Vorwurf der kulturellen Aneignung

Weil weiße Musiker Rastas trugen und Reggae spielten: Band muss Konzert abbrechen

Markus Maisel

Online-Redaktion

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27.7.2022, 10:11 Uhr
Die Schweizer Band "lauwarm" brach am 18. Juli ein Konzert in Bern ab. Der Grund: Teile des Publikums warfen der Band kulturelle Aneignung vor. 

© imago images/Addictive Stock, NNZ Die Schweizer Band "lauwarm" brach am 18. Juli ein Konzert in Bern ab. Der Grund: Teile des Publikums warfen der Band kulturelle Aneignung vor. 

Knapp 1400 Follower bei Instagram, vierstellige Klickzahlen auf der Videoplattform YouTube. Nur wenigen dürfte die Schweizer Band "lauwarm" ein Begriff sein. Die fünfköpfige Gruppe aus Bern konzentriert sich auf schwyzerdütschen Mundart-Gesang. Mal ist der gesungene Dialekt von zarten Folk-Klängen ummantelt, mal von rhythmischem Reggae. Ein jüngstes Ereignis dürfte der Gruppe nun einen ungewollten Karriere-Boost verschafft haben; Musik spielt dabei nur eine sekundäre Rolle.

Bei einem Konzert im Kulturlokal und Restaurant "Brasserie Lorraine" in der Schweizer Hauptstadt Bern trugen zwei der fünf Musiker Dreadlocks. Eine Filzfrisur, die eng mit der Rastafari-Kultur verknüpft ist. Zudem sollen die Musiker farbige Kleider aus Senegal und Gambia getragen haben. Einige Besucher hätten laut des Veranstalters ein "Unwohlsein mit der Situation" gefühlt. Sie warfen der Band kulturelle Aneignung vor. Die Veranstalter setzten die Musiker während der Pause über die Kritik einiger Zuschauerinnen und Zuschauer in Kenntnis. Darauf brach die Gruppe das Konzert ab.

Unter dem Begriff der kulturellen Aneignung versteht man einen Begriff, der insbesondere als Kritik an Mitgliedern einer privilegierten Bevölkerungsgruppe, die kulturelle Elemente einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe reproduzieren und sich an jenen Elementen bereichern, in Erscheinung getreten ist. Einfacher ausgedrückt: Man nimmt sich ohne zu fragen Dinge aus der Kultur einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe - und schöpft daraus eigenen Nutzen. Rastafrisuren und Reggae-Musik sollten laut Kritikern lediglich indigenen Jamaikanerinnen und Jamaikanern vorbehalten sein. Wer als weißer Dreadlocks trägt, betreibe demnach kulturelle Aneignung.

"Begegnen allen Kulturen mit Respekt"

Die Band reagierte auf den Vorfall am 18. Juli mit einer Stellungnahme auf Instagram: "Mit dem Thema der kulturellen Aneignung wurden wir als Band noch nie direkt konfrontiert. Wir begegnen allen Kulturen mit Respekt. Wir stehen aber auch zu der Musik, welche wir spielen, zu unserem Erscheinungsbild und zu unserer Art, wie wir sind. Grundsätzlich denken wir, dass über die Definition und Unterschiede von Inspiration und Aneignung diskutiert werden muss", heißt es im Instagram-Post der Gruppe.

Der Frontmann Dominik Plumettaz äußerte sich per Videointerview auf der Website der Züricher Tageszeitung Blick zu den Vorwürfen und der Situation. Von den Beschwerden hätte die Band zunächst nichts gemerkt: "Als wir unser erstes Set Songs spielten, herrschte eine gute Stimmung. Die Leute hatten Freude, es war nichts von Unbehagen zu spüren."

Kritiker "blieben unsichtbar"

Während der Pause seien die Betreiber dann auf die Band zugegangen - und hätten sie über die Beschwerden aus dem Publikum informiert: "Nach dieser Ansage war es uns unwohl und wir entschieden uns für den Abbruch", sagt Plumettaz. Die Personen aus dem Publikum, welche die Beschwerden äußerten, seien "unsichtbar" geblieben. Ein klärendes Gespräch blieb aus.

Den Vorwurf der kulturellen Aneignung wies Plumettaz von sich. Nach eigenen Angaben habe er selbst eine schwarze Großmutter. "Ich habe Sklavenvorfahren aus Afrika", so Plumettaz. Dies spiele allerdings keine Rolle, sagte der Musiker: "Würden wir Einflüsse und Kulturen so streng trennen, dann dürfte man als Schweizer Musiker generell nur noch Volksmusik machen, was ziemlich eintönig wäre."

Sängerin von "Fridays for Future"-Demonstration ausgeladen

Erst vor wenigen Monaten sorgte ein ähnliches Ereignis auch in Deutschland für eine kontroverse Debatte: Im März sollte die Sängerin Ronja Maltzahn bei einer Demonstration der Klimabewegung Fridays for Future auftreten. Weil sie als weiße Dreadlocks trug, sagte die Ortsgruppe der Klimabewegung den Auftritt der 28-Jährigen ab. "Wenn eine weiße Person also Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um kulturelle Aneignung, da wir als weiße Menschen uns aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen", hieß es im Statement von Fridays for Future.

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