Blicke aus chinesischen Oberstübchen

20.3.2013, 00:00 Uhr
Blicke aus chinesischen Oberstübchen

Schwindelfreiheit ist von Vorteil – zunächst einmal, was die Arbeitsweise von Christian Höhn betrifft. Denn der Nürnberger Fotograf, der den architektonischen Landschaften der „Megacities“ seit 2006 mit seiner Kamera auf den Leib rückt, wählt als Perspektive stets die höhere Warte. Von nirgendwo tut sich die Stadtkulisse so monumental auf, wie vom Oberstübchen eines Wolkenkratzers. Im weichen Licht des Morgengrauens und der Abenddämmerung. Oder im Reißbrett der Lichter von Millionen Fenstern bei Nacht.

Blicke aus chinesischen Oberstübchen

© Höhn/Museum

Höhns zwölf fotografische Werke verlangen aber auch dem Betrachter fast schon die Schwindelfreiheit ab – so bestechend werden die Häusergebirge und -schluchten hinsichtlich der Perspektive, der Tiefe und des Farbspektrums inszeniert. Dass die Bilder im Museum Industriekultur auf 1,65 mal 2,20 Meter im schwarzen Ausstellungsraum von den Wänden leuchten, reichert ihre optische Wucht zusätzlich an. Brillant und bedrohlich, faszinierend wie auch anonym.

Aber wie geht das eigentlich – zu nachtschlafender Zeit oder im Morgengrauen ins zigste Stockwerk der Gebäuderiesen reinzukommen? Um dort geduldig auf den passenden Moment, das passende Licht, den passenden Himmel zu warten?

Höhn (geboren 1968) hatte das Glück, auf „Türöffner“ setzen zu können, was die Fenster zum Gesicht der Städte betraf. Seine Reise im Herbst 2012, bei der er vier von sechs der gezeigten Megacities besuchte, kam dank der Kooperation der Konfuzius-Gesellschaft Nürnberg-Erlangen und des Lehrstuhls für Sinologie der Friedrich-Alexander-Universität zustande. Das ermöglichte vieles – auch vor Ort. Infolge der Zusammenarbeit wird die Ausstellung nun im Rahmen des Deutsch-Chinesischen Kulturjahres 2012/2013 präsentiert. Die Schau des Franken, der bei anderen Projekten auch Manager, Autos oder Naturlandschaften ins Bild rückt, stellt den Auftakt für weitere Veranstaltungen zu China in Nürnberg dar.

Die Auswahl der abgebildeten chinesischen Städte für die Fotorecherche kam nicht von ungefähr: Bei der Stadt Chongqing etwa handelt es sich – was im Westen weitgehend unbekannt ist – in Anbetracht von 40 Millionen Einwohnern um die größte Megacity der Welt. Wie viele chinesische Metropolen wuchs Shenzhen seit 1978 quasi vom Fischer- zum Millionendorf heran. Shanghai wurde Inbegriff des chinesischen Wirtschaftswunders. Beijing steht für das Zentrum der Macht, Hong Kong für das Tor zum Westen und Quingdao war einst unter dem Namen „Tsingtau“ wilhelminisch-deutsche Musterkolonie.

Das unglaubliche Tempo, mit dem dank des Wirtschaftsbooms Architekten und Bagger anrückten, während die Luftqualität sank – ein blauer Himmel ist auf keinem der Panoramaporträts zu sehen –, dokumentiert die Ausstellung aufschlussreich durch historische Stadtfotografien. Binnen weniger Jahrzehnte wuchsen die Stockwerke in den Himmel und stahlen manchem Gebirge dahinter die Schau. Aber neben der Bauwut tat sich noch mehr – wie die Parallelausstellung „Unterwegs in China“ im Untergeschoss zeigt. 200 Einsendungen eines Fotowettbewerbs vermitteln den Blick der Chinesen auf ihr Land in Anbetracht der sich wandelnden Mobilität – vom Ochsenkarren bis zur Magnetschwebebahn. Zu Höhns klarer Bilderästhetik ein heiterer Kontrast.

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