Sensoren im Strampler: Fluch oder Segen?

26.6.2016, 17:52 Uhr
Sensoren im Strampler: Fluch oder Segen?

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Schon immer hatten Eltern ein Faible für Zahlen, wenn es um ihren Nachwuchs geht. Auf Geburtskarten haben sie Größe und Gewicht vermerkt, am Türrahmen mit einem Bleistiftstrich den neuesten Wachstumsschub festgehalten. Die Vorliebe für Zahlen ist geblieben - alles andere wirkt heute wie aus einer anderen Zeit. Per App dokumentieren Mütter, wie viele Windeln ihr Neugeborenes verbraucht, Matten registrieren jede Bewegung - und Sensoren messen die Atemfrequenz, wenn Baby schläft. Die Daten-Sammelwut ist im Kinderzimmer angekommen.

Das mag auch daran liegen, dass weniger Kinder geboren werden als noch vor ein paar Jahrzehnten - und zugleich die Unsicherheit der Eltern zugenommen hat. Vielleicht, weil die eigenen Eltern als Ratgeber oft nicht in der Nähe sind und beschwichtigend sagen können: "Ist nicht so schlimm, das hattet ihr auch." Also versuchen junge Mütter und Väter, sich auf anderen Wegen Sicherheit zu verschaffen.

Ohne Smartphone geht das kaum noch, fast alle modernen Angebote greifen darauf zurück. So eine App ist ja auch schnell heruntergeladen. Und tatsächlich kann sie dabei helfen, den Alltag mit einem Neugeborenen zu strukturieren, zu erkennen, wie viel es schläft, wann es gestillt wurde oder das Fläschchen braucht.

Die Regensburger Hebamme Astrid Giesen betreut eine Mutter von Zwillingen, die eine App nutzt, um den Überblick zu behalten, wann welcher von beiden getrunken hat. Für so etwas, findet die erste Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes, könnten solche Apps durchaus nützlich sein - obwohl es ein Blatt Papier natürlich auch tue.

Wenn man Informationen suche, solle man sich aber lieber nicht nur auf eine App verlassen - und immer hinterfragen, wie neutral die Informationen dort sind und welche Interessen dahinter stecken. Denn viele (vor allem kostenlose) Angebote stammen von Firmen, die letztlich ihre Produkte verkaufen wollen. Eine individuelle Beratung könne eine App jedenfalls nie ersetzen, sagt Giesen.

Die Hebamme warnt zudem davor, solche Apps im Übermaß zu nutzen. "Wenn ich junge Mütter in der U-Bahn sehe, die nur noch auf ihr Smartphone gucken, dann tut mir das schon weh", sagt sie. Für die Entwicklung der Kinder sei das eine Katastrophe, weil die Eltern ihnen dadurch weniger Aufmerksamkeit schenken. Das gilt auch für Baby-Apps: Obwohl die Eltern ihrem Kind damit eigentlich etwas Gutes tun wollen, führt jede weitere natürlich dazu, dass sie mehr auf ihr Handy gucken.

Dabei sind die Apps, in die Eltern selber Daten eintippen müssen oder die als Ersatz fürs klassische Babyfon dienen, nur der erste Schritt. Überwachungsmatten (etwa "Angelcare"), die den plötzlichen Kindstod verhindern sollen, gibt es ebenfalls schon länger. Sie sind mit Sensoren ausgestattet und funktionieren ähnlich wie ein Bewegungsmelder. Wenn man mit anderen Eltern spricht, zeigen sich viele zufrieden und sagen, die Matte gebe ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Nur: Dieses Gefühl trügt. Fachleute weisen immer wieder darauf hin, dass die Matten häufig falschen Alarm auslösen. Oder, dass sie erst Alarm schlagen, wenn sie gar keine Bewegung mehr registrieren - und dann kann es zu spät sein.

"Das ist Geldmacherei"

Hebamme Astrid Giesen rät grundsätzlich von solchen Geräten ab. Es gebe sinnvollere Präventionsmaßnahmen gegen den plötzlichen Kindstod - etwa das Kind in Rückenlage schlafen zu lassen und in rauchfreier Umgebung. Nur im Einzelfall, wenn Eltern zum Beispiel bereits ein Kind auf diesem Weg verloren haben, findet sie die Nutzung nachvollziehbar. "Ansonsten ist das nur Geldmacherei".

Apps und Überwachungsmatten sind wiederum nur der Anfang von einem Trend, der zunehmend an Fahrt gewinnt. Die Technik ist längst weiter. Sogenannte Wearables sind im Kommen - auch für Babys. Der "Mimo-Baby-Monitor" ist ein Strampler mit Sensoren (in Form einer kleinen grünen Schildkröte), die ständig die Atemfrequenz messen, mit einem zusätzlichen Gerät kann auch Körperlage und Temperatur des Nachwuchses registriert werden. Die Daten werden per App ausgelesen. Die zeigt dann etwa an: "Sophie hat zweieinhalb Stunden geschlafen".

Wer sich jetzt fragt, wer so einen Schnickschnack ernsthaft braucht, wird sich wundern, wie groß die Nachfrage offenbar ist. Bis 2018 werden 19 Millionen Wearables auf dem Markt sein, schätzt das Beratungsunternehmen International Data Corporation (IDC). Der "Sproutling Baby Monitor", von einem Start-Up mit ehemaligen Apple- und Google-Mitarbeitern entwickelt, ist derzeit ausverkauft. Er ist sozusagen eine elektronische Fußfessel für die Kleinsten: Ein schmales Band (Kostenpunkt: über 200 Euro) erfasst Daten und schickt sie ans Smartphone. Mit der Zeit soll es sogar "lernen" und etwa voraussagen, wann das Kind vermutlich aufwachen wird.

Neopren-Socke mit Sensoren

Der "Owlet Baby Monitor", eine Neopren-Socke, misst mithilfe von LED-Licht auch den Sauerstoffgehalt im Blut. Der Chef des Unternehmens sagte in einem Interview, er glaube, dass in der Zukunft jedes Baby nach der Geburt mit einem Wearable aus der Klinik entlassen werde.

Es geht dabei aber nicht nur um das Kind, sondern auch um die Eltern: "Smart Parenting" soll in unserer neuen Wunderwelt der Technik die Fürsorge erleichtern. Gut möglich, dass bald der Strampler registriert, wenn das Kind nachts unruhig wird - und schon mal ein Signal an den Flaschenwärmer sendet.

Aber ob es wirklich smart ist, also klug, jede Körperfunktion zu überwachen - daran haben Kritiker erhebliche Zweifel. Wenn das Baby nicht gerade krank ist, sehen sie darin eher einen Stressfaktor für Eltern. Denn die Geräte, die das Kind direkt am Körper trägt, messen zwar mehr Parameter als die Überwachungsmatten. Aber sie funktionieren auch nicht fehlerfrei. Experten verweisen zudem darauf, dass sie keine klinischen Tests durchlaufen, also keine medizinischen Produkte sind. Wer sie kauft, muss sich auf die Angaben des Herstellers verlassen.

Eltern wiegen sich durch die Wearables möglicherweise in falscher Sicherheit, wie der britische Kinderarzt David King von der Universität Sheffield in einem Fachblatt schreibt. Außerdem bräuchten sie eigentlich eine Schulung, um die Datenflut richtig interpretieren zu können - ganz abgesehen von der Frage des Datenschutzes.

Astrid Giesen findet die Vorstellung ohnehin gruselig, schon Babys einer elektronischen Dauer-Überwachung auszusetzen. Die Geräte verleiteten dazu, ständig alles zu überprüfen, sich nur noch auf die Technik zu verlassen - und vor allem: nicht mehr auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. "Das ist für mich der ganz falsche Weg".

Die Hersteller von Baby-Wearables werben übrigens damit, dass durch die Geräte die ganze Familie besser schläft. Das mag vielleicht für diejenigen zutreffen, die sich sonst einen Wecker stellen, um nachzusehen, ob das Kind noch atmet. Für alle anderen dürfte es kaum einen Unterschied machen: Wenn Baby Hunger hat, schreit es. Mit oder ohne Wearable.

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