Flamenco verträgt auch einen Schuss Humor
17.4.2011, 20:48 UhrWeil das klackende Aufschlagen von Absatz, Spitze und Sohle des Schuhs viel Kraft braucht, machen die Frauen immer wieder Pausen. Die Spanierin Esther Jurado , die derzeit in Goyo Monteros „Carmen“-Ballett am Nürnberger Staatstheater Erfolge feiert, legt ein knackiges Tempo vor. Das ist für ihre Schülerinnen kein Problem. Schließlich trainieren sie alle schon seit Jahren den spanischen Kulttanz und sind hier in einem Kurs für Fortgeschrittene, um an ihrer Körpertechnik zu arbeiten.
Moderne Elemente
Sie tragen Trikots und lange Röcke oder Hosen, um die Rüschentücher geschlungen sind. Nach dem Aufwärmen folgt eine Arm-Sequenz. Dabei wird deutlich, dass Esther Jurado keinen ganz klassischen Stil vertritt, sondern viele moderne Elemente einbaut, die an das zeitgenössische Tanztheater erinnern. Im traditionellen Flamenco bewegt die Frau vor allem Arme und Schultern, und zwar wellenförmig in schmeichelnden, sinnlichen Bewegungen. Die gespreizten Finger zeichnen kräuselnde Arabesken. Bei Jurado kommen eckige, raubvogelhafte Schulterdrehungen hinzu, jazztanzhafte Lässigkeit und ein guter Schuss Humor. Immer wieder wird losgelassen, der Körper der Schwerkraft überantwortet.
Das Ergebnis der Choreographie sieht toll aus und kommt nicht so posen- oder statuenhaft daher, wie man es vom Flamenco kennt. „Mir gefällt es, dass sie nicht so bierernst vorgeht, sondern locker und offen arbeitet“, sagt Andrea Grüner, die Chefin der Tanzschule, die selbst mitmacht, um sich fortzubilden und neue Anregungen zu erhalten: „Der Flamenco ist sehr lebendig und entwickelt sich fortlaufend, da ist es wichtig, nicht stehen zu bleiben.“
Hinter Esther Jurados Können steht freilich die Tradition ihrer Heimat Sevilla. Nur was man kennt, kann man variieren. Ihre Gattung ist „Tangos Flamencos“, was allerdings nichts mit dem argentinischen Tango zu tun hat, sondern sich darauf bezieht, dass der Grundrhythmus vier Schläge hat. Ohne viele Worte, aber mit viel Geduld führt sie immer wieder einzelne Teile vor und übt sie mit den Schülerinnen. Die meisten sprechen Spanisch, bei Bedarf übersetzt Andrea Grüner, so gibt es keine Kommunikationsprobleme.
In der Pause gönnt sich Esther Jurado draußen eine Zigarette – ein Laster, von dem sie auch als Profi-Sportlerin nicht loskommt. Quirlig erzählt sie von ihren internationalen Engagements und Touren. „Die Asiaten lieben den Flamenco besonders. In Taiwan hatten wir mit unserer Compagnie große Auftritte. Wussten Sie, dass es in Tokio mehr Tanzschulen gibt als in Madrid?“, berichtet das sympathische Temperamentbündel.
Stadt mit Seele
Nürnberg, wo sie wegen „Carmen“ das letzte Silvesterfest verbracht hat, gefällt ihr gut, die Stadt habe viel Seele. Dann macht sie weiter, wirbelt majestätisch und mit verhaltener Kraft über das Parkett. Ihr Ausdruck und ihre Präsenz sind verblüffend, sie stecken auch die Teilnehmerinnen an.
Am Ende sind die Damen erschöpft, aber glücklich. „Esther ist so fröhlich und mitreißend, das tut echt gut“, sagt Annett Brudniok, die seit sechs Jahren Flamenco tanzt. Auch Karen Jurasin, die selbst bei „aire flamenco“ unterrichtet und vor 17 Jahren vom andalusischen Fieber ergriffen wurde, ist begeistert: „Esthers Timing ist faszinierend. Ich wollte mir diese Gelegenheit, bei ihr zu lernen, nicht entgehen lassen“.
Yvonne Voran, die oft nach Spanien zu Festivals reist, stellt fest: „Diese aktuelle Variante war neu für mich. Flamenco ist eben ein ewiges Rätsel, das es zu lösen gilt“.