So schaut Adidas seinen Produzenten auf die Finger

6.6.2017, 05:41 Uhr
Immer wieder stehen Textilhersteller und deren Zulieferer am Pranger: Unhaltbare Arbeitsbedingungen, bauliche Missstände und Verstöße gegen Arbeitsgesetze rufen Kritiker auf den Plan.

© NDR/Lomamedia Immer wieder stehen Textilhersteller und deren Zulieferer am Pranger: Unhaltbare Arbeitsbedingungen, bauliche Missstände und Verstöße gegen Arbeitsgesetze rufen Kritiker auf den Plan.

In diesem April gab es ein trauriges Jubiläum: Der Einsturz der Fabrik Rana Plaza mit 1100 getöteten und 2000 verletzten Beschäftigten von Textilfirmen in Bangladesch vor vier Jahren. Waren Sie mit diesem Mega-Unglück in Berührung gekommen?

Frank Henke: Direkt mit der Situation gar nicht. Wir lassen in diesen Betrieben nicht produzieren. Überhaupt spielt für uns Bangladesch als Beschaffungsland nur eine marginale Rolle. Unser Beschaffungsvolumen dort macht weniger als 0,1 Prozent aus. Lange bevor es Rana Plaza gab, haben wir bereits Schritte eingeleitet, damit Gebäudesicherheit, Arbeits- und Gesundheitsschutz bei all unseren Zulieferern gewährleistet sind.

 Sie verpflichten Ihre Produzenten dazu, soziale und Umweltstandards einzuhalten. Wie wird das kontrolliert?

Henke: Adidas hat bereits vor 20 Jahren begonnen, Experten einzustellen und zu schulen. Heute sind es 70 Fachleute, die vor Ort sind und jeweils auch aus den Haupt-Fertigungsländern stammen, sich dort also auskennen. Sie haben ständigen direkten Zugang zu den Fabriken, die sie überwachen.

Wie kann man sich das vorstellen? Kommen die Kontrolleure überraschend in die Betriebe?

Henke: Wir verstehen uns als Partner unserer Lieferanten. Das heißt, unsere Fachleute gehen in der Regel angekündigt in die Fabriken. Aber als Mitglied in der Fair Labour Association haben wir uns auch zu unabhängigen und unangekündigten Fabrikinspektionen verpflichtet. Dieser Verband macht für uns unangekündigte Zufallsstichproben, um zu sehen, ob wir unseren Verpflichtungen gerecht werden.

Wie viele Überwachungen sind das?

Henke: Im vergangenen Jahr waren das fünf Besuche vor allem in Fernost. Darüber hinaus arbeiten wir mit externen Prüfungsorganisationen zusammen, die wir beauftragt haben. Insgesamt prüfen wir weit über 1000 Mal pro Jahr.

Was gehört zu solch einem Besuch?

Henke: Fabrikbegehungen, Managementinterviews, vertrauliche Interviews mit Arbeitern sowohl im Betrieb als auch außerhalb des Fabrikgeländes. Was die Arbeiterinnen und Arbeiter sagen, ist für uns eine wichtige Informationsquelle. Wir finden immer etwas, wo die Arbeitsbedingungen zu verbessern sind.

Was muss eine Firma - sagen wir in Vietnam - tun, um Adidas-Lieferant zu werden?

Henke: Sie muss sich zunächst einer Vorprüfung unterziehen. Nach dem schriftlichen Check überprüft ein Auditor die Fabrik persönlich. 2016 lag die Durchfallquote bei diesen Vorab-Checks bei 39 Prozent. Wer infrage kommt, erhält eine Frist von drei bis sechs Monaten, um Mängel abzustellen.

Erst wenn alle unsere Standards erfüllt sind geben wir Aufträge an neue Lieferanten. Insgesamt unterhalten wir stabile Lieferbeziehungen zu den Herstellern, die Hälfte besteht länger als zehn Jahre.

Wie stehen Sie zu Initiativen wie Romero mit ihrer Kampagne "Saubere Kleidung", die Missstände anprangern? Ist Sie Ihnen lästig?

Henke: Nein. Wir setzen uns mit ihren konstruktiven Vorschlägen fortlaufend auseinander. In vielen Ländern arbeiten wir eng mit lokalen Nichtregierungsorganisationen, also NGOs, zusammen, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern.

Was tun Sie zum Beispiel, wenn eine NGO einen Fabrikanten bezichtigt, er erlaube seinen Mitarbeiterinnen nicht, aufs Klo zu gehen und zwinge sie zu unbezahlten Überstunden?

Henke: Wir gehen solchen Vorwürfen nach und berichten auf unserer Website über unsere Erkenntnisse. Sollte an Vorwürfen tatsächlich etwas dran sein, arbeiten wir mit den Fabriken an Verbesserungen. Von vielen NGOs erhalten wir regelmäßig sehr gute Noten, was unsere Standards und deren Umsetzung angeht.

So schaut Adidas seinen Produzenten auf die Finger

Wie funktioniert Ihre Beschwerde-Hotline via SMS?

Henke: Die Beschäftigten in den Fabriken können per SMS anonym Feedback geben und Verbesserungen vorschlagen. Dieses Instrument haben wir als erstes Unternehmen eingeführt.

Die Hotline nutzt den Vorteil, dass sehr viele Beschäftigte ein Mobiltelefon haben. Auch das Werks-Management nutzt das System für direkte Kommunikation mit den Arbeitern.

Teilen die Chefs auf diesem Weg die Arbeitsschichten mit?

Henke: Sie schicken Infos über Arbeitszeiten, Gehaltsentwicklungen und andere Neuigkeiten. An der Hotline nehmen heute 290.000 Beschäftigte in rund 63 Betrieben in Ländern wie Kambodscha, Vietnam, Indonesien und Teilen Chinas teil.

Apropos Indonesien: Dort gab es einen öffentlichen Aufschrei, als 1300 Arbeiter 2012 knall auf Fall entlassen worden sind. Bis heute fordern noch 345 Entlassene eine Entschädigung. Wie stehen Sie zu diesen Protesten?

Henke: Unsere Experten in Indonesien sind diesem Fall intensiv nachgegangen. Tatsache ist, dass alle Arbeiter im Juli 2012 sieben Tage lang unangemeldet gestreikt haben. Nach dem indonesischen Gesetz ist solch ein Streik verboten. Adidas hatte zu diesem Zeitpunkt keine Geschäftsbeziehung zu dieser Fabrik. Aber zur Muttergesellschaft Panarub. Bei ihr haben wir uns für die Beschäftigten eingesetzt und auf eine Lösung gedrängt.

Mit welchem Ergebnis?

Henke: Allen Beschäftigten wurde eine Abfindung angeboten. Außer den 345 Menschen haben sie alle angenommen. Zudem haben wir der indonesischen Gewerkschaft geraten, vor das Arbeitsgericht zu ziehen. Das hat die Gewerkschaft leider nicht getan.

Und auch ein eingesetzter Mediator hat sechs Monate lang versucht zu vermitteln — vergeblich. Wir begrüßen es, dass die Internationale Arbeitsorganisation die indonesische Regierung aufgefordert hat zu prüfen, ob die Entlassungen rechtmäßig waren.

Jeder Aufruhr schafft ein neues Imageproblem der Markenhersteller. Was muss geschehen, um solche Debakel zu vermeiden?

Henke: Wir bemühen uns um ein Frühwarnsystem, das Alarm schlägt, sobald es in Fabriken zu Problemen kommt. Produktionsausfälle wollen wir natürlich auch vermeiden.

Schuhe aus Meeresplastik, voll kompostierbare Sneaker, Trikots aus Recyclingmaterial - wohin führt die Nachhaltigkeitsstrategie von Adidas?

Henke: Als Trendsetter kommt Adidas mit Initiativen gegen die Vermüllung der Meere gerade bei jungen Leuten an. In diesem Jahr bringen wir eine Million Paar Laufschuhe auf den Markt, in denen wir Ozeanmüll verarbeiten. Kein anderer Sportartikelkonzern tut so viel. Seit 2015 sind wir Partner des Netzwerks "Parley for the oceans".

Was tut dieser "Dialog für die Ozeane"?

Henke: Es sammelt nicht nur Müll aus dem Meer, sondern klärt auf. Außerdem leiten wir ein Forschungsprojekt, um — gefördert mit EU-Mitteln — ein Material zu entwickeln, das sich für die Produktion von Sportschuhen in einem abfall- und klebstofffreien Prozess mehrfach wiederverwerten lässt, ohne dass die Produktqualität leidet.

Und bis Ende 2018 werden wir komplett auf nachhaltige Baumwolle umstellen. Heute sind wir bei 68 Prozent. Das sind nur ein paar Facetten unserer Programme. Uns als Sportartikelhersteller treibt der sportliche Ehrgeiz an, auch bei Arbeitsbedingungen und nachhaltiger Produktion ganz vorne zu stehen.

Für den Ocean Day am 8. Juni können sich Läufer anmelden bei der Sport-App der adidas-Tochter Runtastic.

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