Sexism sells: Deutscher Rap und die kalkulierte Provokation

9.12.2019, 05:55 Uhr
Sexism sells: Deutscher Rap und die kalkulierte Provokation

© Jörg Carstensen/dpa

Eine Frau, blond, schwarzer Bikini mit Batman-Logo unter dem Steiß, beugt sich in einem Tourbus nach vorne, wackelt mit den Hüften, schaut schnippisch. Schnitt. Frankfurt, glitzernde Lichter, Shindy rappt lässig in die Kamera. Auf dem Beifahrersitz eine schwarzhaarige Frau, auf der Rückbank noch eine. Wehende Haare, leicht teilnahmslose Blicke, eine Hand geht an die Frontscheibe des verdecklosen Wagens. Schnitt. Capital Bra liegt auf dem Bett seines Hotelzimmers, zündet sich eine Zigarette an. Im Hintergrund winden sich zwei Frauen in Unterwäsche, scheinbar grundlos. "Bitches tanzen vor der Kamera", singt der Rapper. Mehr tun sie auch nicht. 

Frauen sind in deutschen Rap-Videos meistens nur Beiwerk, in einer Szene, die Oberflächlichkeit zelebriert, in der es ums Representen geht, ums Darstellen. Uhren gehören dazu, teure Autos, Designer-Kleidung - aber auch weibliche Körper. Sie sind ein Statussymbol. 

Sexuelle Selbsterhöhung über Abwertung 

"Die Selbsterhöhung und Abwertung des Gegenüber ist Teil von Rap", sagt Ayla Güler Saied. Die Soziologin hat zum Thema promoviert und die Szene studiert. "Die eigene sexuelle Selbsterhöhung findet dabei durch die Abwertung von Frauen statt." Der Sexismus, der dabei entstehe, sei mehr oder weniger eine bewusste Provokation, die das Bedürfnis nach Dominanz über andere stillt. "Rapper arbeiten damit, weil es zumindest zum Teil ihrem Weltbild und Wertestystem entspricht, auch wenn sie argumentieren, dass es Kunst ist", sagt die Expertin. "Und weil klar ist: sex sells." 

Sexism sells: Deutscher Rap und die kalkulierte Provokation

© Matthias Balk/dpa

Das BR-Jugendradio Puls hat 2016 die erfolgreichsten Deutschrap-Alben der letzten 16 Jahre analyisiert, sie nach diskriminierenden Zeilen durchforstet. Das Ergebnis: Frauenfeindlichkeit und Homophobie sind ständiger Begleiter, Rassismus eher selten. Sexism sells, sagen die Macher der Studie - oder er ist zumindest kein Hindernis, wenn es um Verkaufszahlen geht. Rap war nie so erfolgreich wie in den vergangenen Jahren, das bestätigt ein Blick auf die wöchentlichen Single-Charts. 

"Ein Schlag ins Gesicht"

Bei Homophobie und Rassismus reagiere die Gesellschaft deutlich schneller, sagt Soziologin Güler Saied. Das zeigt auch der Fall von Kollegah, der erst in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, als er gemeinsam mit Farid Bang eine Ausschwitz-Zeile rappte. "Ein Problem ist, dass Sexismus viel zu lange als Beiwerk des Rap akzeptiert wurde." Die leichtbekleidete Frau als Standard, das verächtlichmachende "Bitch" in den Texten, die Herabwürdigung. 

Jetzt also die Diskussion um Kollegah und das Konzert in Nürnberg. Die Stadt sieht in dem Auftritt eine "unfassbare Provokation", unter anderem die Frauenbeauftragte Hedwig Schouten kritisiert die Ansetzung. "Ein Schlag ins Gesicht" sei das für Frauen, die von Gewalt betroffen seien, eine "Verhöhnung". Gemeinsam mit der Allianz gegen Rechtsextremismus und dem Menschenrechtsbüro der Stadt stemmen sie sich gegen den Auftritt in Nürnberg. 


Die "Kunst" von Kollegah: So plump wie durchschaubar


Doch muss das Konzert deswegen verboten werden? Das Concertbüro Franken, Pächter des Löwensaals, in dem der Rapper auftritt, sieht das nicht unbedingt so. Man sei nicht der Veranstalter, sagt Geschäftsführer Peter Harasim, "im Übrigen ist Kollegah schon mehrfach unbeanstandet in der Region aufgetreten". Sollte die Stadt oder eine verantwortliche Behörde sich zu einem Verbot des Konzerts durchringen können, "werden wir das ohne Wenn und Aber umsetzen". Bis dahin aber gilt die Kunstfreiheit - und so geschmacklos Kritiker die Musik von Kollegah finden mögen, juristisch relevant ist sie eben nicht. Die Zeile, die beim Echo für Wirbel sorgte, war etwa kurzzeitig ein Fall für die Staatsanwaltschaft - die Ermittlungen wegen Volksverhetzung wurden aber eingestellt.

"Zumindest wäre dann keine Bühne mehr geboten"

Auch die Soziologin Ayla Güler Saied plädiert nicht ausdrücklich für Konzert-Verbote. "Ein Nachteil ist, dass Kollegah dadurch zum 'Märtyrer' wird", sagt sie. "Ein Vorteil wäre, dass konsequent vermittelt wird, gesellschaftlich geht es bis hierhin. Und nicht weiter." Das dadurch weniger menschenverachtende Musik produziert wird? Die Expertin ist skeptisch. "Zumindest wäre dann aber keine Bühne mehr dafür geboten." 

Nicht nur in Nürnberg tobt die Diskussion um ein Kollegah-Konzert, die deutschlandweite Tour sorgt auch in anderen Städten der Republik für Misstöne. Etwa in Offenbach, wo der Rapper in der Stadthalle auftritt, deren Verwaltung die Kommune selbst übernimmt. Die zuständige Gesellschaft aber verweist auf den finanziellen Wert solcher Veranstaltungen, Konzerte seien die wichtigste wirtschaftliche Sparte der Halle. Ein Verzicht würde der Stadtkasse schmerzen. 

"Sowas schmeckt verweichlichten Pressepussys selten"

Ob Kollegah nun den Seximus, den er in seinen Texten anschneidet, ernst meint oder ob es ihm um gezielte Provokation geht, bleibt unklar. Auch, weil der Rapper nicht darüber sprechen will. "Leider aber gibt der Künstler überhaupt keine Interviews", heißt es von der PR-Agentur, die die aktuelle Tour vermarktet. Ein Blick in Kollegahs Buch, das vergangenes Jahr die Bestseller-Liste stürmte, hilft weiter. "Das ist Alpha", heißt es. Der Musiker inszeniert sich dort "als der unangefochtene Boss der deutschen Rap-Szene", rät Lesern zu einem "starken Alpha-Mindset". Das Cover zeigt Kollegah halb in Anzug, halb im Tanktop, der Bizeps angespannt, in der rechten Hand eine Zigarre. Etwas Geschäftsmann, etwas Fitness-Model.

 

"Es ist ein selbstbewusstes MÄNNER-Buch in einer vermehrt androgyn gewordenen Gesellschaft und sowas schmeckt den verweichlichten Pressepussys selten", heißt es schon zu Beginn des Buches. Frauen können auch Bosse sein, betont Felix Blume, wie Kollegah wirklich heißt. Sie seien selbstständig genug, um sich selbst zu ernähren. Aber: "Eine sexy Frau, die dir im Taxi einen bläst, verdient wohl kaum, dass du ihr ein Appartement kaufst." Die restlichen 256 Seiten sind eine Mischung aus veralteten Rollenbildern und Küchenpsychologie. 

Rapperinnen leiden an Aufmerksamkeitsdefizit

Woher kommt die Tendenz im deutschen Rap also? Sie ist zumindest teilweise ein Spiegel der Gesellschaft, der Machtverhältnisse dort - sagt auch Güler Saied. "Es stellt sich die Frage nach dem Huhn und dem Ei: Ist Rap sexistisch, weil es die Gesellschaft ist? Oder ist die Gesellschaft sexistisch, weil das im Rap transportiert wird?" Das Genre ist omnipräsent, dominiert die Charts - der Einfluss ist dann aber wohl doch nicht so gewaltig. Auch wenn die mediale Darstellung eine andere ist. "Die Inszenierungen bekommen mehr Aufmerksamkeit als der Text-Inhalt der Rapperinnen", erklärt Güler.

Genau hier liegen wohl Problem - und Lösung. Eine neue Generation deutscher Musikerinnen spielt offen mit ihrer Sexualität, definiert sie neu, benutzt das Wort als Waffe. Lange Zeit waren sie unterrepräsentiert. Sie heißen Nura, Juju und Shirin David, sie erreichen wie ihre männlichen Kollegen ein Millionen-Publikum. Aber anders. "Dass nun eine junge Generation von Frauen selbstbewusst das Wort ergreift und zeitgleich erfolgreich ist, erschüttert das gefestigte Bild, wo sie überwiegend als schmückendes Status-Symbol zu sehen waren", sagt Güler Saied. "Dass Frauen auf ihr Aussehen reduziert werden, ist quasi gesellschaftliche Normalität. Frauen im Rapbusiness ermächtigen sich der Marktlogik und füllen diese mit eigenen Inhalten." 

Einen Akt der Emanzipation nennt die Soziologin das. "Eine aufreizende Frau kann definitiv eine Feministin sein", sagt Güler Saied. "Das sollte der Selbst-Definition der Frauen überlassen werden." Deutscher Rap wird erwachsen, wenn man so will. In seiner Pubertät rüttelt er gerade an Machtstrukturen, unbemerkt von Sexismus-Debatten wie der um Kollegah. Rapperinnen sind ein aktiver Teil davon. 

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