Wachsende Radikalisierung

Proteste gegen Corona-Maßnahmen: Polizei blickt mit Sorge auf "Spaziergänge"

Alexander Brock

Lokales

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4.1.2022, 17:34 Uhr
Dieser Protestzug verlief friedlich und im Rahmen der Gesetze: Am Montagabend zogen Gegner der Corona-Politik durch die Nürnberger Südstadt. Die Polizei spricht von rund 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

© NEWS5 / Oßwald, NEWS5 Dieser Protestzug verlief friedlich und im Rahmen der Gesetze: Am Montagabend zogen Gegner der Corona-Politik durch die Nürnberger Südstadt. Die Polizei spricht von rund 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Das neue Jahr hat eben erst begonnen, da ist ein Ereignis aus dem alten noch lange nicht verhallt. Es geht um den 30. Dezember. Rund 1300 Personen aus der sogenannten Querdenker-Szene marschierten durch die Altstadt, die Demo war nicht angemeldet, die Polizei ließ die Versammlung zu. Bürger waren empört. Das Nürnberger Bündnis Nazistopp sieht darin sogar eine Verletzung der Neutralitätspflicht seitens der Polizei. Sie habe damit "einer Radikalisierung dieser rechtsoffenen Gruppen Vorschub geleistet". Das Bündnis erinnert daran, dass es bereits im vergangenen Jahr, am 3. Januar 2021, eine ähnliche Situation gegeben habe: "Nach einem durch die Stadt ausgesprochenen Demoverbot kamen mehr als 1000 'Corona-Rebellen' zum Hauptmarkt und demonstrierten dann in Richtung Jakobsplatz, aus unserer Sicht eine Ersatzveranstaltung und damit verboten."

Gewalttätige Proteste in Schweinfurt

Manche Kundgebungen von Gegnern der Corona-Maßnahmen gehen auch friedlich und im Rahmen der Gesetze über die Bühne wie am Montagabend mit rund 4000 Teilnehmern, die durch die Nürnberger Südstadt marschierten. Andere dagegen, einige unerlaubte "Spaziergänge" etwa, laufen aus dem Ruder, so dass die Polizei klare Kante zeigen musste: In Schweinfurt kam es zu gewalttätigen Protesten und Angriffen auf die Polizei, in München wurden 28 Personen, die sich an illegalen Versammlungen beteiligten, wegen Beleidigung und Körperverletzung festgenommen.

Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass sich Teilnehmer dieser Demos zunehmend radikalisieren. "Wenn bei Demos oder sonstigen Versammlungen gegen die Beschränkungen und Auflagen verstoßen wird und dann auch noch unsere Einsatzkräfte beleidigt, bespuckt und schlimmer noch tätlich angegriffen werden, dann ist die Rote Linie überschritten", sagt Peter Pytlik, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Mit Blick auf das Demonstrationsgeschehen in Nürnberg, wendet sich Pytlik mit einer Warnung an die Stadtspitze: "Wenn die Stadt Nürnberg keine klare Rechtslage etwa durch ein ähnliches Verbot über eine Allgemeinverfügung wie in anderen Städten schafft, werden sogenannte Querdenker dieses Entscheidungsvakuum nutzen und weiterhin durch Nürnberg ziehen."

"Erheblicher Fanatismus"

Die Protestler sind nach wie vor eine kleine Minderheit. Doch eine, die es versteht zu mobilisieren, so dass der Eindruck entsteht, es seien viele. Alleine am letzten Montag im alten Jahr sind nach Angaben der Polizei bei 75 Versammlungen in 62 Orten insgesamt 19.000 Menschen auf die Straße gegangen. In Bayern liefen Gegner der Corona-Politik am Mittwoch vergangener Woche noch einmal zu Hochform auf. Alleine in München zogen Tausende von ihnen durch die Innenstadt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) attestierte einem Teil "erheblichen Fanatismus". Dass einige von ihnen selbst eigene Kinder einspannen oder sich in Einzelfällen sogar bewaffnen würden, sei "etwas, was uns Sorge bereitet".

Die Sorge, dass einzelne Versammlungsteilnehmer in Schweinfurt Messer bei sich hatten, treibt auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) um. "Das ist aus unserer Sicht eine neue Stufe der Eskalation, die uns aufhorchen lassen muss. Da wird in Telegramm-Gruppen zur Mitnahme von Messern aufgerufen und in Kauf genommen, dass diese auch gegen Polizistinnen und Polizisten eingesetzt werden. Das kann und darf sich der Rechtsstaat nicht bieten lassen", teilt Thorsten Grimm, stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG mit. Grimm fordert in diesem Zusammenhang, gegen die "Anstifter" in den Chatgruppen und gegen diejenigen, die solche Waffen mit sich führen, strafrechtlich konsequent vorzugehen.

"Keine Sympathiebekundungen"

Die Stadt Nürnberg indes signalisiert, in Sachen Verbot nachbessern zu wollen, da es bisher keine Allgemeinverfügung gibt, die "wilde Spaziergänge" durch die Innenstadt untersagt. "Nach den Erfahrungen der letzten Woche wird die Stadt fallbezogen künftig zu angemeldeten Versammlungen begleitend Allgemeinverfügungen erlassen, wenn dies angezeigt erscheint", heißt es auf Anfrage der Redaktion.

Mit Blick auf den 30. Dezember und dem "Spaziergang" sogenannter Querdenker weist das Polizeipräsidium den "Kuschelkurs"-Vorwurf der Kritiker zurück. Aus Sicht der Polizei ist "weder die fehlende Anmeldung einer Versammlung noch das Fehlen eines Versammlungsleiters ein Grund für ein Verbot oder die Auflösung einer solchen Versammlung", heißt es in einer Stellungnahme der Polizei. Die Versammlungsfreiheit genieße in Deutschland einen hohen Stellenwert. "Sie soll demnach gewährleisten, dass sich jedermann friedlich und ohne Waffen öffentlich mit anderen versammeln darf." Die Teilnehmer hätten sich kooperativ gezeigt. Sowohl die von der Polizei vorgegebene Aufzugsstrecke sowie die notwendigen Maßnahmen zum Infektionsschutz seien "größtenteils" eingehalten worden.

Auch den Vorwurf, dass die Einsatzkräfte Demonstranten per Lautsprecher zum unangemeldeten "Spaziergang" ermuntert haben sollen, lässt das Präsidium nicht gelten: "Die Durchsagen waren nicht als Sympathiebekundungen zu verstehen, sondern hatten zu jedem Zeitpunkt das Ziel, durch die direkte Ansprache die sichere und ordnungsgemäße Durchführung des Aufzugs zu gewährleisten."