Besondere Beziehung zu Nürnberg

40 Jahre Bananensprayer: Der Kunst-Rebell Thomas Baumgärtel

24.5.2023, 15:00 Uhr
Der Bananensprayer Thomas Baumgärtel macht munter weiter.

© David Young, dpa Der Bananensprayer Thomas Baumgärtel macht munter weiter.

Noch immer zieht es ihn mit seinen Schablonen und Spraydosen in die Nacht. Während der Pandemie sogar wieder vermehrt: "Die Straßen waren so schön leer. Für mich war das ein echter Vorteil", sagt Thomas Baumgärtel. Seit 40 Jahren macht der 62-jährige Künstler von sich reden. Im Zentrum seines Schaffens steht eine Banane. So wurde er zum Bananensprayer.

Er sprüht seine Bananen als Graffiti illegal an ganz bestimmte Fassaden – von Museen, Galerien und Kunst-Institutionen. Inzwischen hat er rund 4000 solcher Häuser weltweit heimgesucht. Dabei wurde seine Spray-Banane vom anfänglichen Ärgernis zum Gütesiegel für gute Kunst - auch in Nürnberg. Unter anderem an der Galerie Voigt in der Kaiserstraße prangt eine Banane, dort hat Baumgärtel zuletzt im Jahr 2020 ausgestellt.

Dadurch, dass sein Vater gebürtiger Nürnberger ist, hat Baumgärtel eine besondere Beziehung zu der Stadt. „Wir hatten zuhause einen alten Stich vom Nürnberger Heilig-Geist-Spital. Das Bild kam mir als Kind immer riesengroß vor und ist mir stark in Erinnerung geblieben“, sagte der Künstler einmal im Interview mit den "Nürnberger Nachrichten".

Alles begann während Baumgärtels Zivildienst 1983. In einem katholischen Krankenhaus in seiner Heimatstadt Rheinberg fiel ein schlichtes Holzkreuz von der Wand. Kurzerhand nagelte "Zivi" Baumgärtel als Ersatz für die zerbrochene Jesus-Figur seine Frühstücksbanane ans Kreuz. "Das gab mächtig Ärger. Zum Glück mochten mich die Ordensschwestern." Baumgärtel merkte, "wie viel Wirkung eine solche Aktion erzeugen kann".

Harald Naegeli als Vorbild

Damals reifte in ihm der Entschluss: "Ich will Künstler werden." Sein Vorbild war Harald Naegeli, der Sprayer von Zürich, damals wegen seiner ebenfalls illegalen Sprayerei weltweit mit Haftbefehl gesucht. "Was der gemacht hat, hat mich beeindruckt." Inzwischen bringt Baumgärtel es selbst auf rund 300 Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung. "Das zahle ich immer sofort. Dagegen vor Gericht zu ziehen, macht alles nur noch teurer."

Mittlerweile ist seine Banane von Paris, New York bis Basel eine Art Michelin-Stern der Kunstszene geworden - von New Yorker Galeristen spontan begrüßt, von Galeristen in Deutschland anfangs verflucht. Vielleicht, weil sie auch Kunstkritik sein sollte: "Nicht alles ist Kunst, bloß weil es im Museum hängt. Die ganze Kunstszene ist total Banane", sagt Baumgärtel. "Zumindest hab ich damals so gedacht."

Für seine Spray-Bananen sucht er sich dann aber die Häuser aus, die er gut findet: "Das ist meine Art der Liebeserklärung." Als er 1986 nachts mit einem Bekannten am Museum Ludwig in Köln auftaucht, geht die Sache schief: "Die Polizei hat uns mit gezogenen Waffen umstellt. Die dachten wohl, ich hätte da eine Bombe platziert. Als dann über Funk kam, dass es sich um eine Spraybanane handelt, wurden sie deutlich entspannter." Die Banane musste er trotzdem von der Wand entfernen.

Doch zwei Jahre später hatte das Museum mit Siegfried Gohr einen neuen Direktor und der erkannte den künstlerischen Sinn hinter der Bananensprayerei. Er bat Baumgärtel, die Banane wieder ans Museum zu sprühen. Die Stelle durfte er sich aussuchen. Es wurde zu einem Triumphzug für den Wahl-Kölner.

"Ich fühle mich wie ein Restaurant-Kritiker und habe mich nie dafür bezahlen lassen. Ich lasse mich nicht kaufen." Als er 1995 zum ersten Mal nach Moskau kommt, staunt er: "Da gab es die Bananen schon. Die hatten sie sich selbst drauf gesprüht. Da habe ich gemerkt, dass meine Aktion inzwischen weltweit bekannt ist."

Aktion zum Jubiläum des Kölner Doms

Zum 750-jährigen Jubiläum des Kölner Doms überrascht Baumgärtel 1998 mit einer Großaktion, an der er eineinhalb Jahre gearbeitet hat: Er lässt eine 14 Meter lange und vier Meter hohe Banane vor das Hauptportal des Kölner Doms hieven, vier Tonnen schwer. "Die mussten wir in fünf Minuten aufbauen, damit uns die Polizei und die Security nicht dazwischen kommen."

Seit mehr als 15 Jahren schon hegt er den Plan, eine Riesenbanane durch das Brandenburger Tor in Berlin zu schieben. "Ich bin da noch in Gesprächen", sagt er.

Derzeit ist er in der Ukraine unterwegs. Er plant, dem Pinchuk Art Center in Kiew eine Banane zu verleihen. Außerdem sprühte er in der ukrainischen Hauptstadt Graffitis, die Putin in Sträflingskleidung zeigen mit dem Slogan: „put in prison“ (Putin ins Gefängnis!). Er habe auch schon ein Graffiti an die zerstörte Brücke von Irpin gesprüht, am Maidan-Platz habe er seine Banane neben einem Werk von Banksy platziert. Auch auf zerstörten russischen Panzern prange jetzt seine gelb-blaue Banane als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine.

Als während der Pandemie Corona-Leugner und Impfgegner mobil machten, zog Baumgärtel los, um Gesundheitsinstitutionen wie das Hamburger Hygiene-Institut auszuzeichnen - mit seiner "Impf-Banane", die seine Banane in abgewandelter, virusähnlicher Form zeigt.

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei zeigt er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Banane im Gesäß. Dessen Anhänger verloren die Fassung und überhäuften ihn mit Morddrohungen: "Das hat mir lange Zeit Polizeischutz beschert. Die Reaktionen waren schon heftig."

Baumgärtel: "Kunst muss wirken"

Nach wie vor hadert mancher Adressat, den er mit einer Banane an der Fassade überrascht, mit diesem Geschenk. Noch vor Kurzem habe ihn deswegen ein alteingesessener Kölner Galerist sehr lautstark angefahren: "Du Arschloch!" Baumgärtel nimmt es wie einen Ritterschlag. "Dass das nach Jahrzehnten immer noch so eine Wirkung erzielt, ist doch erstaunlich. Kunst muss wirken."

Was den künstlerischem Ruhm angeht, ist inzwischen ein anderer Graffiti-Künstler an ihm vorbei gezogen: "Banksy ist super", sagt Baumgärtel. "Der hat inzwischen mit 188 Millionen Euro die zweitmeisten Verkäufe nach Gerhard Richter bei Auktionen. Im Vergleich dazu wird Street Art in Deutschland immer noch ignoriert."

Noch bis 30. Mai ist die Retrospektive "40 Jahre Bananensprayer" in Stefan Piekarskis Galerie "Art Limited" in Ratingen bei Düsseldorf zu sehen. Dort hängt auch Baumgärtels Ur-Banane am Holzkreuz - nach 40 Jahren dunkelbraun und verschrumpelt. "Die hab' ich damals einfach mitgenommen."

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