Wie eine Gebärdendolmetscherin den ESC übersetzt

12.5.2018, 06:00 Uhr
Wie eine Gebärdendolmetscherin den ESC übersetzt

© Foto: Arne Marenda

Frau Schwengber, eigentlich ist das, was wir hier machen, vollkommen widersinnig: Wir sprechen darüber, wie Sie Musik in Gebärden dolmetschen. Dabei muss man das einfach gesehen haben. Wie würden Sie das, was Sie tun, in Worten beschreiben?

Laura M. Schwengber: Ich mache Musik sichtbar und nutze dazu die Mittel der Gebärdensprache sowie ganz viel Tanz mit einem großen Klecks Emotion und Spaß.

Wie Sie das machen, sieht unheimlich poetisch aus. Hatten Sie zu Beginn trotzdem Zweifel und dachten manchmal "Ohje, ich sehe aus wie ein Trottel"?

Schwengber: Definitiv. Ich habe mich am Anfang oft gefragt, ob das überhaupt jemand sehen möchte und ob es nicht einfach nur komisch wirkt. Oft wird bei Gebärdensprachdolmetschern ja auch ein bisschen abwertend von "fuchteln" oder "hampeln" gesprochen. Was mir dann aber Sicherheit gegeben hat, war das Feedback der tauben Fans, die gesagt haben: Genau so wollen wir das und eigentlich sogar noch mit mehr Ausdruck und kräftigeren Bewegungen.

 

War das Musikdolmetschen überhaupt Teil Ihrer Ausbildung?

Schwengber: Immer nur als kleiner Teil, denn wir Gebärdensprachdolmetscher sind Generalisten und werden auch so ausgebildet.

Wie kam es dann dazu, dass Sie sich darauf spezialisiert haben?

Schwengber: Ich hatte in meiner Jugend sehr viel Musik- und Tanzunterricht und habe fast jeden Nachmittag in irgendeiner Musikschule verbracht. Und ich wollte auch beruflich etwas in der Richtung machen. Doch nach vielen Jahren Gesangsunterricht hat mich meine Lehrerin freundlich zur Seite genommen und gesagt: "Laura, nee." Zum Glück hat mich mein bester Freund Edi dann auf die Idee gebracht, doch was mit Gebärdensprache zu machen. Er ist in der Zeit, in der wir uns kennengelernt haben, taub und blind geworden. Wir haben uns dann laufend irgendwelche Sprachen ausgedacht und irgendwann meinte er: Wir haben genug Quatsch gemacht, wir sollten das mal richtig angehen. Und du fängst an! (lacht) Später dann hat der NDR Leute gesucht, die Musikvideos dolmetschen, und ich war die einzige, die das machen wollte. So hat alles begonnen und sich gewissermaßen dann auch der Kreis geschlossen.

Aber wenn Ihr Freund blind geworden ist, dann konnten Sie sich ja irgendwann gar nicht mehr in der Gebärdensprache unterhalten.

Schwengber: Wir haben uns eine eigene Kommunikationsform ausgedacht, das Lormen. Dabei ist die Handinnenfläche nach Buchstaben aufgeteilt. Also ein bestimmter Punkt auf dem Daumen ist beispielsweise das A. Und dann tippen wir quasi den ganzen Tag.

Also wie WhatsApp, nur analog.

Schwengber: Genau. Und wir sind so fix, dass wir inzwischen tatsächlich Kinofilme miteinander anschauen können. Edi ist unheimlich talentiert und kann ganz schnell erfassen, was ich tippe.

Als Musikdolmetscherin übersetzen Sie alles aus dem weiten Feld des Pop, aber auch Klassik, oder?

Schwengber: Ja, wobei der Schwerpunkt schon bei Rock und Pop liegt, da sind sowohl die Nachfrage als auch die Offenheit einfach größer, und ich passe mich natürlich so gut wie es geht dem Publikum an.

Gibt es eine Band, mit der Sie unbedingt mal auf der Bühne stehen wollen?

Schwengber: Max Herre und das Kahedi Radio Orchestra, das wäre richtig cool.

Wie kommen Sie an Ihre Aufträge, werden Sie von den Bands gebucht?

Schwengber: Unterschiedlich. Manchmal sind es die Bands selbst, das wird immer mehr. Aber es gibt auch Veranstaltungshäuser, die das Musikdolmetschen als regelmäßigen Service anbieten wollen, zum Beispiel in Fürth der Club "Kopf und Kragen". Manchmal schreibe ich natürlich auch selbst Künstlerinnen oder Künstler an. Entweder, weil ich es selbst unheimlich gerne machen würde oder weil taube Leute mir ihre Wünsche geschrieben haben.

Müssen Sie die Musik denn selbst mögen, um sie gut übersetzen zu können?

Schwengber: Ich habe mittlerweile zum Glück gelernt, wie ich aus jedem Song etwas ziehen kann, das mir gefällt. Ohne, dass ich den gesamten Titel großartig finden muss. Zum Beispiel hilft es, wenn im Text eine besonders schöne Geschichte erzählt wird. Und manchmal sind es auch Bilder von Fans, die total abgehen und sich freuen bei einem Lied, die mich motivieren.

Wie üben Sie Ihre Auftritte?

Schwengber: Viel daheim, aber auch unterwegs. Ich bekomme vorab meistens die Setliste und kann mich so vorbereiten. Auf den Text konzentriere ich mich dabei gar nicht so sehr, vielmehr versuche ich, dem Song etwas Emotionales abzuringen. Den Text lese ich dann zur Sicherheit aber auch nochmal, nicht, dass ich etwas missverstehe. Einmal, bei Casper, habe ich immer verstanden "du fasst, du zeigst vorbei" und mich gefragt, was zur Hölle er meint. Tatsächlich hieß es aber "die Fastenzeit vorbei". (lacht) Jetzt beim Eurovision Song Contest gibt es einen Titel, da habe ich verstanden "you freeze the air or win the air", also du frierst die Luft ein oder du gewinnst sie. Tatsächlich heißt es aber arrow, also Pfeil.

Haben Sie einen Favoriten beim Eurovision Song Contest?

Schwengber: Ich verbiete mir, Favoriten zu haben, weil ich befürchte, dass ich meinen Liebling dann unbewusst hübscher gebärde als die Konkurrenz. Deswegen versuche ich knallhart, alles okay zu finden!

Kommt es bei Live-Konzerten vor, dass Bands Sie ermahnen, ihnen nicht die Show zu stehlen? Denn man schaut ja unweigerlich auf Sie.

Schwengber: Niemals! (lacht) Nein, also meist legen die Bands vorher genau fest, wo ich zu stehen habe und wie ich ausgeleuchtet bin. Oft entspannt sich das aber während des Konzerts und alles wird zu einem großen Ganzen und barrierefreien Spaß für alle. Das ist viel schöner, als wenn es heißt: Da ist die Hauptbühne und da hinten in der Ecke passiert was für die Behinderten. Mir ist das ganz wichtig: Wir haben alle ein Recht darauf, an Kultur teilzunehmen.

Das barrierefreie ESC-Finale ist am 12. Mai um 21 Uhr auf der Internetseite des ESC zu sehen.

Laura Schwengber ist am 30. Juni ist beim „Selbstival“ am Nürnberger Jakobsplatz zu erleben, am 13. Juli in Fürth bei „Ay Allda mach lauder!“ am Lindenhain.

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