Von Baklava bis Falafel

Von der Refugee Kitchen zum eigenen Laden: Wie eine syrische Familie ihre Küche nach Nürnberg bringt

Jannik Westerweller

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25.12.2023, 18:04 Uhr
Inhaber Ali Ezo hinter Türmen von syrischen Süßigkeiten.

© Jannik Westerweller Inhaber Ali Ezo hinter Türmen von syrischen Süßigkeiten.

Als ich im Laden an der Sulzbacher Straße 97 ankomme, dämmert es gerade. Es ist kühl, nasskalter Nieselregen weht mir entgegen. Ali Ezo erwartet mich schon, als ich die Türe öffne. "Kaffee?", fragt er mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. Der Inhaber des Ladens scheint Gedanken lesen zu können. Innen ist es warm, es riecht nach frisch gebackenen Teigwaren. Und Gewürzen, die ich nicht zuordnen kann. Wie selbstverständlich stellt er eine Platte voller Süßigkeiten vor mir auf den Tisch. Ich werde den Laden nicht hungrig verlassen.

"Viele haben das Gefühl für Familie verloren"

Am Nebentisch sitzt seine Tochter und spielt. Sie ist gerade zwei Jahre alt. In der Küche steht Ezos Frau Fadia und hält den Laden am Laufen. Seine beiden Söhne, zwölf und sieben Jahre alt, werden im Laufe des Gesprächs auch in den Laden kommen. "Sie kommen meistens nach der Schule und essen etwas", lacht Ezo. "Mein Großer geht auf das Gymnasium", fügt er hinzu. Der Stolz steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Dass die ganze Familie zusammen im Laden ist, ist keine Seltenheit. "Meine Frau kommt her und unterstützt mich im Laden", erzählt Ezo. Er zögert kurz. "Eigentlich macht sie mehr als ich", schmunzelt er.

Ali Ezo ist der Prototyp eines stolzen Familienvaters. Seine Familie bedeute ihm alles - und das merken auch seine Gäste: "Viele haben das Gefühl für Familie verloren. Dann kommen sie her und finden hier dieses Gefühl. Wer einmal kommt, kommt meistens zurück." Kein Adjektiv könnte die Atmosphäre im Laden besser beschreiben als "familiär". Ali Ezo, groß, muskulös, breit gebaut, nimmt seine Kinder immer wieder liebevoll in den Arm. Wie ein Bär sein Junges.

Von Aleppo nach Nürnberg

Vor fast neun Jahren ist Ali Ezo mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Als wir über die Flucht sprechen, legt sich ein Schatten über die sonst so freundlichen Gesichtszüge. Er scheint nicht gerne darüber zu sprechen, lenkt das Gespräch auf etwas Erfreulicheres: seine neue Heimat. "Auf einer Seite bin ich traurig. Aber hier war es toll, die Leute waren toll", erzählt Ezo. "Ich gehe jeden Tag die gleiche Straße entlang, fahre jeden Tag mit der gleichen Tram. Ich bin jetzt in Nürnberg so unterwiegs wie in Aleppo.". Seit Juli hat er einen deutschen Pass.

Immer noch vermisse seine Heimat, seine Familie. "Ich denke jeden Tag an sie", sagt er wehmütig. Er wolle sie so bald wie möglich besuchen, doch das sei nicht so einfach - schließlich habe er erst vor Kurzem den Laden eröffnet.

"Ich wollte meine Kultur herbringen, meine Küche nach Deutschland bringen"

Doch eigentlich war das nie der Plan, denn: In seiner Heimat war Ezo Schreiner. Mit seinen Bärenpranken klopft er auf den rustikalen Holztisch. Wie auch alle Holzverkleidungen im Laden habe er ihn selbst geschreinert. Das Holz sei 100 Jahre alt - wie auch das Gebäude, in dem sich der Laden befindet.

Vier Jahre lang hat er in Deutschland als Schreiner gearbeitet. Wirklich Spaß habe ihm das nicht gemacht. "Meiner Meinung nach ist das kein Schreinerberuf. In meiner Heimat gab es viel von Hand zu machen. Hier macht die Maschine mehr als der Mensch", so Ezo. Doch zeitgleich sei ihm eine andere Idee gekommen, als er durch die Straßen Nürnbergs spaziert ist. Dort habe er viele asiatische und türkische Restaurants gesehen - aber kein einziges arabisches Restaurant. Geboren war der Traum vom eigenen Laden: "Ich wollte meine Kultur herbringen, meine Küche nach Deutschland bringen".

"Was mich immer besonders gefreut hat, war, wenn Deutsche etwas bestellt haben, es probiert haben und ich in ihrem Gesicht sehen konnte, dass es ihnen schmeckt", erzählt mir Ezo. Genau in diesem Moment betritt ein älterer Mann den Laden. Er sieht mehr nach Wurstbrot als nach Schawarma aus. "Entschuldigung, ich muss kurz", lacht Ezo, bevor er seinen Platz hinter der Theke einnimmt. Sorgsam begutachtet der ältere Mann die Theke, stellt Fragen, lässt sich beraten. Der Mann kauft eine Manakish mit Zatar - quasi eine arabische Pizza mit einer bestimmten nordafrikanischen Gewürzmischung, die an wilden Thymian erinnert.

Von der Refugee Kitchen zum eigenen Laden

Ezo kehrt an unseren Tisch zurück. Wir lachen. Die Situation hätte passender nicht sein können. "Kochen ist mein Hobby", erzählt der Ladeninhaber. Als er nach Deutschland kam, habe er am Projekt "Refugee Kitchen" teilgenommen - ursprünglich nur, um die Sprache zu lernen. Dort sei er immer der Koch gewesen, habe öfter für 100 bis 150 Gäste gekocht. Allen habe es geschmeckt. Das habe ihn ermutigt. Noch immer lädt er seine Freundinnen und Freunde ein, wenn er neue Rezepte ausprobiert.

Und das tut er häufig. Zwar habe er die Grundlagen von seiner Mutter und Schwiegermutter gelernt, dennoch sei er immer auf der Suche nach neuen Kreationen: "Ich mag es, etwas zu essen, was schmeckt. Ich suche immer nach Geschmack, ich liebe es, Neues auszuprobieren."

Einmal probieren, bitte! Inhaber Ali Ezo freut sich, ein Stück seiner Kultur nach Nürnberg zu bringen.

Einmal probieren, bitte! Inhaber Ali Ezo freut sich, ein Stück seiner Kultur nach Nürnberg zu bringen. © Jannik Westerweller

Sein Sortiment kann sich sehen lassen: Ein guter Freund Ezos stellt selbst syrische Süßwaren her. Diese türmen sich im Laden, mehr als einen halben Meter misst der höchste Stapel. Über mein Staunen ob der Süßigkeitenberge kann Ezo nur lachen: In Aleppo seien die Süßwarentürme noch höher, man müsse den Verkäufer hinter der Theke erst suchen. Neben Baklava, die vielen Deutschen mittlerweile ein Begriff sind, gibt es hier ebenfalls exotischere Süßigkeiten wie Mabroume (kleine Pistazienrollen) oder auch Ayatef (gefüllten arabische Pfannkuchen).

Auf der Karte stehen zudem zwölf verschiedene Variationen der Manakish mit verschiedenem Gemüse, Kräutern, Hackfleisch oder Schawarma, einem arabischen Grillspieß. Aus seiner Heimat Aleppo kennt Ezo 57 Manakish-Variationen. Jede Bestellung bereiten Ali Ezo und seine Frau Fadia frisch zu. Außerdem gibt es hier frische Kibbeh, kleinen Klößen aus Bulgur, Zwiebeln, Paprika und Kreuzkümmel. Ezo beginnt über seinen eigenen Witz zu lachen, schon Sekunden, bevor er den nächsten Satz ausspricht: "Das ist alles. Was versteckt ist, verrate ich nicht." Ebenso gibt es hausgemachte Weinblätter.

Manakish: Zwölf verschiedene Variationen der arabischen Pizza stehen aktuell auf der Karte.

Manakish: Zwölf verschiedene Variationen der arabischen Pizza stehen aktuell auf der Karte. © Jannik Westerweller

Und selbstverständlich darf auch der arabische Exportschlager schlechthin, die Falafel, auf der Karte nicht fehlen; klar, schließlich ist diese gemeinsam mit seiner Heimatstadt Aleppo Namensgeber des Ladens. Flaleppo - das "Fl" steht für Falafel. Ezo bietet mir einen Falafel-Wrap an, bei so viel Gastfreundschaft kann ich nicht ablehnen. Während ich auf die hausgemachte Falafel warte, kommt seine zweijährige Tochter zu mir und bietet mir ein Stück von ihrer Banane an. Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon kiloweise syrische Leckereien und Manakish verdrückt. Und ich habe noch einen Falafel-Wrap vor mir. Ich lehne ab.

Als ich gerade gehen möchte, ruft Ezo quer durch den Laden: "Wohnst du alleine? Dann gebe ich dir noch was Süßes mit!"

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