Spende für weitere Stolpersteine in Neumarkt

Wolfgang Fellner

Neumarkter Nachrichten

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10.11.2017, 08:44 Uhr
Aus der eindringlichen Schilderung der Reichspogromnacht aus dem Buch von Hans Hirn über das jüdische Neumarkt las Gertrud Heßlinger vor.

Aus der eindringlichen Schilderung der Reichspogromnacht aus dem Buch von Hans Hirn über das jüdische Neumarkt las Gertrud Heßlinger vor.

Doch das ist gar nicht so einfach, auch daran erinnerten die Beteiligten. Das sind die Mitglieder der Initiative Stolpersteine und das sind die Mitglieder der beiden P-Seminare des Ostendorfer Gymnasiums, die den Abend gestalteten. Zuerst beim ökumenischen Gottesdienst in der Christuskirche, danach bei der Vernissage im Landratsamt.

"Verbrennt das Pack", "ab in die Gaskammer", "wir werden sie jagen": Die Schüler schrien die Parolen in die Stille der Christuskirche, die Gläubigen lauschten überrascht. Das waren nicht nur Parolen aus der Zeit der Nazis, nein, da waren aktuelle Zitate dabei, unter anderem eines von Alexander Gauland, einem der beiden Spitzenkandidaten der AfD bei der Bundestagswahl. Nie war das Erinnern an den 9. November so aktuell wie in diesen Tagen, da sich Rechtsextremismus wieder als wählbar zeigt in diesem Land, das nach dem Nazi-Regime Millionen Tote zu verantworten hat.

Es gelte, hier einen Gottesdienst zu feiern, sagte Dekan Christiane Murner in der Christuskirche, den sie mit dem katholischen Dekan Godehard Schuster zelebrierte. Doch zum Feiern gebe es an diesem Abend wenig Anlass, sagte sie, der Einstieg der Schüler mit ihren Zitaten von damals und heute sei aktuell, "das war nicht nur zwischen 1933 und 1945 zu hören, sondern ist auf die Bühne des Bundestages zurückgekehrt".

Das seien Schlagworte im wahrsten Sinne des Wortes, damals wie heute. Die Frage sei, wie man diesen Parolen begegnen könne, im Gespräch, oft witzelnd behauptet: "Kann das wahr sein, was da gesagt wird?" Sie erinnerte an die Bibel und Jesus Christus: "Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund." Das passiere heute aber täglich, Menschen würden abschätzig eingestuft, herabgewürdigt. Murner: "Ich denke da an euren schwarzen Kollegen aus Togo, der heute in Eichstätt ein Buch schreibt, aber auch nicht mehr als Priester tätig ist, oder an unsere Bischöfin in Bayreuth, die Hetzbriefe erhielt, weil sie für eine jüdische Gemeinde Geld spendete."

Die dunkle Seite Luthers

Und sie ging noch einen Schritt weiter. Sie nahm auch Stellung zu Reformator Martin Luther, einer Lichtgestalt mit einer ganz dunklen Seite. Sie zitierte den Übersetzer der Bibel ins Deutsche im Jubiläumsjahr, nahm aber dessen Judenhass in den Fokus.

Im Landratsamt interpretierten die Brüder Konstantin und Kilian Klin beeindruckend das Stück einer jüdischen Geigerin.

Im Landratsamt interpretierten die Brüder Konstantin und Kilian Klin beeindruckend das Stück einer jüdischen Geigerin.

Verbrennen, vernichten, ausmerzen, um Jesus ein Gefallen zu sein, hatte dieser formuliert über jüdische Mitbürger. Luther sei kein Antisemit gewesen, sondern ein Anti-Judaist, sagte Murner: Er meinte, Christus mit solchen Aussagen zu dienen, verließ ihn dabei aber. "Wer ein judenfreies Abendland fordert, verlässt dieses."

An diesem Punkt sei Luther in die Irre gegangen, sagte Murner, und mit ihm über Jahrhunderte viele Christen, vor allem auch in der Zeit des Nationalsozialismus. Und, fragte sie, "was würde Jesus zu den Debatten unserer Zeit sagen?" In den Fürbitten gedachten die Gläubigen der jüdischen Mitbürger aus Neumarkt und Sulzbürg und der Opfer der Nazis in Stadt und Landkreis Neumarkt.

Mit der eindringlichen Schilderung der Reichspogromnacht aus dem Buch von Hans Hirn über das jüdische Neumarkt eröffnete Gertrud Heßlinger von der Initiative Stolpersteine die Vernissage im Landratsamt, die zugleich Finissage war. Die Ausstellung war nur eine Woche zu sehen und endete am Freitag. Hatten die Schüler des in diesem Schuljahr begonnenen P-Seminars den Gottesdienst gestaltet, war die Ausstellung im Landratsamt der letzte Akt des P-Seminars des Jahrgangs zuvor. Auf großen Schautafeln fanden sich die Lebensläufe der Neumarkter und Sulzbürger jüdischen Glaubens, derer erst vor wenigen Wochen mit der Verlegung von Stolpersteinen gedacht worden war. Die Arbeiten dazu hatte das P-Seminar geleistet. Heßlinger sagte mit Blick auf die Tafeln: "Es ist viel zu tun, immer noch, gerade heute."

"Die Verbrechen des Dritten Reiches stellen uns in eine immerwährende Verantwortung", sagte Landrat Willibald Gailler. "So etwas darf sich nie wiederholen." Dies sei das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, das, was da geschehen sei, dürfe man nicht relativieren "oder gar versuchen, einen Schlussstrich zu ziehen". Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sei nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern die Gesellschaft als Ganzes sei gefordert. Dies sei auch ein Auftrag an die Schulen, hier sei Bildungsarbeit gefordert, die im Landkreis auch geschehe.

"Ort der Vielfalt"

"Haben Sie es beim Betreten des Landratsamtes gesehen?", fragte Gailler in die Runde. Draußen vor der Türe hänge ein Schild, "Ort der Vielfalt" stehe da drauf. Das sei eine Auszeichnung und zugleich auch Realität. Denn ein Ort der Vielfalt sei der Landkreis, in dem 122 Nationen lebten, unter ihnen 10 000 Ausländer. Die meisten davon kämen aus EU-Staaten, dazu kämen aber auch Migranten aus aller Welt: "Das ist die Vielfalt, die wir täglich leben." Und für diese gelte es auch einzustehen.

Einen Scheck über 1647,50 Euro – "das sind fast 14 Stolpersteine" – überreichten das Ehepaar Christiane und Wolfgang Ursel und Pfarrerin Marie Henkys an die Initiative Stolpersteine. Das Geld war beim Klezmer-Konzert mit der Band "Die blaue Stunde" in der Sulzkircher Schlosskirche gespendet worden.

Abgerundet wurden die Feier wie auch der Gottesdienst durch Lehrer Helmut Enzenberger, der mit Schülern jüdische Musikstücke präsentierte. Im Landratsamt interpretierten die Brüder Konstantin und Kilian Klin beeindruckend das Stück einer jüdischen Geigerin, Lehrer Alexander Schlaht lobte sein P-Seminar und Heide Inhetveen von der Initiative Stolpersteine dankte den Schülern und hatte auch ein Geschenk dabei: Jeder der 16 Schüler erhielt das schmale Bändchen von Stéphan Hessel, das ihr Leben begleiten und sie in ihrem Tun antreiben solle; vielsagender Titel: "Empört Euch."

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