Siemens kratzt mit dem „Falken“ die Kurve durch russischen Schnee

28.12.2011, 12:00 Uhr
Siemens kratzt mit dem „Falken“ die Kurve durch russischen Schnee

© Siemens

Ausnahmsweise darf der ausländische Gast ins Cockpit des Hochgeschwindigkeitszuges. Dicke Schneeflocken stürzen geradezu auf die Windschutzscheibe, die Landschaft fliegt nur so vorbei. 250 Stundenkilometer schnell könnte der russische Schnellzug flitzen, in jenem Moment zeigt das Geschwindigkeitsdisplay 220 an. Unablässig drückt der Fahrer auf die Hupe: Nach einigen tödlichen Unfällen muss der Fahrer Fußgänger warnen, die — Schranken und Zäunen zum Trotz — die Gleise überqueren wollen. Denn die Russen sind rumpelnde Bahnen gewöhnt, nicht solche Flüsterzüge wie der „Sapsan“ (deutsch: Wanderfalke) einer ist.

Breiter als der ICE

Als deutscher Fahrgast fühlt man sich wie zu Hause in diesem Zug. Kein Wunder: Er kommt aus dem Hause Siemens und ist vom Typ Velaro, dem Nachfolger des ICE3. Und doch ist vieles anders. Ein ICE auf Russisch eben. Das heißt: Doppelt so dicke Wände schützen vor Temperaturschwankungen zwischen minus 40 und plus 40 Grad. Breiter ist er außerdem, angepasst an die russische Spurbreite. Acht dieser „Falken“ verkehren viermal täglich auf der Strecke St. Petersburg—Moskau. Sie schaffen die rund 600 Kilometer in drei Dreiviertelstunden. Genauso schnell also wie das Flugzeug, wenn man jeweils die Fahrzeit durch den meist dichten Verkehr zum und vom Flughafen in die Innenstädte einberechnet.

Schnelligkeit, Komfort und eine „Pünktlichkeitsquote von 99 Prozent“ führen dazu, dass fast alle Plätze im Sapsan besetzt sind. Spontan kann ohnehin niemand einsteigen, ohne Reservierung geht grundsätzlich gar nichts. Vor dem Bahnsteig wird das Gepäck durchleuchtet und der Ausweis kontrolliert. Wegen der Auslastung von fast 90 Prozent hat die russische Bahngesellschaft RZD noch einmal acht Züge bestellt. Denn irgendwann müssen die bereits fahrenden Eisenbahnen zur Revision. „Aber die RZD kann auf keine Züge verzichten“, versicherte Bahnpräsident Vladimir Yakunin bei der Vertragsunterzeichnung in Moskau. „Der Sapsan ist aus dem sozioökonomischen Leben in Russland nicht mehr wegzudenken. Er vereinigt die besten Eigenschaften von Deutschen und Russen.“

Die Auslieferung der jetzt bestellten Züge soll 2014 über die Bühne gehen. Der Auftrag sichert Wartungs-Jobs in Russland, aber vor allem Arbeit in Deutschland. So kündigte der Chef der Siemens-Bahnsparte, Hans-Jörg Grundmann, an, dass das Bahnwerk in Krefeld erweitert werde, zusätzliche 500 Produktionsmitarbeiter sollen beschäftigt werden. Und in Erlangen, wo Antriebs- und Steuerungstechnik herkommen, sucht Siemens weitere 140 Ingenieure.

Grundmanns Bereich Rail Systems beschäftigt weltweit 11500 Mitarbeiter, die Hälfte davon in Deutschland. Zusammen mit Bestellungen für Schienenfahrzeuge in Westeuropa, China, Russland und Brasilien umfasst das Orderbuch zwölf Mrd. €. – „Arbeit für mehrere Jahre“, wie der Manager betont.

„DB ist nicht Schuld“

Als Reisender in Deutschland kann man neidisch werden auf die pünktlichen und wetterfesten Hochgeschwindigkeitszüge in Russland. Warum schafft das die Deutsche Bahn nicht? Bekanntlich lässt die Lieferung von 16 Zügen, ebenfalls aus der Velaro-Generation, auf sich warten. Grundmann nimmt die Verzögerung auf seine Kappe: „Beim DB-Auftrag sind wir in der Verantwortung.“ Und damit die Botschaft ja richtig ankommt, fügt er an: „Die Deutsche Bahn ist nicht Schuld.“

Die Krux ist: Die Züge sollten grenzüberschreitend verkehren, nach Frankreich, Belgien und später auch England. Für Frankreich fehle noch die Bahnsicherheitssoftware, so dass die Züge vorerst nur in Deutschland zugelassen sein werden. Ab Winterfahrplan 2012 sollen hier zehn neue Züge rollen. Zuverlässig.

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