Stellenabbau bei Siemens: Kaeser spielt mit dem Feuer

17.11.2017, 06:00 Uhr
Siemens-Chef Joe Kaeser packt schon wieder die Keule aus. (Archivbild)

© afp Siemens-Chef Joe Kaeser packt schon wieder die Keule aus. (Archivbild)

Die IG Metall hat schon erkennen lassen, dass sie Standortschließungen als Kriegserklärung verstehen wird. Zumal auch betriebsbedingte Kündigungen plötzlich nicht mehr ausgeschlossen sind – ein Novum für Siemens. Zwar dürfte die Region Nürnberg-Erlangen diesmal glimpflich davonkommen. Aber dieser erneute personeller Kahlschlag im Konzern markiert für alle Siemensianer einen Wendepunkt.

Als Unternehmenschef Joe Kaeser im August 2013 sein Amt antrat, kündigte er im Interview mit dieser Zeitung der Gewerkschaft eine konstruktive Zusammenarbeit an. Doch von dem Miteinander bleibt immer weniger übrig – nicht zuletzt wegen solchem Stellenabbau, wie es ihn in der Amtszeit Kaesers schon ein paar Mal gegeben hat.

Dass im konkreten Fall des Kraftwerksgeschäftes etwas geschehen musste, dafür haben ja sogar die Mitarbeiter zumindest ein gewisses Verständnis. Der globale Markt für große Gasturbinen liegt am Boden. Wurden vor drei Jahren noch 200 dieser Giganten bestellt, so müssen sich die Anbieter in diesem Jahr nach Expertenschätzung wohl höchstens noch 170 Aufträge, bald noch 130 Anlagen teilen. Die Folge: Bei Siemens sackten Umsatz und Ertrag in der Kraftwerksparte nach unten, der Auftragseingang brach um über 30 Prozent ein. Da muss ein Unternehmen handeln.

Am Donnerstagabend äußerte sich auch Siemens-Personalchefin Janina Kugel bei den Nürnberger Managementgesprächen der Nürnberger Nachrichten

Warum so brachial?

Die Arbeitnehmer fragen sich nur völlig zu Recht: Warum so brachial? Schließlich ist bei aller betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit, auf den Markt zu reagieren, doch klar festzuhalten: Selbst die angeschlagene Kraftwerkssparte macht Gewinne, und zwar nicht so wenige – von den satten Erträgen der anderen Siemens-Geschäftsfelder gar nicht zu reden. Immerhin kam das Unternehmen zuletzt auf einen Konzerngewinn von über 6000 Millionen Euro.

Und mit mindestens derselben Berechtigung darf gefragt werden: Warum reagiert Kaeser erst jetzt, da ihm offenbar nichts mehr anderes übrigbleibt, als erneut zur Keule radikaler Kostensenkungen zu greifen? Warum hat sich Siemens nicht rechtzeitig auf die Folgen der Energiewende – weltweit – eingestellt?

Warum hat man so lange an den großen Turbinen festgehalten, wo doch weltweit der Trend schon lange hin zu dezentraler Stromerzeugung und kleineren Anlagen geht? Klar, hinterher ist man immer schlauer. Aber das zeichnet eben gute, hochbezahlte Manager aus, dass sie Marktentwicklungen richtig erkennen und vorwegnehmen.

Fehleinschätzung mit Folgen

Die Fehleinschätzung hat Folgen: Nicht nur für die weltweit 6900 direkt betroffenen Beschäftigten, die jetzt wohl überdenken müssen, ob die nächsten Weihnachtseinkäufe für ihre Familien wirklich noch so groß ausfallen können wie geplant. Mit dem angekündigte Kahlschlag kratzen Kaeser und seine Personalchefin Janina Kugel auch an einer mit den Mitarbeitern getroffenen Vereinbarung, die Standorte garantiert und betriebsbedingte Kündigungen – grundsätzlich – ausschließen soll. Jetzt sollen ganze Standorte plattgemacht werden, Entlassungen sind nicht ausgeschlossen. Ein Alarmsignal für die Siemensianer. Jetzt hat dieses Sicherungsnetz auf einmal Löcher, es geht einen Schritt weit ans Eingemachte. Das verunsichert, kratzt an der Motivation.

Kaeser spielt da mit dem Feuer. Der Niederbayer hat ehrgeizige Pläne, will den Konzern komplett umbauen, aus einem schwerfälligen Tanker einen Flottenverband machen. Dazu kommt die zweite Runde der digitalen Revolution, vor der keiner der weltweit 370 000 Arbeitsplätze des Konzerns verschont bleiben wird. Für all diese Pläne und Herausforderungen braucht Kaeser die Mitarbeiter. Er muss sie mitnehmen auf diese Reise – und nicht vor den Kopf stoßen, wie jetzt.

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