Zeitsprung zurück

10.8.2010, 13:19 Uhr
Zeitsprung zurück

© Schwarz

Es ist ein seltsames Instrument, das Ingo Rauch an einem Gurt trägt. Ein Ledersack, aus dem mehrere Holzrohre ragen. Der 16-jährige Lockenkopf spielt Dillenbergschläuche, ein dudelsackähnliches Instrument des Mittelalters. Er trägt einen karierten Rock, der an Schottland erinnert. „Bei dem Wetter ist das sehr angenehm“, erklärt er trocken. Zusammen mit seinem Freund und Mitstreiter Max Vogel ziehen sie durch Cadolzburg und musizieren.

Nach dem ökumenischen Gottesdienst, der direkt an der Hohenzollernburg stattfindet, strömen die Besucher zu dem mittelalterlichen Markt. Kleine Burgfräulein und Ritter rennen durch die Menge. Doch nicht nur die Kinder passen ihre Kleidung dem Spektakel an, auch ein großer Teil der erwachsenen Besucher hat sich in mittelalterliche Kostüme geworfen.

Hospitaliter mit dem Kreuz

Etwas abseits steht eine Gruppe junger Männer, alle in lange schwarze Gewänder gekleidet, ein weißes Kreuz baumelt auf der Brust. Sie seien Hospitaliter, Ordensritter und Vorgänger der heutigen Malteser, erklärt Florian Fraunholz, Vorstand des Vereins Pax Crucis, der sich mit der Geschichte der Hospitaliter befasst. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, mittelalterliche Brauchtümer zu erklären. „Die Hospitaliter gründeten 1080 ein Hospital in Jerusalem, in dem jeder gleich behandelt wurde – und kostenlos“, sagt Alexander Mayer, ein weiteres der acht Mitglieder.

Ihr Wissen beziehen die Mittelalterbegeisterten durch gemeinsame Museumsbesuche und Recherchen. Ihre Kleidung haben sie nach genauen Anweisungen von einer Schneiderin fertigen lassen. „Wir sind gewandet und nicht verkleidet“, betont Fraunholz. Für die Hospitaliter aus Cadolzburg und Umgebung ist das wichtig, begreifen sie das Ganze doch nicht nur als Spiel, sondern vielmehr als parallele Welt. Vier bis fünf Mal im Jahr besuchen sie Mittelaltermärkte in ganz Deutschland. Dort werden mit anderen Gruppen fiktive Schlachten gefochten. Jeder kann dabei verschiedene Rollen übernehmen.

Überfall der Nürnberger

Eingeläutet wurde das historische Spektakel in Cadolzburg mit einem Überfall. Unter Leitung des Nürnberger Hauptmanns Nickelgries – einer historisch belegten Figur – fielen die Nachbarn in Cadolzburg ein. Wider der wahren Begebenheit wehrten sich die Cadolzburger erfolgreich und nahmen den Hauptmann gefangen. Es folgte eine öffentliche Gerichtsverhandlung: Nickelgries wurde vor den Augen der Schaulustigen zur Strafe geteert und gefedert. Ein Spektakel, das Jung und Alt erfreute.

Betritt man das Gelände des Cadolzburger Mittelaltermarktes, öffnet sich scheinbar eine andere Welt: Stände und Zelte aus Holz und Leinen sind aufgebaut, Handwerker und Gaukler geben ihr Können zum Besten. Ein paar Schritte weiter stößt man auf ein kleines Zelt, an dessen Eingang zwei Damen den Besuchern entgegenlächeln. „Hurenzelt“ steht darauf in großen Lettern zu lesen. „Wir sind Kroaten“, erläutert eine der Damen, „wenn wir plündernd durch die Lande ziehen, nehmen wir die Frauen, die ihre Männer und ihren Besitz verloren haben, auf, um sie für uns arbeiten zu lassen.“

Auf der anderen Seite werden Rosseisen angeboten. Das ist ein Käse-Teig-Gebäck, in Öl frittiert und mit einer Zwiebelsoße serviert. Direkt daneben steht das Badehaus. Gerade ist der Vorhang zugezogen, dahinter verbirgt sich ein Zuber mit heißem Wasser. Die Besucher können sich entkleiden und in das Wasser setzen. Wenn sie einverstanden sind, wird der Vorhang wieder geöffnet, sobald sie im Zuber sitzen.

Ein stattlicher Mann mit Vollbart, gekleidet in mittelalterlicher Tracht und einer Kordel um den Bauch, steht auf seinen Hirtenstock gestützt am Wegesrand. Er grüßt Passanten und beobachtet das Treiben. Robert List ist Vorsitzender des Kulturvereins Deberndorf, einer der Hauptorganisatoren. Der Verein aus dem Cadolzburger Ortsteil beschäftigt sich vor allem mit dem Handwerk des Mittelalters. Zusammen mit der Marktgemeinde hat er die Veranstaltung dieses Spektakels in Händen. Die Idee dazu ergab sich aus der Feier, die 2007 anlässlich des 850. Geburtstags von Cadolzburg stattgefunden hatte. Aufgrund des Erfolgs sollte ein ähnliches Festival folgen. Heuer war der Auftakt, in drei Jahren soll das nächste historische Spektakel stattfinden.

Rund zwanzig Vereine aus Cadolzburg sind daran beteiligt, darunter auch der Kindergarten, der eine „Filzerey“ betreibt. Hinzu kommen sechzehn mittelalterliche Gruppen. Für Robert List ist vor allem das freiwillige Engagement von großer Bedeutung: „Alle tun etwas ohne Lohn für die Gemeinschaft, so etwas fördert das soziale System“ – und es beschert ein spannendes und außergewöhnliches Wochenende für jedermann.