Wie Streithähne ganz ohne Prozess ihr Recht erhalten

15.1.2011, 11:06 Uhr
Wie Streithähne ganz ohne Prozess ihr Recht erhalten

NZ: Herr Eschenbacher, warum sollte die Rolle der Mediation in der Justiz gestärkt werden?

Ingo Eschenbacher: Die Interessen der Parteien können auf freiwilliger und nicht verpflichtender Basis wesentlich besser umgesetzt oder erfolgreicher vereinbart werden als bei der rein rechtlichen Auseinandersetzung. Der Mediator kann erreichen, dass für beide Seiten eine Win-Win-Situation hergestellt wird. Zum Beispiel, indem man den Kuchen vergrößert oder weitere Felder, die gar nicht aktenkundig sind, beleuchtet.

NZ: Wie sieht so eine Win-Win-Situation aus?

Eschenbacher: Die Erfolgsbilanz der Mediation ist bei einer Vereinbarung höher als bei einer gerichtlichen Entscheidung. Wenn in Gerichtsentscheidungen 100 Prozent verteilt werden müssen, dann kann die Verteilung 50:50, 60:40 oder 100:0 sein. Bei einer Mediation haben Sie die Chance, den Kuchen zu 60:60 zu verteilen, weil der Kuchen so geschickt vergrößert wird, dass beide Seiten mehr davon haben.

NZ: Können Sie ein Beispiel nennen?

Eschenbacher: Zwei Kinder streiten zum Beispiel um eine Orange. Man könnte die Orange zu gleichen Anteilen verteilen – das wäre rechtlich fair. Der Mediator würde beide Seiten fragen, warum sie die Orange haben wollen. Der eine gibt an, er will Orangensaft daraus machen, der andere möchte die Schale, weil er Kuchen backen will. Daran erkennt man, dass man beide Seiten zu 100 Prozent befriedigen kann. Der eine nimmt den Saft, der andere die Schale.

NZ: Wann ist Mediation wichtig?

Eschenbacher: Oft stellt sich über ein Mediationsgespräch heraus, dass die über Jahre dauernden und schwelenden Rechtsstreite von den wirklichen Interessen der Parteien abweichen. Durch das mediative Gespräch kommt man auf den eigentlichen Punkt, der den Parteien wichtig ist. Tatsächlich deckt sich das nicht immer mit den Justizakten. Mediation ist ein zielführendes Gespräch, das auf Gleichstellung beruht. Außerdem ergeben sich oft völlig neue Aspekte.

NZ: In welchem Maß findet Mediation bereits statt?

Eschenbacher: Das ist nicht gigantisch viel. Wenn 10000 Fälle pro Jahr am Landgericht neu hinzukommen, dann vermitteln wir in nur etwa 100 bis 150 Fällen mediativ. Wobei wir Mediation nur bei Verfahren einsetzen, die sich in die Länge ziehen.

NZ: In welchen Bereichen wird am häufigsten mediativ vermittelt?

Eschenbacher: Grundsätzlich ist alles geeignet. Aber Erbrechtsfälle oder Nachlassteilungen sind Schwerpunkte. Außerdem sind es die Fälle, in denen es um Familienrecht und damit um einen emotionalen Hintergrund geht. Die dritte Gruppe sind Geschäftspartner, die mit einem gemeinsamen Projekt gescheitert sind. Nachbarschaftsstreitigkeiten behandeln wir kaum, sie sind Aufgabe der Amtsgerichte.

NZ: Ist Mediation eine Bereicherung für Ihren beruflichen Alltag?

Eschenbacher: Ich freue mich natürlich, wenn die Parteien zufrieden aus dem Verfahren gehen, selbst wenn sie nicht überglücklich sind. Selten wird man die 100-Prozent-Lösung erreichen. Aber sie haben eine faire Vereinbarung geschaffen, mit der sie leben können. Jeder hat seinen Anwalt dabei, niemand fühlt sich über den Tisch gezogen. Auch wenn man nicht direkt zu einem Ergebnis kommt – auch ein konstruktives Gespräch ist für viele schon etwas wert.

NZ: Wie finden Streitparteien einen Mediator?

Eschenbacher: Im Branchenbuch gibt es etliche Einträge von Mediatoren, in der freien Wirtschaft oder auch unter Rechtsanwälten. Aber: Derjenige, der eine Partei rechtlich vertritt, darf nicht gleichzeitig Mediator sein, weil er ja nicht mehr neutral ist. Wir hingegen nehmen nur gerichtsanhängige Verfahren an, also solche, für die es bereits Akten und Rechtsvertreter gibt. Kollegen geben Fälle in die Mediationsstelle, und die werden dann unter den Mediatoren, die verfahrensfremd sind, verteilt.

NZ: Wie läuft eine Mediation ab?

Eschenbacher: Ich lese mich vorher in die Akte ein und sehe, wofür die jeweiligen Rechtsanwälte plädieren. Im Gespräch ist meine Aufgabe zum Beispiel, moderativ einzugreifen, wenn der eine den anderen nicht ausreden lässt. Beide Seiten berichten über ihre eigentlichen Interessen, die visualisieren wir dann – zum Beispiel auf einer großen Tafel. Daraus können Lösungen erarbeitet, auf Basis juristischer Kenntnisse festgelegt und zu Protokoll gegeben werden. Diese Lösung zählt wie ein Titel. Das ist ein richterlicher Vergleich und in der Form juristisch vollstreckbar. Auch außergerichtliche Anwaltsvergleiche können so eingereicht werden.

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