist bleibeberechtigt, in welche Jobcenter gehen die Menschen? Der einvernehmliche Auftrag der Bundesregierung ist, jetzt dafür zu sorgen, dass wir dieser Herausforderung gerecht werden.

 

Kann dies in letzter Konsequenz dazu führen, dass das Bamf einmal eine Art Unterabteilung der BA wird?

Weise: Das ist eine politische Entscheidung. Sachlich spricht aber nicht viel dafür. Es geht nicht um Strukturen, sondern um Transparenz und Zusammenarbeit. Da kann der Bürger verlangen, dass öffentliche Einrichtungen in einem föderalen Staat zusammenarbeiten.

Mitarbeiter fürchten, Sie wollten dem Bamf den Stempel der BA aufdrücken . . .

„Wenn sie schon da sind, dann machen wir was draus“

Weise: Wir wollen eine Organisation schaffen, die zugleich rechtsstaatlich und den Menschen angemessen den Asylprozess durchführt. Objektiv ist das heute noch nicht der Fall. Die Menschen brauchen verlässlich und so schnell wie möglich Orientierung: Wer darf bleiben und wer muss wieder gehen? Der erste Mangel sind die Arbeitsprozesse, dass wir mit anderen Bundesbehörden nicht gut zusammenarbeiten konnten. Die Bundespolizei hat die Fingerabdrücke genommen und die Identität von Flüchtlingen geprüft, durfte die Informationen aber nicht ans Bundesamt weitergeben, wir unsere Informationen nicht an die Länder, die Länder nicht an die BA . . . Das geht nicht.

Zweitens hatten wir Arbeitsprozesse, die einer solchen großen Zahl von Flüchtlingen nicht angemessen sind. Beispiel: Wir müssen jedem Flüchtling seinen Bescheid — als Urkunde, gesiegelt — mit Zustellungsurkunde zustellen. Das kann man auch anders regeln. Spätestens Anfang 2015 hatte das Bundesamt zudem erkennbar viel zu wenig Personal. Das sind die Aufgaben, die zu lösen sind, und dafür verwende ich auch die Erfahrung, die wir in der BA haben. Das hat mit Stempel aufdrücken nichts zu tun, das ist eine Frage moderner öffentlicher Verwaltung.

 

Das Bamf wird deutlich aufgestockt. Finden Sie genug Personal?

Weise: Wir haben ausreichend viele Bewerbungen, zuletzt 30 000. Wir werden es bis Mitte 2016 auf jeden Fall schaffen, den allergrößten Teil des Personals einzustellen — wir werden dann 6300 Stellen und noch einmal 1000 befristete haben. Die Herausforderung ist eine gute, aber angemessene Einarbeitung der Mitarbeiter.

 

„Wenn sie schon da sind, dann machen wir was draus“

© Stefan Hippel

Können Sie dann den Berg an Asylanträgen abarbeiten?

Weise: Ja. Wenn wir diese Mitarbeiter haben und nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen wie dieses Jahr.

 

Ist das also eine Forderung nach einer Obergrenze?

Weise: Ausdrücklich nein, nach europäischem Recht gibt es keine Obergrenze, das sehe ich auch als Staatsbürger so. Als Organisation benötigen wir eine Planungsgrundlage: Wie viel Personal stellen wir ein, wie gestalten wir die Prozesse? Und aktuell sind wir da auf einem guten Wege, wenn die Zugangszahlen etwas moderater bleiben. Vielleicht helfen hier gemeinsame Lösungen innerhalb der EU.

 

Die sind aber nicht in Sicht . . .

Weise: Ich habe Geduld. Es gibt keine Alternative.

 

Wie viele Flüchtlinge sind denn 2015 tatsächlich gekommen?

Weise: Laut Easy-Erfassungssystem werden es Ende dieses Jahres knapp über eine Million sein. Von denen gehen aber nach unserer Analyse etwa 20 Prozent aus Deutschland wieder weg, zum Beispiel nach Schweden, Finnland oder in die Niederlande. Andere bleiben hier, gehen direkt in eine Ausländerbehörde, bekommen dort auch Leistungen und wir wissen das gar nicht. All das werden wir durch unseren Flüchtlingsausweis in den Griff kriegen. Und wir wollen der Bevölkerung die Unsicherheit nehmen, dass hier etwas nicht unter Kontrolle ist.

Sie haben öffentlich Kritik an den Zuständen im Bamf geübt, der Personalrat hat umgekehrt Sie mit einem offenen Brief angegriffen — das sind für eine Behörde ungewöhnliche Vorgänge. Bereuen Sie Ihre Kritik?

Weise: Mit dem offenen Brief des Personalrats ist eine Grenze überschritten worden. Ich hätte mir gewünscht, dass man zuerst intern mit mir spricht. Was mir wichtig ist: Wir haben Flüchtlinge, die stehen im Regen und kriegen einen Termin zur Anhörung zum Teil erst nach sechs oder sieben Monaten. Sie sind zum Warten und zur Untätigkeit verdammt, statt die Sprache zu lernen oder zu arbeiten — was die allermeisten wollen. Das ist verlorene Zeit für die Integration in Arbeit und Gesellschaft. Das ist das Thema. Jegliche Befindlichkeit von mir oder anderen ist dabei nachrangig. Wenn mir einer sagen will, dass das, was 2015 im Flüchtlingsmanagement gelaufen ist, gut sei, dann sagt er nicht die Wahrheit. Es ist unvorstellbar, wie Deutschland sich gegenüber den Menschen darstellt, die hierhergekommen sind.

 

Sie planen für einige Fälle ein Asylverfahren in 48 Stunden — müssen wir insgesamt härter werden im Umgang mit Flüchtlingen?

Weise: Wenn ich von einer Beschleunigung spreche, dann geht es mir darum, die Bearbeitung und die langen Wartezeiten zu beschleunigen, nicht das Asylverfahren als solches. Das Asylverfahren, die sorgfältige Prüfung, ist ein hoher Wert. Den würde ich nicht opfern.

 

Sie wollen das relativ offene deutsche Asylrecht also beibehalten?

Weise: Das ist eine politische Entscheidung. Meine Haltung ist: Asyl hat in Deutschland einen hohen Wert. Die Sympathie, die Deutschland dafür bekommt, ist etwas außerordentlich Wichtiges. Und bevor man das angreift, muss man all diese anderen Möglichkeiten, es besser zu machen, nutzen.

 

Sie gehen mit Optimismus an die Aufgabe, Flüchtlinge in Jobs zu bringen. Wie soll das eigentlich gelingen, wenn trotz niedriger Arbeitslosenzahlen nicht einmal deutsche Langzeitarbeitslose Jobs finden?

Weise: Langzeitarbeitslosigkeit hat vielschichtige Gründe, zum Beispiel fehlende Berufsabschlüsse oder fehlende Sprachkenntnisse. Es ist einerseits besorgniserregend, dass wir dies auch bei Flüchtlingen wiederfinden. Es gibt aber zwei wichtige Unterschiede: Die Motivation der Flüchtlinge ist erstens extrem hoch, das sagen mir auch viele Arbeitgeber, höher als bei einem Teil der Langzeitarbeitslosen. Zweitens: Viele bringen zwar keine Abschlüsse nach deutschen Standards mit, dafür aber berufliche Erfahrungen, Kompetenzen und Fähigkeiten. Der Weg in den Arbeitsmarkt ist da.

 

Viele Deutsche mit einfachen Jobs fürchten, dass ihnen Zuwanderer die Arbeit wegnehmen.

Weise: Wir haben im Moment das Glück einer guten Konjunktur. Man wage nicht, daran zu denken, was passieren würde, wenn die Konjunktur einbrechen würde. Es gibt im Moment so viele unbesetzte Stellen wie noch nie. Unsere IAB-Forscher halten es aber für möglich, dass Arbeitslose mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge um die gleichen Stellen konkurrieren.

 

Sie sagen mit Blick auf die Flüchtlinge: „Die Deutschen sollten sich freuen. Deswegen so ein Gedöns zu machen, finde ich nicht richtig.“ Verstehen Sie die Sorgen vieler nicht?

Weise: Das ist in folgendem Kontext geschehen: Ich wurde gefragt, ob das jetzt die schwerste Krise der Bundesrepublik seit Gründung sei. Wenn ich aber an die Gefahr eines Atomkriegs im Ost-West-Konflikt denke, dann muss ich sagen, finde ich es unangemessen, von der größten Krise zu sprechen. Wenn Gemeinden nun aber in kurzer Zeit mit so großen Veränderungen, so vielen Flüchtlingen konfrontiert werden, dann macht das den Menschen immer Angst, das ist verständlich.

 

Angela Merkel sagt: „Wir schaffen das.“ Sie sagen: „Wenn so viele andere nervös sind, kann ich doch nicht auch noch unruhig werden.“ Mit anderen Worten: Sie verordnen sich Zweckoptimismus, oder?

Weise: Wir im öffentlichen Dienst haben einen Auftrag. Der Auftrag heißt, in dieser schwierigen Lage mit Sorgfalt und Geduld Lösungen zu bringen. In der Finanzkrise 2008/2009 kam es zum größten Einbruch des Bruttoinlandsprodukts, den wir je hatten. Was haben wir in der BA gemacht? Wir haben unseren Leuten gesagt, geht raus in die Betriebe, bietet Lösungen wie Kurzarbeit an. In völliger Ruhe waren wir für die Gesellschaft präsent. Jetzt haben wir das beim Thema Flüchtlinge. Ich wünsche mir keine Gründe, dass Menschen fliehen müssen und dass so viele nach Deutschland kommen müssen. Aber: Wenn sie schon da sind, dann machen wir was draus. Mit Blauäugigkeit und Naivität hat das nichts zu tun. Ich kann doch keine Firma leiten mit der Idee, wir bauen Autos, mal kucken, ob die fahren. Unser Auftrag ist es schlicht, dafür zu sorgen, dass das funktioniert.