Gerhard Wöhrl im Interview: Kleidung spiegelt Zeitgeist

14.6.2008, 00:00 Uhr
Gerhard Wöhrl im Interview: Kleidung spiegelt Zeitgeist

© Willi Bauer

Wie viele Anzüge sollte ein Mann im Kleiderschrank haben? Wie viele sind es bei Ihnen?

Wöhrl:
Das hängt von der Größe des Kleiderschrankes ab. Zehn sollten es schon sein. Bei mir sind es 20. Aber wichtig ist, dass man sie regelmäßig entsorgt und durch neue ersetzt. Denn Mode verändert sich.

Spiegelt Mode nicht überhaupt Zeitgeist wieder?

Wöhrl:
Das ist absolut richtig. Insbesondere sind es die Marken, die ein Stück Zeitgeist reflektieren. Sie sind zugleich emotional besetzt - das hat der Einzelhandel viele Jahre lang unterschätzt. Manche Hersteller kopieren dann auch Prestigemarken. Für einen Modehändler ist es jedenfalls bei der Planung des Sortiments stets eine Gretchenfrage, welche Marke «in« sein wird und welche nicht. Das ist ein immer von Neuem ein Spagat.

Welche generellen Trends in der Mode stellen Sie über die Jahre hinweg fest?

Wöhrl:
Die Individualität hat immer mehr zugenommen. Die Menschen drücken ihre Persönlichkeit über die Kleidung aus, es gibt keinen allgemeinen Normen mehr - abgesehen von ein paar Berufsgruppen wie vielleicht Bankern. Die Selbstdarstellung der Kunden ist die Triebfeder des Geschäfts in unserer Branche.

Jahr für Jahr geht allerdings auch ein Stück Eleganz verloren. Manchmal verbindet sich der Einkauf von Kleidung auch mit Kult-Vorstellungen.

Bedauern Sie diese Entwicklung?

Wöhrl:
Sie macht es dem Einzelhandel schwieriger. Das Konsumklima ist in unserer Branche bescheiden, denn die Verbraucher verzichten auf viele Dinge. Die Kunst ist es, die Mode unverzichtbar zu machen. Bestimmte Anlässe führten noch vor 20 Jahre die Kunden zu uns, und ganze Verkaufsabteilungen waren darauf ausgerichtet. Es gab zum Beispiel die Trauerkleidung oder einfache Sakkos fürs Büro. Heute muss das Angebot auf eine Weise in Szene gesetzt werden, dass der Besucher des Geschäfts auch ohne Anlass zum Käufer wird.

Wie ist das bei der weiblichen Kundschaft?

Wöhrl:
Viele unserer Kundinnen kaufen Kleidung, um Männern zu gefallen, vielleicht auch, um Freundinnen zu imponieren, oder sich durch den Einkauf von Mode einfach selbst etwas Gutes zu tun. Eine Staffelung nach dem Einkommen, so wie früher, gibt es nicht mehr.

Aber doch bleibt die Frage, was man sich leisten kann. Wie sehen Sie die Preisentwicklung bei Bekleidung voraus?

Wöhrl:
Der Bekleidungs- und der Schuhhandel ist wohl der einzige Bereich der Wirtschaft, bei dem aktuell keine Preissteigerungen anstehen. Das ist dem starken Euro zu verdanken, der die günstige Beschaffung zum Beispiel in Asien möglich macht.

Woher kommt denn die Ware eigentlich?

Wöhrl:
Die Beschaffung ist global, der Großteil stammt aus Indien und Fernost. Wir kaufen auch viel in der Türkei ein; dabei sind Turkmenistan oder Usbekistan, wegen der großen Baumwollfelder dort, eine verlängerte Werkbank der Türkei. In Europa mischen noch die baltischen Länder und Rumänien/Bulgarien mit. Die Dienstleister, die uns beliefern, laufen den Lohnkosten nach. Nicht immer wissen wir wirklich, wo die Schneider sitzen.

Was ist aus der Modehochburg Italien geworden?

Wöhrl:
Sie hat nur noch geringe Bedeutung. In Prato zum Beispiel, einst ein Zentrum der Textilherstellung, arbeiten heute Tausende von Chinesen unter Bedingungen, die selbst die Italiener nicht kennen. Das ist ein echter Skandal.

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