Autorin schildert schwierige Recherche

Auge in Auge mit dem Drachenlord: Cybermobbing-Reportage für Journalistenpreis nominiert

Harald Baumer

Berlin-Korrespondent der NN

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21.6.2023, 05:58 Uhr
Schrieb einen viel beachteten Text über den „Drachenlord“: Julia Ruhnau

© Foto: Daniel Karmann/dpa und Michael Matejka/NN Schrieb einen viel beachteten Text über den „Drachenlord“: Julia Ruhnau

Wann hattest Du zum ersten Mal als Journalistin mit dem Thema „Drachenlord“ zu tun? Wie kam es dazu?

Das war 2018, ich war damals in der Online-Redaktion. In diesem Jahr zogen hunderte Hater auf einmal zum Haus von Rainer Winkler, sein Wohnort wurde regelrecht überrannt. Alle in der Redaktion haben laufend darüber berichtet, ich auch, je nachdem, wer gerade im Dienst war. In einem der Beiträge habe ich dann auch mal klargemacht, warum wir so intensiv in die Berichterstattung eingestiegen sind - wegen des riesigen öffentlichen Interesses angesichts der massiven Polizeieinsätze und der Ausnahmesituation für den Ort. Später kamen dann auch Gerichtsurteile hinzu, der Konflikt zwischen dem Drachenlord und seinen Hatern drehte sich immer weiter.

Irgendwann hast Du Dich entschlossen, tiefer in die Materie einzusteigen…

Als das Thema immer wieder auf den Tisch kam, dachte ich mir, dass ich eigentlich nicht genug weiß, um fundiert berichten zu können. Da beschloss ich, mich intensiver mit dem Fall auseinanderzusetzen. Wir hatten bis dahin nie ausführlich erklärt, wie der Konflikt zwischen ihm und seinen Hatern entstanden ist. Warum schießen sich so viele gerade auf diesen einen Menschen ein? Hätte man das verhindern können? Ich stellte auch fest, dass noch niemand mit Rainer Winkler selbst gesprochen hatte.

War das der schwierigste Teil der Arbeit, Zugang zum sogenannten „Drachenlord“ zu bekommen?

Es dauerte, bis er bereit war, mit mir zu sprechen. Der Kontakt kam über mehrere Ecken zustande. Wir hatten irgendwann einen Termin, der dann aber wieder verschoben wurde. Schließlich bin ich mit meinem Auto zu einem Ort gefahren, der mir kurz vorher genannt worden war. Winkler hatte zu diesem Zeitpunkt schon sein Haus verkauft und war ohne festen Wohnsitz. Das waren schon ziemlich konspirative Umstände. Wir haben dann etwa drei Stunden lang gesprochen. Man hat ihm die Anspannung währenddessen deutlich angemerkt, er machte sich Sorgen, dass sein Aufenthaltsort bekannt wird. Die Hater versuchten zu diesem Zeitpunkt ständig, ihn zu finden, oft mit Erfolg.

Er war aber nur einer von mehreren Dutzend Gesprächspartnern…

Am einfachsten war es, Kontakte zu den Hatern zu knüpfen, die hatten ein großes Mitteilungsbedürfnis. Mit der Polizei und den Behörden lief es ganz professionell. Schwieriger war es mit den Nachbarn und anderen Menschen, die ohne eigenes Zutun zu Opfern geworden waren. Sie reagierten zunächst skeptisch, was ich gut verstehen kann.

Es wurde ja immer wieder damit argumentiert, dass die Medien am besten gar nicht oder nur sehr knapp berichten sollten, um den Hype nicht weiter anzustacheln. Was sagst Du dazu? Warum war Deine Reportage nötig?

Ich finde, es geht hier um ein bedenkliches gesellschaftliches Phänomen, über das berichtet werden muss und über das man diskutieren sollte. Menschen wurden schon immer gemobbt, aber das blieb in der Regel in einem überschaubaren lokalen Rahmen. Im Netz kann eine ganz andere Dynamik und Wucht entstehen. Viele Menschen, die sich online zeigen, haben Hater, das ist an sich nichts Besonderes. Aber man muss bedenken, dass im Fall des Drachenlords auch Menschen betroffen waren, die nichts getan haben, außer das Pech zu haben, zufällig in der Nähe der Zielperson des Hasses gewesen zu sein - als Nachbarn oder Restaurantbesitzer etwa.

Apropos Menschen in der Nähe: Hast auch Du als Berichterstatterin etwas abbekommen?

Es gab schon viele Mails. Auf jede, die keine reine Beleidigung war, habe ich geantwortet. Zum Teil ging es mehrfach zwischen mir und den Leserinnen und Lesern hin und her. Aber insgesamt hielt sich das in Grenzen und war nach einigen Wochen erledigt.