Vergleich mit dem 22. Juni 1941
Ukraine-Krieg: Ein Franke, der in Russland lebt, schildert die Stimmungslage
26.02.2022, 06:56 Uhr
„Das haben wir befürchtet, aber wir haben immer noch gehofft“, gesteht Sepp. Der Franke aus dem Landkreis Forchheim, der eigentlich anders heißt, verbringt schon sein halbes Leben mit Frau und Kindern in Russland, in der Hauptstadt Moskau.
Äußerlich ist von dem Krieg in Moskau auch nichts zu bemerken. „Es ist wie immer“, sagt unser Landsmann. „Die Leute gehen zur Arbeit, die Geschäfte sind geöffnet, es wird eingekauft. Trotzdem hängt das Wort Krieg in der Luft und drückt die Leute nieder. Die Stimmung hier ist sehr gedämpft“, beschreibt der Wahlmoskauer.
Die Kollegen reden weniger als sonst. „Wie wenn man merkt, dass man Mist gebaut hat und sich vielleicht sogar schämt. Es war eine langsame Entwicklung zu einer totalitären Staatsform, aber daran schuld sein? „Nach 1945 war auch keiner ein Nazi“, vergleicht er. Dabei will er den russischen Landsleuten nicht unbedingt einen Vorwurf draus machen.
Die Nachrichten, die Medien funktionieren anders als in Deutschland, schon immer. „Es sind staatliche Medien, sie sind wie zu Sowjetzeiten. Ein Drittel sind Nachrichten, ein Drittel Kommentare und ein Drittel Propaganda – so ist man es gewöhnt.“ Milde ausgedrückt.
"Niemand in Russland hat mit diesen Schritt gerechnet"
Auch wenn heute rückblickend die Entwicklung vorhersehbar war, hatte niemand in Russland mit diesem Schritt Putins gerechnet. Warum nicht? Zum einen: „Selbst wenn mein Nachbar meine Fußmatte verschmutzt, ist das noch kein Grund, ihn umzubringen“, sagt der Forchheimer, der diesen Vergleich auf die Nato-Osterweiterung bezieht. Und zum anderen: „Die Entwicklung wurde verschlafen. Das Ausland hat es nicht erkannt und die Bevölkerung hier auch nicht“, sagt Sepp und vermutet, dass genau das inzwischen bereut wird.
Die Entwicklung geht zurück zur Annexion der Krim. „Da herrschte hier freudiger Patriotismus, ähnlich wie bei dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich“, erinnert er sich, der seine Kollegen zwischendurch an deren Jubel bei der Krimübernahme erinnert.
Auch wenn die Kollegen das heute nicht hören wollen. Doch: „Das wollten die Deutschen am Ende des zweiten Weltkrieges auch nicht hören“, sagt Sepp. Den Donnerstag vergleicht er mit dem 22. Juni 1941, dem Tag, der als Beginn des Unternehmens Barbarossa in die Geschichtsbücher einging, als Deutschland die Sowjetunion überfiel.
Ein Spiel mit dem Feuer
Darüber und über alles andere darf er sich mit den Kollegen unterhalten. In Russland existiert die „freie Rede“. Nur nicht wenn der Redner populär wird, das heißt, zu sehr an die Öffentlichkeit geht. Doch Sepp ist nur einer, der in dem Land arbeitet und lebt. Ein Genozid im Donbass, verursacht durch die Ukraine, die Marionetten der USA, erklärten die russischen Medien den Bürgern. Nun hat sich die Einstellung bei vielen geändert.
„Es wird offensichtlich endlich nachgedacht. Auch in Russland haben die Menschen Sorge! Angst, dass sich der Angriff zu einem Weltkrieg ausweitet“, erzählt Sepp. Niemand wisse, wie der Westen reagiere, wie die Nato reagiere und wie Putin weiter agiere.
„Ich will keine Panik machen, aber es wird sehr mit dem Feuer gespielt“, sagt der Wahlmoskauer weiter. Da könne schnell etwas passieren. Die Strategie ging nicht unbedingt dahin, die alte Sowjetunion zu errichten, aber doch diese Staatsform wiederherzustellen. Auch das zeigte die Entwicklung. Wer in Moskau den Kühlschrank gefüllt wusste, interessierte sich wenig dafür, wie die Leute in der Provinz lebten und die Ukraine war für sie sowieso Ausland. In Deutschland interessiert man sich primär für den Gaspreis, so hatte jeder seine Interessen.
Junge Familien überlegen, das Land zu verlassen. Doch wohin? Um das Überleben in der Ukraine hat Sepp weniger Befürchtungen. Seiner Meinung nach sind die Leute in der Lage sich durchzuschlagen und Kartoffeln anzubauen. Sie haben das gelernt, aber die Toten und diese Zerstörung sind unerträglich und er hofft wie jeder andere, dass sich die Lage nicht zu einem Weltkrieg ausweitet.
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