Kaltgestellt mitten im Siemens-Konzern

14.11.2009, 00:00 Uhr
Kaltgestellt mitten im Siemens-Konzern

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Es war eine ungewöhnliche Andacht, die vor kurzem zur Mittagszeit in der Erlanger St.-Bonifaz-Kirche stattfand. Für die Predigt war extra Diplomtheologe Manfred Böhm, Chef der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg, angereist. Er zitierte die Grundzüge der katholischen Soziallehre. Er sprach davon, dass die Würde des Menschen unantastbar sei und in der Arbeitswelt doch immer wieder angetastet werde. Er sagte: «Wenn jemandem die Arbeit entzogen wird, haben wir es mit einem Angriff auf die Würde zu tun.»

«Ich hatte sechs Jahre nichts zu tun»

Das Dienstjubiläum von Georg Metzger hatte Seelsorger Böhm in die Kirche nach Erlangen geführt. Metzger ist 54 Jahre alt, Diplom-Informatiker, Doktor der Betriebswirtschaft und arbeitet seit 25 Jahren bei Siemens. «25 Jahre Betriebszugehörigkeit sind ein Vierteljahrhundert mit Höhen und Tiefen», hatte er in die Einladung zu Andacht und anschließendem Umtrunk geschrieben. «Ein über sechsjähriger Zeitabschnitt ist von sehr außergewöhnlichen Anstrengungen geprägt», stand auch darin.

Auf die Frage, wie das gemeint sei, gibt sich der Jubilar bedeckt. «Ich hatte sechs Jahre nichts zu tun», sagt er und wendet sich seinen Gratulanten zu. Wer etwas über die Hintergründe erfahren will, muss sich unter den Festgästen umhören. Etwa 100 sind gekommen: Familienangehörige, Freunde, Siemens-Pensionäre aus Erlangen und München, Siemens-Betriebsräte, Vertreter der Belegschaftsaktionäre, ein Angehöriger des Auswärtigen Amtes und sogar Erlangens Oberbürgermeister Siegfried Balleis, der sich von einer Veranstaltung mit Ministerpräsident Horst Seehofer abgeseilt hatte. Balleis sagt, er kenne Metzger schon länger als 25 Jahre - sie arbeiteten einst gemeinsam bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Obwohl er keine neuen Aufgaben erhält, fließt sein Gehalt weiter

Der Jubilar ist ein vielfach engagierter Mann: CSU-Kommunalpolitiker mit Faible für Gesundheitsthemen, Dozent der Georg-Simon-Ohm-Hochschule, Vorstandsmitglied im Trägerverein der Nürnberger Maximilians-Augenklinik, IG-Metall-Mitglied, Mitglied im Verband der Krankenhausdirektoren . . . Überall scheinen seine Fähigkeiten willkommen. Nur nicht bei seinem Arbeitgeber: Metzger wurde bei Siemens vor sechs Jahren von seinen Aufgaben entbunden. Neue hat er seitdem nicht bekommen, obwohl sein Gehalt voll weiterfließt.

Dabei war für ihn im Konzern lange alles gut gelaufen. Als er 2002 die Leitung des internen Gesundheitsmanagements übernahm, schien das der letzte Schritt vor dem Aufstieg in den Kreis der leitenden Angestellten. Zu seinen Aufgaben gehörte die Verwaltung von zwei betriebseigenen Häusern: der Fortbildungsstätte St. Quirin am Tegernsee und dem Kurzentrum Habischried im Bayerischen Wald. In diesen Häusern aber muss er auf Verhältnisse gestoßen sein, die er nicht akzeptieren konnte. Die gegen die katholische Sozialethik verstießen, der er sich verpflichtet fühlt.

Es wurden Plätze für ganz besondere Gäste freigeräumt

Eines der heiklen Themen im Zusammenhang mit den Häusern war die Beherbergung firmenfremder Gäste in Habischried. Das luxuriöse Haus war eigentlich für die Regeneration verdienter Konzernmitarbeiter auf Konzernkosten gedacht. Es wurden aber immer wieder Plätze für ganz besondere Gäste freigeräumt: zum Beispiel für Funktionäre der Arbeitnehmerorganisation AUB, von der mittlerweile bekannt ist, dass sie illegal von Siemens finanziert wurde.

Der prominenteste dieser besonderen Gäste: Lothar Mahling, Pressesprecher der Bundes-FDP in den 80er Jahren, AUB-Mitglied, langjähriger Geschäftspartner vom im November 2008 zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilten AUB-Bundesvorsitzenden Wilhelm Schelsky und jetzt in der Hauptgeschäftsführung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft aktiv. Mahlings Ehefrau kurte ebenso in Habischried.

In ein leeres Gebäude am Nürnberger Flughafen ausquartiert

Metzger sprach die Zustände intern an, weil er sie ändern wollte. Das war offenbar nicht erwünscht: Im Juni 2003 wurde er von seinen Aufgaben entbunden, ihm wurde nahegelegt, Siemens zu verlassen. Doch er blieb. Hunderte interner Bewerbungen hat er seitdem erfolglos abgegeben. Zeitweise war er in ein leeres Gebäude am Nürnberger Flughafen ausquartiert, zeitweise war er in Erlangen samt Schreibtisch in eine Abstellkammer verbannt. Ab und zu werden ihm projektbezogene Tätigkeiten zugewiesen. «Pseudo-Aufgaben», sagen Kollegen.

Sie sind zur Jubiläumsfeier in die St.-Bonifaz-Kirche gekommen, weil sie dem 54-Jährigen ihre Solidarität zeigen wollen. Einige von ihnen haben ihn gestützt in der Phase, in der es ihm psychisch schlechtging. In der er nicht verstand, was da mit ihm geschah. In der er nicht wusste, wie er die Stunden erzwungener Untätigkeit im Büro absitzen sollte. Wie er sich überhaupt zum Gang ins Büro motivieren sollte. In der Phase, in der ihm der Betriebsarzt unaufgefordert Tabletten gegen Schlafstörungen brachte.

Ein offizieller Grund für die Entbindungen von seinen Aufgaben sei Metzger nie genannt worden, erzählt einer auf der Jubiläumsfeier. «Wenn Herr Metzger eine Stelle nicht bekommt, liegt es nicht an seiner Qualifikation», versichert Sigrid Heitkamp, Betriebsratsvorsitzende im Erlanger Siemens-Stammhaus. «Man kann vermuten, dass es Beweggründe gibt, die wir nicht kennen.» Der Konzern selbst bittet «um Verständnis» dafür, dass «Informationen zur Entwicklung und beruflichen Situation einzelner Mitarbeiter» nicht kommentiert werden.

Interne Revision fand nichts

2007 sprach Metzger bei Siemens noch einmal die Vorgänge an, die ihn in Habischried und St. Quirin belastet hatten: im Rahmen der internen Ermittlungen zum Bestechungsskandal war das. Diesmal überprüfte die interne Revision immerhin die alten Kur-Unterlagen. Sie fand aber nichts zu beanstanden.

Es war eine eindrucksvolle Predigt, die Manfred Böhm in der St.-Bonifaz-Kirche in Erlangen hielt. Das Wort Mobbing kam darin vor. Mobbing, so der Theologe, zeichne sich durch dauerhafte und systematische Angriffe auf einen Menschen aus. «Mobbing ist eine Form von Gewalt. Eine bewusste Demütigung der Opfer mit dem Ziel, deren Persönlichkeit zu zerstören.»