"Andere sind Nasenzähler, wir sind die Seelengucker"

15.9.2017, 18:37 Uhr

Daten sammeln, verknüpfen, verwerten: Wer kann das umfassender als Google, Facebook und Amazon? Doch mit Marktforschung haben die Internetriesen nichts zu tun, sagt Bernd Wachter, Vorstandschef von Psyma. "Die sind die Nasenzähler, wir sind die Seelengucker." Da lässt sich heraushören, Psyma kommt ursprünglich aus der Psychologie. Wachter erläutert: Marktforschung geht – je nach Auftrag – mehr in die tieferen Schichten, fragt nach Motiven im Kaufverhalten bestimmter Zielgruppen und rechnet die Stichprobe hoch.

Dass Internetfirmen ganze andere Geschäftsmodelle fahren, weiß jeder, der zum Beispiel auf Reiseportalen surft. Bei der nächsten Suche ploppen auf einmal alle möglichen Urlaubsvorschläge auf. Diese spezielle Person mit all ihren Facebook-Freunden wird "getrackt", mit all ihren Konsumvorlieben und individuellen Kaufwünschen. "Google oder Facebook sammeln personalisierte Daten. Uns dagegen interessiert der Einzelfall nicht. Was wir brauchen, sind generalisierbare Erkenntnisse über genau definierte Käufergruppen." Ganz wichtig dabei der Datenschutz: Die Marktforschungsbranche verspricht, alle Daten zu anonymisieren.

Welcher Hund passt zu mir?

Die Werbemotive auf der Homepage des Unternehmens kommen frech-provokant daher. Manche Betrachter amüsiert das Bild vom kleinen Fußball-Jungen, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen seinen Fuß greift. Dazu die Sprechblase: "20 Prozent Schmerz, 80 Prozent Schauspiel." Ein anderes Foto zeigt eine top gestylte, mit Schmuck behängte Brünette, die einen süßen Pinscher auf dem Arm trägt. "40 Prozent Tierliebe, 60 Prozent Prestige" steht dabei. Drittes Beispiel ist ein junger Autofahrer, begleitet von dem Text "30 Prozent Autoliebhaber, 70 Prozent Selbstdarsteller".

Keinesfalls steckten dahinter geprüfte psychologischen Motive, meint Wachter. "Wir zeigen auf, dass hinter den oftmals vordergründigen Erklärungen für menschliches Handeln andere, tiefer liegende Motive oder Persönlichkeitsmerkmale stecken können." Freilich seien Fahrer von Elektrofahrzeugen ökologisch geleitet. Aber manch einem Tesla-Käufer gehe es weniger um "emissionsfrei", sondern vielmehr um Profilierung und Wahrnehmung als "fortschrittlich-innovativ", vielleicht auch um "viel PS unter grünem Deckmantel".

Tütensuppen sind egal

Natürlich bedient sich die Marktforschung im Digitalisierungszeitalter durchaus der sozialen Netzwerke und Internetforen, etwa um zu beobachten, wie sich Verbraucher über ein bestimmtes Produkt oder eine Marke austauschen. Allerdings muss es etwas Handfestes sein, ein neuer Turnschuh, eine Software, aber nichts Banales. "Über Tütensuppen wird nicht diskutiert", sagt Wachter. "Doch von den Meinungen in den Foren kann ich nie ableiten, dass zum Beispiel 20 Prozent der Teilnehmer diesen Turnschuh kaufen würden." Genauso wenig erfährt der Marktforscher Geschlecht, Alter und andere Merkmale der Beteiligten, was jedoch wesentlich ist für eine repräsentative Studie.

Wachter glaubt, dass die Befragungs-Marktforschung niemals durch "Big Data" ersetzbar ist . "Ohne Tiefgang und ohne Antworten auf das Warum stünden wir vor einer Blackbox."

Die Geschäftszahlen scheinen zu bestätigen, dass die Dienste der Psyma AG mit ihren jeweils 130 Mitarbeitern im In- und im Ausland gefragt sind. Von Jahr zu Jahr wachse der Umsatz, auch bei den Einzelaufträgen aus der Wirtschaft. Dieses Ad-hoc-Geschäft hatte der um ein Vielfaches größeren GfK in den vergangenen Jahren schwer zu schaffen gemacht. Bei der Psyma Gruppe betrug der konsolidierte Umsatz 2016 insgesamt 32 Mio. Euro.

Anders als die "Kantar Added Value" (bisher: Icon Added Value) in Nürnberg war Psyma nie eine Ausgründung der GfK. Zweiter Unterschied: Die Marktforscher in Rückersdorf sind eigenständig, während Kantar Added Value als Bestandteil des Kantar-Netzwerks unter dem Dach von WPP, dem größten Werbekonzern der Welt, steht.

Fest steht, dass Mittelfranken nach wie vor ein Hotspot der Marktforschung ist, was maßgeblich der GfK und ihrem Wegbereiter Ludwig Erhard zu verdanken ist. "Tatsächlich ist hier ein Schwerpunkt zu erkennen", sagt Udo Raab, Chefvolkswirt der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Die Statistik belegt das. Ende vergangenen Jahres waren in der Branche Markt- und Meinungsforschung in Mittelfranken fast 4000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, das sind 400 mehr als noch vor vier Jahren. 62 Unternehmen sind im Handelsregister eingetragen, davon 51 mit Hauptsitz in Mittelfranken. Hinzu kommen 460 Kleingewerbetreibende. Raab: "Wir haben hier definitiv mehr Aktivität als andere Regionen in Deutschland."

 

 

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