Überdosis Oberbayern

30.3.2015, 19:43 Uhr
Überdosis Oberbayern

Die Klage ist nicht neu, aber nach wie vor aktuell und könnte demnächst sogar die Juristen beschäftigen: Weil so gut wie alle Serien – von „Dahoam is Dahoam“ bis „Hubert & Staller“ – im Süden des Freistaats spielen und der Norden in diesem Programmbereich quasi nicht aufscheint, verstoße der Bayerische Rundfunk gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, so der Bamberger Anwalt Manfred Hofmann. „Seit Jahrzehnten wird da ein völlig falsches und höchst einseitiges Bild vom Flächenland Bayern vermittelt“, kritisierte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Hofmann will jetzt eine Feststellungsklage vorbereiten. Wohlgemerkt, es geht um die fiktionalen Stoffe, nicht um Nachrichten-, Feature- und Informationssendungen – da räumen auch die Kritiker ein, dass sich durch den Aufbau der dezentralen Studios in den letzten 15 Jahren viel getan hat und die Regionen gleichberechtigt repräsentiert sind.

„Greater Munich ist die Denke“

Bei Spielfilmen und Serien aber scheint die BR-Programmpolitik ihrem eigenen Anspruch hinterher zu hinken: „Flächendeckend in allen Regionen Bayerns verankert, spiegelt der Bayerische Rundfunk Bayern, wie es wirklich ist: seine Traditionen und seine Identität ebenso wie den kontinuierlichen Wandel in Gesellschaft, Kultur und Natur“, heißt es im BR-Qualitätsbericht 2012.

Für den SPD-Politiker Wolfgang Hoderlein, von 1993 bis 2003 Mitglied im BR-Rundfunkrat und kürzlich zum Vorsitzenden des Fränkischen Bundes gewählt, sieht die Wirklichkeit anders aus. „Greater Munich ist die Denke beim BR. Das Bayernbild reicht dort nicht weiter als die Münchner Verkehrsbetriebe“, schimpft der um deutliche Worte nie verlegene Oberfranke. Die schwäbischen und die fränkischen Wurzeln der bayerischen Kultur spiegelten sich so gut wie nicht im Serienangebot. Stattdessen: Immer wieder München, die Voralpenkulisse, Trachtenjanker, das Oktoberfest, dazu „der oberbayerische Dialekt in der Light-Version und ungeniertes Product-Placement.“ Das Bild, das der Sender von Bayern transportiere, habe „verheerende Auswirkungen für den Imagefaktor der anderen Regionen“. Anwalt Hofmann setzt noch eins drauf: „Die Franken und die Schwaben bezahlen Rundfunkgebühren, damit Werbung für Oberbayern gemacht wird. Das ist ein Skandal.“

Mehr Selbstbewusstsein

Etwas weniger zugespitzt, aber in der Sache ähnlich sieht das auch der Leiter des Nürnberger Presseamts, Siegfried Zelnhefer, so. Der BR habe den Auftrag, ganz Bayern in seinem Programm angemessen darzustellen. Dass das Angebot im fiktionalen Bereich nicht ausgewogen sei, belege exemplarisch der „Tatort“. Allein das aktuelle Münchner Erfolgsduo Leitmayr/Batic sei seit 1991 insgesamt 69 Mal „auf dem Schirm gewesen“.

Wenn der erste Franken-„Tatort“ nun von einem solchen medialen Hype begleitet werde, habe das schon etwas Provinzielles, verweise aber auch auf die Versäumnisse des BR. Zelnhefer wünscht sich mehr Selbstbewusstsein von den Franken und findet: „Der BR vergäbe eine große Chance, wenn er nicht endlich mehr Geschichten in Franken, in Schwaben und der Oberpfalz ansiedeln würde.“

Tatsächlich würde Bettina Reitz, Fernsehchefin des Bayerischen Rundfunks, die Chance gerne nutzen. „Wir greifen gerne zu, wenn uns interessante Stoffe aus Franken angeboten werden“, sagt Reitz, doch mangele es genau daran. Beim FilmFernsehFonds Bayern etwa, zu dessen Gesellschaftern der BR gehört, würden kaum Drehbücher aus Franken eingereicht. Abgesehen von den wenigen bekannten Namen machten sich die kreativen Kräfte rar. Wenn es gute Stoffe gebe, die in Franken spielen, so Reitz, setze der BR sie natürlich um, wie die Kinokoproduktion „Dreiviertelmond“ oder die Heimatkrimis aus Würzburg und Bamberg.

Reitz sieht deshalb auch die Regionen selbst gefordert. Die Städte, die vor Ort ansässigen Produzenten, die Hochschulen müssten auch von sich aus aktiv werden, um Filmprojekte anzustoßen und Autoren zu ermutigen. Der BR engagiere sich bereits bei der Drehbuchwerkstatt Nürnberg und dem Coburger Drehbuchwettbewerb.

Zugleich betont Reitz, dass das Produktions- und Kreativzentrum der bayerischen Filmwirtschaft traditionell München ist. Hier sind die Bavaria Studios, viele Produktionsfirmen und die Filmhochschule. Aus Oberbayern stammten prominente Autoren und Regisseure wie (der verstorbene) Helmut Dietl, Franz Xaver Bogner oder Marcus H. Rosenmüller, die sich bei ihren Geschichten natürlich ihrer Heimat verbunden fühlten und sie mit großer Authentizität ausfüllten.

Zudem seien Dreharbeiten weit außerhalb Münchens stets mit höheren Kosten verbunden – auch wenn Schauspieler und Regisseur, wie beim Franken-„Tatort“, aus Berlin, Hamburg oder Würzburg kommen. Das Produktionsteam und die Crew mit der nötigen Infrastruktur müssten dann zum Drehort reisen – was deutlich mehr Aufwand bedeute. „Aber wenn es gute Stoffe sind, machen wir das“, so Reitz.

Steigende Anforderungen

Der Vorwurf der Unausgewogenheit sei selbstverständlich ein Thema bei den Projektplanungskonferenzen. In erster Linie gehe es dort aber darum, neue Projekte auf ihre inhaltliche Relevanz und die Kosten zu prüfen. Auch wenn der BR mit einem Etat von rund einer Milliarde Euro gut ausgestattet ist, schränkt Reitz ein: „Trotz steigender Anforderungen müssen wir seit Jahren mit gleichbleibenden Mitteln haushalten, was zwangsläufig zu Einsparungen führt. Gleichzeitig wollen wir ein vielfältiges Programm für alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten anbieten. Insgesamt ist es schwieriger geworden, zusätzliche, teure fiktionale Projekte in die Planungen aufzunehmen.“

Wolfgang Stöckel vom Bayerischen Journalisten-Verband und seit 1994 im Rundfunkrat, kann die Argumente der Fernsehchefin nur unterstreichen. Als Nürnberger weiß er natürlich nur zu gut um die Klagen der Franken, die sich auch in vielen anderen Bereichen gegenüber Oberbayern benachteiligt fühlten. Im Rundfunkrat werde das zwar nicht so empfunden, aber nach Bekanntwerden von Hofmanns juristischen Plänen werde man darüber sprechen müssen.

Dass eine Feststellungsklage Erfolg haben könnte, hält der auf Medienrecht spezialisierte Berliner Anwalt Thomas Jakubczyk für höchst unwahrscheinlich. „Es gibt einen Ermessensspielraum des Senders, in dessen Rahmen der Intendant entscheidet, welche Gewichtung im Programm vorgenommen wird. Das Verwaltungsgericht könnte die Rundfunkanstalt allenfalls dazu auffordern, das Ermessen neu auszurichten, aber es kann keine konkreten Vorgaben machen.“ Jakubczyk kennt bislang keinen vergleichbaren Fall. „Ich vermute, dass das mit Blick auf das Ermessen und die Rundfunkfreiheit relativ schnell abgebügelt wird.“

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