Kino am Puls der Zeit: 21. Filmfest Türkei/Deutschland

27.2.2016, 12:08 Uhr
Kino am Puls der Zeit: 21. Filmfest Türkei/Deutschland

© Foto: Festival

Mit der Weltpremiere von "Haymatloz" startet das Festival am 4. März in der Tafelhalle programmatisch. Die deutsch-türkische Regisseurin Eren Önsöz erinnert in ihrem Dokumentarfilm an die Zeit der umgekehrten Flüchtlingsströme, als jüdische und antifaschistische Intellektuelle vor den Nationalsozialisten in die Türkei flohen und dort am Aufbau eines modernen Staates mitwirkten. Önsöz’ Film ist damit auch eine Hommage an eine gelebte Willkommenskultur, die beiden Seiten – den Migranten und dem Zufluchtsland – diente.

Für die heutige Zeit hingegen konstatiert Festivalpräsident Adil Kaya eine wachsende Angst, "die zur Erosion unserer Werte führt, auf die wir so stolz sind". Um diese Werte-Erosion geht es bei einer Podiumsdiskussion, in der vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingspolitik und neuer Terrorgefahren die Zukunft Europas und das europäische Selbstverständnis kritisch auf den Prüfstand kommen sollen.

Das Festival ist damit hautnah am Puls einer aufgeheizten Zeit. Auch die Beiträge im Wettbewerb und in der Reihe Filmlandschaften greifen die aktuellen Probleme in vielen Facetten auf. Sie machen deutlich, wie eng Politik und private Tragödien miteinander verbunden sind, wie Träume und Hoffnungen an gesellschaftlicher Ausgrenzung scheitern. Doch sie laden auch zur Begegnung mit mutigen Menschen ein, die sich gegen alle Widerstände behaupten.

Programmleiterin Ayten Akyildiz hat gerade unter den neuen türkischen Filmen viele entdeckt, die von Frauenschicksalen erzählen. "In den deutschen Beiträgen stehen oft die Männer im Fokus, in den türkischen sind es die Frauen." "Ana Yurdu" (Mutterland) etwa handelt von einer verhängnisvollen Mutter-Tochter-Beziehung, "Misafir" (Der Besuch) schildert vor dem Hintergrund eines sexuellen Missbrauchs das Leben einer sozial entwurzelten Frau.

Starkes Kino versprechen auch die "Männerfilme". Allen voran "Herbert" über einen Ex-Boxer, der einst der "Stolz von Leipzig" war und sich auch als einsamer, alternder Türsteher nicht unterkriegen lässt, bis ihn die Diagnose ALS zu Boden zwingt. In "God of Happiness" von Dito Tsintsadze wird ein Mann durch das Auftauchen seiner 15-jährigen Tochter mit seinen Lebenslügen konfrontiert. Der renommierte georgische Regisseur, der in Berlin lebt, ist für Adil Kaya Beleg für die Internationalität der deutschen Filmszene.

Auch das Festival genießt längst internationales Renommee: Zum Kurzfilmwettbewerb gingen über 1000 Einreichungen aus 15 Ländern ein. Und neben Filmen, die den Blick in den Irak und den Iran lenken, ist die aus Nürnberg stammende, heute in Berlin und Istanbul beheimatete Regisseurin Martina Priessner ein Beispiel für ein Kino über alle Grenzen hinweg. In ihrer Doku "650 Wörter" porträtiert sie acht Menschen in Istanbul, die auf ein Visum für Deutschland hoffen, wo ihre Partner leben, doch ohne erfolgreichen Sprachtest keine Chance haben. Ein Hit im (bereits sehr gut gebuchten Schulfilmprogramm, weitere Anmeldungen sind noch möglich) dürfte "Kleine schwarze Fische" sein, der aus der Sicht kurdischer Kinder erzählt, wie sie den Krieg erleben.

Obwohl die Wirklichkeit oft wenig zu lachen bietet, packen die Filmemacher ihre Geschichten auch mit Witz und Humor an. Und zum Auftakt darf sich das Publikum ohnehin auf zwei große Stars freuen: Mit Kadir Inanir erhält eine Ikone des türkischen Kinos den diesjährigen Ehrenpreis. Der 66-jährige Schauspieler, der sich auch politisch engagiert, gilt in seiner Heimat als Nationalheld. Erneut zu Gast ist Mario Adorf, der dem Festival seit der Ehrenpreis-Verleihung 2007 die Treue hält und den Kaya gerne als Jury-Präsidenten gewonnen hätte. Andere Termine standen dagegen, doch 2017 soll es klappen.

Festivalzentrum ist das Künstlerhaus, wo über 80 Gäste auch spannende persönliche Begegnungen versprechen. Abends gibt es Live-Konzerte, und am 12. März steht dann die Preisverleihung auf dem Programm.

Infos: www.fftd.net

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