Kaesers Visionen: Neue Struktur für Siemens

5.5.2014, 06:00 Uhr
Nach neun Monaten an der Spitze des Konzerns soll das Kaeser-Kind "Zukunftsstruktur" am Mittwoch das Licht der Welt erblicken.

© dpa Nach neun Monaten an der Spitze des Konzerns soll das Kaeser-Kind "Zukunftsstruktur" am Mittwoch das Licht der Welt erblicken.

Ruhe, Ruhe, Ruhe: Mit diesem Credo zog Joe Kaeser kurz nach seinem Amtsantritt im August 2013 von Standort zu Standort. Nach der Ära des „Externen“ an der Spitze (Peter Löscher) versprach das echte Siemens-Eigengewächs Kaeser, dafür zu sorgen, dass sich die Beschäftigten wieder auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Korruptionsaffäre, dauernder Konzernumbau und die Querelen um die Ablösung seines Vorgängers wollte er vergessen machen.

Doch die Ruhe währte nur kurz. Kommunikationspannen mit scheinbar neuen Zahlen zum Personalabbau, Probleme mit der neuesten ICE-Generation – und zuletzt das Störfeuer durch General Electric durchkreuzten die Pläne des 56-Jährigen. Immerhin: Details dazu, wie Siemens mit seinen gut 360 000 Mitarbeitern in Zukunft aussehen soll, konnte er weitgehend unter Verschluss halten. Nur wenig sickerte durch.

Nun – nach neun Monaten an der Spitze des Konzerns – soll das Kaeser-Kind „Zukunftsstruktur“ am Mittwoch das Licht der Welt erblicken. Vieles deutet darauf hin, dass der gebürtige Oberpfälzer eine Entscheidungsebene im Konzern kappen wird. Das bisherige Konstrukt aus den vier Sektoren Industrie, Energie, Medizin und Infrastruktur mit 16 untergeordneten Divisionen hat sich als zu schwerfällig erwiesen.

Karten neu gemischt

Die Sektorstruktur sei nicht in Stein gemeißelt, hatte Kaeser vor dem Jahreswechsel in einem NZ-Gespräch angedeutet. Die neue Struktur, so heißt es, wird eine in Grundzügen bereits bekannte sein. Unter dem Zentralvorstand in München sollen etwa zehn Divisionen arbeiten. Zu Zeiten des Ex-Vorstandschefs Heinrich von Pierer war es ähnlich. Damals gab es sieben Unternehmensbereiche.

Wieder einmal werden die Karten also neu gemischt. Weil Siemens einfacher und schneller werden muss. Das forderten zuletzt auch viele der etwa 45 000 Siemensianer im Großraum Nürnberg-Erlangen-Forchheim. Die Entscheidungsprozesse des Konzerns seien zu träge geworden, die Abstimmungsrunden nerven die Belegschaft.

Von der Kapitalseite – Fonds, Analysten, Aktionäre – wird bereits seit langem eine Straffung gefordert. Siemens drohe von Rivalen wie GE abgehängt zu werden, so die Begründung. Entsprechend sind die Erwartungen an Kaeser: „Die Organisation muss verschlankt werden, um die administrativen Belastungen zu reduzieren“, fordert beispielsweise Gael de-Bray, Analyst bei der französischen Großbank Société Générale.

„Der Druck der Investoren ist formuliert. Es wäre Traumtänzerei, wenn Kaeser darauf nicht reagieren würde“, formulierte es kürzlich ein fränkischer Gewerkschaftsvertreter. Aus dem Konzern hört man denn auch, dass die operativen Unternehmensbereiche künftig wieder mehr Befugnisse erhalten werden.

Zügen und Lokomotiven kein Zukunftsmodell

Doch am Mittwoch geht es um mehr: Die neue Struktur könnte auch Hinweise darauf liefern, wovon sich der Konzern vielleicht trennen möchte, erwartet Martin Wilkie von der Deutschen Bank. Favoriten der Finanzakteure sind meist einfach strukturierte und konzentrierte Konzerne. Der Übernahmekampf um Alstom hat angedeutet, wohin die Reise gehen könnte. Das Geschäft mit Zügen und Lokomotiven sieht Kaeser anscheinend nicht mehr als essenziell für die Siemens-Zukunft. Schließlich bietet er an, es mit Alstom gegen dessen Energieaktivitäten zu tauschen. Das und die jüngst bekannt gewordenen Übernahmepläne der Energiesparte von Rolls Royce untermauern, dass Energie dagegen eine zentrale Rolle in Kaesers Zukunftsmodell spielt – auch wenn der genaue Zuschnitt dieses Bereichs noch unklar sei, konstatiert Analyst Wilkie.

Begrüßt würde die Stärkung des Energiebereichs auch von Citigroup-Expertin Natalia Mamaeva: „Die Energietechnik von Alstom wäre für Siemens attraktiv, da der Dax-Konzern dann über 50 Prozent der weltweit installierten Kraftwerkskapazität verfügen könnte.“ Ben Uglow von der US-Investmentbank Morgan Stanley warnt aber auch: „Die Risiken der Integration sind für Siemens beträchtlich.“

Zweites Standbein des neuen Siemens-Konzerns, darauf deuten alle Ankündigungen und auch Übernahmen der vergangenen Jahre hin, wird die Fabrik-Digitalisierung sein. Sie läuft unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ und fehlt in kaum einer Rede des Siemens-Managements.

Lupenreiner Energie- und Automatisierungskonzern

Bleibt noch die zuletzt erfolgreiche Medizinsparte. Manche Analysten sehen selbst für dieses Siemens-Traditionsarbeitsfeld keinen Platz mehr im Konzern. Sie möchten das Unternehmen zu einem „lupenreinen Energie- und Automatisierungskonzern“ umgebaut sehen: „Voraussetzung dafür wäre allerdings eine Abspaltung der Gesundheitssparte“, urteilt Fredric Stahl von der Schweizer Großbank UBS. Favorisiert wird dabei von vielen eine Ausgliederung mit anschließendem Börsengang – die erfolgreiche Blaupause dafür hat Osram geliefert.

Konkrete Verkaufsabsichten wird Kaeser am Mittwoch aber wohl kaum verkünden. Will er auf absehbare Zeit Ruhe im Konzern, muss der Siemens-Chef aber schnellstens Fakten schaffen. Und Ruhe wird nur einkehren, so der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler, wenn Kaeser statt Verkaufsabsichten Maßnahmen vorstellt, die „die Innovationskraft von Siemens als integriertem Industriekonzern“ stärken.

Einig sind sich die Gewerkschaften mit der Finanzwelt in einer Sache: „Kaeser hat nur diesen einen Schuss – und der muss sitzen.“

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